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"Kühle Meile" uncool

Von Sonja Gerstl

Politik

Die Zieglergasse soll zu Wiens erster klimaangepasster Straße werden. Das vorläufige Ergebnis gestaltet sich bescheiden.


Wenn man von der Mariahilfer Straße in die Zieglergasse einbiegt, fällt einem als Erstes auf, dass einem nichts auffällt. Gefühlt heißer ist es, was in dem Zusammenhang anzumerken jedoch kontraproduktiv wäre. Denn die knapp einen Kilometer lange Zieglergasse im (mit einem Grünanteil von knapp zwei Prozent nicht gerade üppig bestückten) 7. Bezirk ist Wiens erste "Kühle Meile" - ein Pilotprojekt, das zeigen soll, wie man Hitzetage auch in dicht verbauten Grätzeln erträglicher machen kann.

"Wiens erste klimaangepasste Straße", so der Slogan, soll in spätestens fünf Jahren durch eine Vielzahl an Maßnahmen, die Temperaturen in den heißen Sommermonaten um bis zu fünf Grad drücken. Erreicht wird das laut Planern mit 24 neuen Bäumen, vier Kühlbögen, fünf Pergolen mit Sitzplätzen, 32 Einzelsesseln und fünf Trinkbrunnen. Zusätzlich soll eine hellere, wasserdurchlässige Bepflasterung mit Betonsteinen der Hitzespeicherung durch den versiegelten Boden entgegenwirken.

Die Umsetzung der "Kühlen Meile" in der Zieglergasse weicht etwas ab von . . .
© Moritz Ziegler

Seit kurzem ist die Zieglergasse so gut wie fertig, die Begeisterung von Anrainern und interessierten Beobachtern jedoch endenwollend. Vor allem in den sozialen Netzwerken Twitter und Facebook ließ man kein gutes Haar an der Umsetzung. Zu wenig Bäume, zu kleine Bäume, zu viel Abstand zwischen den Bäumen. Die Pergolen würden, wenn überhaupt, maximal (Gäste-)Handtuchgroße Schatten werfen - und selbst diese nicht über den darunter stehenden Sitzgelegenheiten. Die Sprühnebeldüsen zu hoch oben, bei absoluter Windstille möglicherweise etwas temperatursenkend, was man aber niemals erfahren werde, weil dort an den Ecken immer ein zumindest kleines Lüfterl wehe.

Autofahrer beklagen 48 nunmehr fehlende Parkplätze, Fußgänger beklagen, dass die erweiterten Gehsteige erst recht wieder als Parkflächen benutzt werden. Der weiße Beton in Pflastersteinoptik würde jeglichen Dreck geradezu magisch anziehen, der selbst nach zahlreichen Regengüssen nicht verschwindet. Kurzum: Es könnte besser laufen.

Hebein für Zieglergasse nicht zuständig

Die "Wiener Zeitung" wollte von Vizebürgermeisterin Birgit Hebein wissen, wie man seitens der Stadt mit den angeführten Kritikpunkten umgeht und ob man demnächst Verbesserungsmaßnahmen ergreifen wird. Dort erklärte man sich allerdings "nicht zuständig für dieses Projekt". Zwar wurde das 2,4 Millionen Euro schwere Vorhaben zu 80 Prozent aus Mitteln der Stadt Wien finanziert und von der MA 28 (Straßenverwaltung und Straßenbau, die unter die Zuständigkeit der amtsführenden Stadträtin Hebein fällt) akkordiert, verantwortlich dafür sei aber die Bezirksvertretung Wien-Neubau. "Da gibt es leider immer wieder Verwechslungen", erklärt Hebeins Sprecher Georg Kehrer: "Wir sind für die ‚Coolen Straßen‘ zuständig, die "Kühle Meile" betrifft uns nicht."

. . . der Planung.
© ZOOMVP_MA19

Also nochmals von Anfang an: Wenn man von der Mariahilfer Straße, einem Prestigeprojekt der Bezirksvertretungen Mariahilf und Neubau, in die Zieglergasse, einem Prestigeprojekt der Bezirksvertretung Neubau, einbiegt, dann fällt einem als Erstes auf, dass einem nichts auffällt.

Stadtplaner Robert Temel.
© mozi

"Auf der Mariahilfer Straße hatten die Bäume jetzt mehr als 20 Jahre Zeit, um große Schattenflächen bilden zu können. Diese Zeit braucht die Zieglergasse noch", sagt Robert Temel. Temel ist Architektur- und Stadtforscher, und hat sich bereit erklärt, die "Wiener Zeitung" zu einem Lokalaugenschein auf die Zieglergasse zu begleiten. Unterwegs erklärt er das Generalkonzept der "Kühlen Meile", das demnächst über weitere Straßenzüge des Grätzels ausgerollt werden soll.

"Man steht da erst am Anfang", sagt er. Auf der rechten Straßenseite sind die ersten drei Bäume in Sicht. Allesamt Neupflanzungen, und jetzt schon höher als das, was man in Wien ansonsten bei Neupflanzungen zu sehen bekommt. Das war es dann aber auch schon mit den guten Nachrichten. Die Wahrscheinlichkeit, dass deren Kronen sich jemals berühren und so ein schattenspendendes Blätterdach bilden können, liegt nämlich bei null. Dafür stehen sie einfach zu weit voneinander entfernt.

Was noch auffällt, ist, dass die Umzäunungen der mit Wiesenblumen bepflanzten Schotterflächen alle beschädigt sind. Können die Bewohner des 7. Bezirks nicht einparken? Eine mögliche Erklärung liefert ein Lieferwagen. Die neue Umzäunung, etwa nur halb so hoch wie die bisherigen Einfriedungen derartiger Flächen, verschwindet nämlich darunter komplett, die Stoßstange ragt mit etwas Spielraum darüber hinaus. Vermutlich war es ein SUV, der beim Ausparken gleich einmal die halbe Umzäunung "mitgenommen" hat, das Eisengitter liegt "entwurzelt" auf den Wiesenblumen, die es in der Zieglergasse auch nicht unbedingt leicht haben.

Baumpflanzungen sind in Wien ein schwieriges Thema

Was die Abstände zwischen den Bäumen betrifft, sagt Temel, dass man die in Zukunft, wenn es eine Grundausstattung mit Bäumen in mehreren Straßen gibt, auch noch nachverdichten könnte. Grundsätzlich seien Baumpflanzungen in Wien ein schwieriges Thema. Ab einem Meter Tiefe stößt man auf Rohre und Leitungen. Der Erneuerung der Wasserrohre verdankt die Zieglergasse übrigens ihre Umgestaltung. Nachdem die halbe Straße eh schon aufgerissen war, konnte man zumindest deren Oberfläche gleich neu planen.

Gemütlich ist die Betonbank nicht, der Boden davor ist mit Speiseresten verunreinigt.
© Moritz Ziegler

Ein weiterer Aspekt ist, so Temel, das Streusalz im Winter. Um die Wurzeln zu schützen, könnten Bäume deshalb nicht plan eingepflanzt werden, sondern immer mit einem kleinen Niveauunterschied zum Gehsteig. Und schließlich verhindere die Feuerwehr dicht gepflanzte Baumreihen, sagt Temel: "Die müssen, im Falle eines Brandes, schließlich auch an die Häuser herankommen." Seitens der Bezirksvorstehung Neubau antwortet am nächsten Tag Christoph Schuster, Büroleiter von Bezirksvorsteher Markus Reiter (Grüne): "Eine nachträgliche Verdichtung der Baumreihen ist nicht möglich. Die Bäume, die jetzt stehen, waren das Maximum, das wir rausholen konnten." Allerdings würden Gespräche mit Hausbesitzern in puncto Fassadenbegrünung laufen. Was die "Umzäunungen" betrifft, werde an Lösungen gearbeitet.

Farbloses Durcheinander, lieblos gestaltet

Die ersten Pergolen stehen am Gehsteig vor einer Schule. An der Rückseite eingesäumt von den obligatorischen Wiesenblumen, ranken sich dort Pflanzen über Drahtseile und Metallteile langsam nach oben. Die Konstruktion ist gewöhnungsbedürftig. Stäbe aus Lärchenholz bilden das "Dach", die Eisenträger erstrahlen in einem gedämpften Weiß - und sind jetzt schon mit diversen "Ich war hier"-Andenken übersät. "Das ist halt Wien", sagt Temel: "In Grammatneusiedl wären sie vermutlich länger hübsch geblieben." Ob man dann nicht in weiser Voraussicht einen anderen Farbton hätte wählen sollen? "Dass man sich daran stößt, ist wiederum auch typisch Wien. In Berlin nimmt man das nicht einmal zur Kenntnis, wenn ganze Straßenzüge ,bemalt‘ sind", sagt Temel.

Nicht nur die Konstruktion, auch das Ensemble ist gewöhnungsbedürftig. Die beiden Pergolen stehen einander gegenüber, dazwischen gibt es eine ungeschützte Freifläche, die straßenseitig von einem Absperrgitter, in Hellgrau, begrenzt ist. Letzteres dient dem Schutz der Schüler, damit sie nicht ungebremst auf die Straße laufen können. Innerhalb der beiden, nur bedingt schattenspendenden Gestelle stehen drei im Boden verschraubte Sessel. Auf einem sitzt eine ältere Frau. "Ja, ist bequem", meint sie.

Schatten spenden hier in erster Linie die Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite. "Hier erkennt man gut, wie die technischen Abteilungen der Stadt Wien funktionieren", sagt Temel: "Jeder für sich weiß, wie er seine Dinge optimal aufstellen kann. Aber im Zusammenspiel hakt es dann. Die Koordination funktioniert leider nicht immer. Das Geländer und die neuen Gestaltungselemente passen hier nicht gut zusammen." Das hellgraue Gitter, das vor Schulen Pflicht ist, hätte man durchaus ansprechender ins Gesamtbild einbauen können. Bänke wären in dem Fall vermutlich auch besser gewesen, nicht zuletzt deshalb, weil dort in der Regel eher mehr als drei Personen ihre Kinder von der Schule abholen.

Was man jetzt noch tun kann? "Wäre ich Lehrer an der Schule, dann würde ich das mit einer attraktiveren Bepflanzung mit meinen Schülern selbst in die Hand nehmen", sagt Temel. "Das Schutzgitter wurde in der falschen Farbe geliefert", sagt Schuster. Ein Austausch sei vorgesehen. Auch hinsichtlich einer üppigeren Begrünung werden Maßnahmen in Aussicht gestellt.

Entwürfe weichen von Umsetzung ab

Sorgte schon das Ensemble vor der Schule in den sozialen Medien für Spott und Hohn, so findet sich schräg gegenüber davon quasi der Gipfel der Entrüstung. Ein nach hinten versetztes Haus, davor eine große, nunmehr mit weißen Betonsteinen gepflasterte, ungeschützte Fläche, auf der man im Sommer vermutlich Temperaturen weit über 40 Grad erreicht. Dort steht, nahe dem Hauseingang, einsam und verlassen eine Sprühnebeldusche, die nicht sprüht. Das tut sie nämlich erst, wenn die Temperatur auf 27 Grad klettert. Ein eingebauter Sensor regelt die Wasserzufuhr. Je heißer es ist, desto mehr Wasser kommt aus den seitlichen Düsen.

Ein paar Meter davon entfernt steht vor einer mit Plakaten bestückten Hauswand eine nach Süden ausgerichtete Pergola. Als Sitzfläche dient ein Betonklotz, die Sitzfläche aus Holz fehlt. Wer hier Platz nimmt, ist der Sonnenstrahlung frontal ausgesetzt. Um überhaupt eine Chance als Schattenspender zu haben, hätte man die Konstruktion umdrehen müssen. Doch wer starrt schon gerne auf eine Hauswand, die, nicht so wie im Folder zur "Kühlen Meile"-Wien-Neubau dargestellt, durchgängig begrünt, sondern mit Werbung zugepflastert ist.

"Hier sollte mit den Plakatwand-Betreibern eine Lösung gefunden werden", sagt Temel. Eine stattdessen begrünte Hausfront würde das Mikroklima in diesem Bereich erheblich verbessern. Dass diese Sitzgelegenheit dennoch ihre Anhänger findet, ist dem in unmittelbarer Nähe angesiedeltem Kebap-Stand zu verdanken. Neben Döner zu essen, bei dem erfahrungsgemäß ein Teil immer am Boden landet, wird auf dieser Betonbank offenbar auch sehr viel geraucht. Und das wiederum ist dem weißen Beton nicht unbedingt zuträglich. Fotos von einer tiefschwarz verschmierten Fläche rund um diese Bank machten rasch via Facebook & Co die Runde. Mittlerweile präsentiert sich der Platz nicht mehr so dramatisch verschmutzt, die Flecken sind jedoch klar zu sehen.

Nicht ganz unschuldig an dieser Entwicklung dürfte die Bezirksvertretung selbst sein. Auf nahezu der gesamte Zieglergasse fehlen nämlich die Mülleimer, samt den darüberliegenden Aschenbechern. Zornige Passanten mit leeren Getränkedosen in der Hand monieren lautstark das Fehlen der städtischen Mistkübel, teilweise findet sich auf den neu aufgestellten Sesseln abgelegter Verpackungsmüll, auch ein gefülltes Gacksackerl wurde gesichtet. Stiller Protest auf wienerisch.

Viele Sessel, wenig Schatten, Luft nach oben

Seitens der Bezirksvertretung verweist man darauf, dass es sich bei der Computeranimation mit der begrünten Hauswand um ein Symbolfoto handle. Bei den verschmutzten Flächen sei das Problem, dass diese frühestens in einem Jahr maschinell behandelt werden könnten, weil man ansonsten das darunterliegende Sandbett ausschwemmen würde. Und die fehlenden Mistkübel? "Eine Begehung mit der MA 48 ist noch ausständig. Sobald diese abgeschlossen ist, wird es auch ausreichend Mülleimer und Aschenbecher geben", sagt Schuster.

An den zu kleinen Plätzen erweiterten Gehsteigen werden erste Adaptierungsmaßnahmen vorgenommen. Vor allem Lieferdienste haben nämlich diese erweiterten Flächen zur persönlichen "Kurzparkzone" umfunktioniert. Was wie die Montage von Pollern aussieht, ist aber offenbar keine Montage von Pollern.

"Nein, Poller wird es keine geben", heißt es dazu aus der Bezirksvertretung. Man wolle gemeinsam mit Anrainern eine Lösung finden, wie diese neu gewonnenen Flächen künftig attraktiver gestaltet werden können. Es sei ein Lernprozess, den Wien derzeit durchlaufe, meint Temel. Was früher ging, funktioniert heute nicht mehr. Man müsse der Stadt die Chance geben, aus ihren Fehlern zu lernen. Dass nicht alles auf Anhieb perfekt sei, sei nur allzu verständlich.

Das letzte Teilstück der Zieglergasse gestaltet sich vergleichsweise unspektakulär. Schattenspender werden hier nur bedingt benötigt. Viele (hohe) 70er-Jahre-Bauten, nur noch wenige (niedrige) Biedermeier-Häuser umsäumen die Straße. Vereinzelt neue Baumpflanzungen, dazwischen immer wieder in kleinen Gruppen drapierte Sessel, wie sie auch in anderen Wiener Bezirken zu finden sind. Das Image dieser Sitzgelegenheiten, die - sofern sie nicht zu einem Schanigarten gehören - im städtischen Raum immer noch leicht deplatziert wirken, ist nicht das allerbeste. Erstmals aufgetaucht sind sie im Zuge der Maßnahmen rund um den Praterstern. Um die Klientel zu vertreiben, wurde zunächst ein Alkoholverbot über den Platz verhängt, später tauschte man die Parkbänke, die oft auch als Schlafstätte dienten, gegen exakt diese Sessel aus. Defensive, also einzelne Personengruppen ausgrenzende Architektur greift auch in Wien immer mehr um sich.

Unmittelbar vor der Lerchenfelder Straße gibt die "Kühle Meile" dann noch ein mehr oder weniger kräftiges Lebenszeichen. Links und rechts fortschreitend begrünte Pergolen, kurze, schmale Sitzbänke, zahlreiche Sessel, eine Sprühnebeldusche und ein Wasserspender für Hunde finden sich hier auf engstem Raum. Unser Fazit: Da ist noch viel Luft nach oben. Robert Temel formuliert es diplomatischer: "An Ideen und Konzepten mangelt es nicht. Auf dem Papier ist bereits alles da. Jetzt muss es nur noch umgesetzt werden."