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Urbaner Kampf in der EU

Von Alexander U. Mathé

Politik

Im Arbeitsprogramm der EU-Kommission wurde Stadtpolitik ausgeklammert. EU-Abgeordnete forcieren diese dennoch.


Städte werden im neuen Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission mit keinem Wort erwähnt. Nicht nur in den Metropolen ist die Sorge groß, dass damit die mitunter wichtigsten Leistungsträger in Europa links liegen gelassen werden. Denn immerhin leben mehr als drei Viertel der europäischen Bevölkerung in Städten. Zwei von drei Jobs gibt es in Städten. Weltweit entfallen fast drei Viertel des Energieverbrauchs auf Städte. Wenn es um Themen wie Integration, Klimaschutz oder Daseinsvorsorge geht, dann führt der Weg direkt über die Städte. EU-Abgeordnete aller Couleurs kritisieren die mangelnde Beachtung, die die Kommission den Städten geschenkt hat. Sie versuchen nun, über andere Kanäle die Belange der Städte auf das Tagesprogramm der EU-Politik zu bringen.

"Das ist bisher sehr enttäuschend, was von der neuen EU-Kommission auf urbaner Ebene gekommen ist", sagt Monika Vana. "Dabei gehören Städte zu den wichtigsten Akteuren in Europa und noch zu den handlungsfähigsten. Städte sind teilweise die Einzigen, die noch Geld haben, das die Mitgliedstaaten schon lange nicht mehr haben", erklärt die Abgeordnete der Grünen im Europaparlament. "77 bis 80 Prozent der Menschen in Europa leben in Städten. Trotzdem gibt es nicht so etwas wie einen Kommissar für Stadtpolitik", beklagt Andreas Schieder von den Sozialdemokraten. "Ich finde es gut, dass die Europäische Kommission die erste geopolitische sein will, aber ich kritisiere, dass die Städte nicht wörtlich im Arbeitsprogramm der EU-Kommission aufscheinen", sagt wiederum Lukas Mandl von der Volkspartei.

Das Problem der Städte ist, dass die EU für sie von Gesetzeswegen und rein formal blind ist. Während die Regionen einen eigenen Ausschuss haben (in dem auch die Städte vertreten sind) und es mit der Portugiesin Elisa Ferreira eine eigene Regionalkommissarin gibt, haben die Städte keine eigene EU-Institution. Sie sind daher auf Vernetzung mit und Lobbying bei Entscheidungsträgern angewiesen, wenn sie ihre Interessen durchsetzen wollen, und darauf, dass die Europäische Kommission als Gesetzgeber die urbanen Probleme von sich aus angeht. Nach Letzterem sieht es derzeit aber eben nicht aus. Umso wichtiger werden daher die inoffiziellen Kanäle.

Urban Intergroup ist die städtische "Pressure Group"

Eine dieser Interessensvertretungen ist die Urban Intergroup im Europäischen Parlament. Ihr gehören EU-Abgeordnete aller Länder und Fraktionen an, deren Bestreben es ist, die städtische Agenda voranzutreiben. Unter den 48 Mitgliedern finden sich Prominente wie die ehemalige Handels- und Regionalkommissarin Danuta Hübner und auch fünf Österreicher, darunter Mandl, Vana und mit Schieder auch der Vizepräsident.

"Wenn man eine Städteagenda für die EU will, dann braucht man diese Intergroup. Das ist jetzt die Pressure Group für die städtischen Interessen in Europa", erklärt Schieder. Dementsprechend groß ist der Andrang auf die Gruppe. "Es hat erst eine Sitzung der Urban Intergroup gegeben, aber die war verdammt gut besucht", sagt Lukas Mandl.

Österreicher geeint beim Thema sozialer Wohnbau

Eines der Themen, das allen österreichischen Abgeordneten in der Intergroup ein großes Anliegen ist, ist der soziale Wohnbau. Hier droht über einen Passus im EU-Beihilfenrecht das österreichische System konterkariert zu werden. Demzufolge würden gemeinnützige Wohnungen nur noch den sozial Bedürftigsten zugutekommen. Das wiederum steht im Widerspruch zum seit Jahrzehnten erfolgreichen österreichischen Konzept der sozialen Durchmischung.

"Damit schaffe ich Armutsghettos und wir brauchen genau das Gegenteil", sagt Schieder. "Wir haben in Österreich ein funktionierendes Modell", erklärt Mandl, "das sich nicht nur an die Ärmsten richtet, sondern auch Eigentumsaufbau für den Mittelstand ermöglichen soll. Da hat Österreich europaweit eine Pionierrolle." Noch 2014 hatte der damalige Wiener Bürgermeister Michael Häupl zum Aufstand gerufen. Wien verfasste die "Resolution zum sozialen Wohnbau in Europa", der sich rund 30 Städte anschlossen - darunter Brüssel, Paris, Rom und Barcelona. Unter der Führung Wiens wurde ein Bewusstsein für die Problematik geschaffen, die dann letztlich auch in ein europäisches Volksbegehren mündete, das noch bis 18. März läuft. Berichterstatter dafür im Europäischen Parlament ist Lukas Mandl, der sich dort starkmacht für die "Vermeidung von Ghettoisierung und Parallelgesellschaften in den Städten". Und es sieht auch ganz danach aus, dass die Österreicher mit ihrem Anliegen Erfolg haben könnten.

"Wir haben da gute Karten", sagt Schieder. Seit einem Besuch in Wien sei Frans Timmermans, Kommissionsvizepräsident und Kommissar für Klimaschutz, vom österreichischen Konzept hellauf begeistert. Er sehe Wien als Vorzeigemodell und überlege, wie man es auf andere europäische Städte umlegen könnte. Es gebe Überlegungen, das Thema sozialer Wohnbau in den von der EU-Kommission vorangetriebenen Green Deal zu integrieren.

Überhaupt gibt es viele Themenbereiche der EU-Kommission, über die man die Anliegen der Städte transportieren kann. Klimaschutz ist da so ein Beispiel. "Es sind vor allem die Städte, die sich in den Hitzemonaten aufbacken. Da geht es um die Schaffung von Kälteinseln, darum, den Baum als Klimamaschine im urbanen Raum einzusetzen", erklärt Schieder. Gerade in den städtischen Ballungsräumen ergebe sich die Chance, fortschrittliche Konzepte umzusetzen. Ein gutes Beispiel sei der Mobilitätsbereich mit öffentlichem Verkehr, Carsharing-Konzepten, Radwegen, Initiativen für Lastenfahrräder und so weiter. Hier könne man EU-weite Konzepte zum Ausbau erarbeiten.

Mandl wiederum hat im Stadtverkehr einen digitalen Ansatz: "Es geht auch um die Nutzung von Künstlicher Intelligenz." Mit ihrer Hilfe könnten in Europa neue Sicherheitslösungen erarbeitet werden. "In London sind beispielsweise die Fahrradunfälle zurückgegangen, seitdem die Unfallhäufungsstellen groß veröffentlicht werden." Mit Künstlicher Intelligenz können auch präzise Vorhersagen zu Verkehrsflüssen getroffen werden und beispielsweise Staus vermieden werden.

Intergroup Daseinsvorsorge wurde aufgelöst

Wobei der öffentliche Verkehr früher in einen anderen großen Themenbereich fiel: die Daseinsvorsorge. Noch bis zur letzten EU-Kommission hatte es dafür eine eigene Intergroup gegeben. In der neuen Legislaturperiode wurde sie jedoch gegen den heftigen Widerstand linker Parteien, zumal der Sozialdemokraten und Grünen, aufgelöst. Die versuchen nun, das Thema über die Urban Intergroup weiterzuverfolgen. "Ich habe bereits mit dem Präsidenten gesprochen und erklärt, dass ich das Thema Daseinsvorsorge in die Urban Intergroup bringen werde", erklärt Monika Vana, die Vizepräsidentin der aufgelösten Intergroup Daseinsvorsorge war.

Frischer Schub für Städtemit neuer Leipzig-Charta?

Dabei kann sie sicherlich auf die Unterstützung von Andreas Schieder zählen. "Großer Punkt der Städte ist die Absicherung der öffentlichen Dienstleistungen, vor allem in der kommunalen Daseinsvorsorge. Da geht es um öffentlichen Verkehr, Müllentsorgung, Wasser, Abwasser und so weiter", erklärt der Sozialdemokrat. Gleichzeitig versucht Vana, zumindest eine inoffizielle Interessensgruppe Daseinsvorsorge ins Leben zu rufen, in der weitergearbeitet werden soll.

Doch auch abseits der inhaltlichen Themen läuft für Vana vieles "nicht optimal". Die EU ist für die Städte noch zu unnahbar. "Die lokalen Interessensvertreter müssen besser eingebunden werden; jene Menschen, die vor Ort sind, und sich dementsprechend gut auskennen", so Vana. Einbindung der Zivilgesellschaft, Partizipation der kleinen und mittleren Städte, Zusammenspiel zwischen EU und der urbanen Agenda - das alles könnte und sollte stark verbessert werden.

Einen besonderen Schub könnte die Agenda der Städte ab kommendem Juni erhalten, wenn Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Denn offensichtlich plant Berlin, die Leipzig-Charta der Städte zu reformieren. Diese Charta enthält die Grundlagen der europäischen Stadtpolitik und wurde 2007 von den für Stadtentwicklung zuständigen Ministern der EU-Mitgliedsländer unterzeichnet. Diese bekennen sich darin zu einem Aufgabenkatalog der von Klimaschutz, über Ästhetik und Arbeitsbedingungen bis hin zu kultureller Integration reicht. Die EU-Kommission wiederum wird aufgefordert, ihre Gesetzgebung besser mit den Städten abzustimmen und in ihrer Förderpolitik mehr die Probleme der Städte zu berücksichtigen.

Die Rahmenbedingungen der Stadtentwicklung haben sich in den vergangenen 13 Jahren allerdings verändert. Daher soll die Charta angepasst werden, wobei sicherlich einige der aktuellen Kritikpunkte aufgegriffen werden. Unter anderem soll bezahlbares und leistbares Wohnen in den Städten in die Charta als eigener Punkt auch aufgenommen werden.

Vor dem Hintergrund explodierender Wohnpreise wurde 2019 die EU-Bürgerinitiative "Housing for All" gestartet. Darin wird unter anderem gefordert: Keine Beschränkung der Zielgruppen des geförderten Wohnungsbaus. Öffentliche Investitionen von Gebietskörperschaften für leistbares, bezahlbares Wohnen sollen von den Maastricht-Kriterien ausgenommen werden. Gemeinnützige Wohnbauträger müssen Finanzmittel von der Europäischen Investitionsbank zu verbesserten Konditionen erhalten. Kurzzeitvermietungen von Wohnraum über digitale Plattformen dürfen bezahlbaren Wohnraum nicht reduzieren und sind auf europäischer Ebene zu regeln. www.housingforall.eu