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Favoriten brennt

Von Sonja Gerstl

Politik

Regelmäßig schüchtern in Wien türkische Rechtsextreme Minderheiten ein. Gefragt ist nun die Stadtpolitik. Eine Analyse.


Mittwochnacht griffen türkische Rechtsextreme eine Frauenkundgebung am Reumannplatz in Favoriten an. Regelmäßig schüchtern die ultranationalistischen "Grauen Wölfe" Minderheiten ein. Die selbsternannten "Wächter von Favoriten" sind gut organisiert. Unter ihnen finden sich zahlreiche in Österreich geborene Jugendliche, die die faschistische Bewegung nur aus Erzählungen kennen.

Die via Handy gesteuerte Aktion, bei der binnen kürzester Zeit mehrere hundert Aktivisten der rechten türkischen Szene im 10. Bezirk eintrafen, blieb kein einmaliges Ereignis. Am Tag darauf dasselbe "Spielchen" nochmals. Kurdische Frauen demonstrieren gegen den Mord an Aktivistinnen, zuletzt via Drohnenangriff vom türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan angeordnet. Kurze Zeit später sind hunderte, überwiegend Männer, da, die via mittlerweile verbotenem Wolfsgruß und Erdogan-Sprechgesängen die abtrünnigen Frauen wieder auf den rechten Weg bringen wollen.

Die Polizei ist seit Mittwochabend in permanenter Alarmbereitschaft. Sogar Helikopter setzt man ein. Auf den Videos, die in den sozialen Medien kursieren, sieht man Polizisten, die einen Linienbus "beschützen". Keinen Steinwurf davon entfernt, Aktivisten, die die Exekutive mit der zu einem Wolfsgesicht geformten Hand, dem Wolfsgruß, willkommen heißen. Daneben die Favoritner Wohnbevölkerung, die von den Fenstern der angrenzenden Wohnungen auf das Geschehen blicken. Eingeschüchtert, aber präventiv schon mal dafür, dass man "die alle abschieben soll".

Begonnen hat alles mit einer vergleichsweise kleinen Kundgebung von Kurdinnen. Die Teilnehmerinnen wollten auf die steigende Anzahl von Femiziden in der Türkei, aber auch in Österreich hinweisen. Kurze Zeit später war Feuer am Dach. Ein Polizeihubschrauber umkreiste den 10. Bezirk von oben, die Exekutive rückte aus. Die Straßen von Favoriten brannten, glücklicherweise nur symbolisch betrachtet. Die Gemüter waren erhitzt, Steine flogen, Fensterscheiben wurden eingeschlagen. Die AktivistInnen flüchteten sich ins nahegelegene Ernst Kirchweger Haus (EKH), die aufgebrachte Männermenge stürmte ihnen hinterher. Fahnenstangen wurde ausgerissen und als Waffe verwendet, die eingekesselten Frauen mussten stundenlang in ihrer Zuflucht ausharren, ehe sich der empörte Pöbel endlich zurückzog.

Regelmäßige Übergriffe

Es war nicht der erste Übergriff, der Mittwoch und Donnerstag in Favoriten stattfand. Bereits am 1. Mai kam es zu ähnlichen Vorfällen am Rande einer Kundgebung am Keplerplatz. Das Schema ist altbekannt: Die "Grauen Wölfe" sehen sich als Hüter und Wächter muslimischer Moral, teilweise sehen sie sich noch dazu auch als Hausherren des 10. Bezirks. Kurden, oftmals präventiv als AnhängerInnen der PKK, also der kurdischen Arbeiterpartei, diskreditiert, werden regelmäßig bei der Polizei als Anhänger einer terroristischen Organisation angezeigt.

Die Ideologie, respektive das Weltbild der in Österreich bestens vernetzten "Grauen Wölfe" ist sattsam bekannt und an sich auf ein einziges Wort subsumierbar, nämlich Erdogan. Auch wenn viele von den aufgebrachten Gegendemonstranten mittlerweile die österreichische Staatsbürgerschaft haben, haben sie niemals damit aufgehört, ihrem großen Vorbild entsprechend zu agieren. Menschen, die dem türkischen Präsidenten in Favoriten, Wien, Österreich die Gefolgschaft verweigern, werden gnadenlos gemeldet und verfolgt.

Was sich an sich mit einem exklusiven, EU-weiten Residenz-Wahlrecht problemlos unter Kontrolle bringen ließe, wird durch nationalistisches Gehabe der "neuen" Heimatländer, und darunter leider auch Österreich, verstärkt. Wer, so wie zig Jugendliche mit Migrationshintergrund, keinen ausreichenden gesellschaftlichen Rückhalt erfährt, tendiert dazu, sich propagandistischen Bewegungen anzuschließen. Die allgegenwärtige Diskriminierung in Österreich forciert deshalb geradezu derartige Entwicklungen. Was selbstverständlich nicht automatisch bedeuten muss, dass sich alle türkischen Jugendlichen gleich an faschistischen Idealen aufrichten, aber es sind leider viel zu viele. Das Angebot ist offenbar zu verlockend: Einfache Antworten auf vielschichtige Probleme.

Aber natürlich lösen sich die Probleme der türkischen Community nicht dadurch, dass man auf einzelnen Straßenzügen Favoritens Menschen einschüchtert. Ein kurzer Kick und schon ist es wieder vorbei. Aber es vermittelt offenbar so viel Selbstbewusstsein, dass man damit über die nächsten Tage kommt. Türkischstämmige Jugendliche, seit ihrer Geburt Österreicher, skandieren bei derartigen Zusammenkünften lauthals und in der Regel mit einem perfekteren Deutsch als ansässige Wiener, dass sie immer "Ausländer", vor allem aber "Türken" bleiben werden. Die Exekutive und die österreichische Politik steht diesem Treiben anscheinend machtlos gegenüber. Am Donnerstag solidarisierte sich Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne) mit den Demonstrantinnen und verurteilte die Vorgehensweise der "Grauen Wölfe". Ob das reicht?

Zahlreiche Anzeigen

Seitens der Wiener Polizei versicherte man immerhin, dass sämtliche "Wolfsgrüße" zur Anzeige gebracht werden. Nur: Was hilft das in dem Moment, wo sich junge und alte Männer stolz auf die Brust klopfen und ihre aggressiven Minderwertigkeitskomplexe unbeschadet ausleben? Keiner von denen, die sich da, in der Masse gestärkt und in Sicherheit fühlend, zu faschistoiden Aussagen und Gebärden hinreißen ließ, wurde augenblicklich überwältigt und abgeführt. Die Polizei steht daneben und schaut zu. Das ist das, was ankommt. Und das ist das, was derartige Bewegungen auch noch zusätzlich stärkt.

Entgegen jeglicher muslimischen Tradition werden Frauen verhöhnt, gejagt und verfolgt. Man akzeptiert nicht, dass die Freiheiten, die eine Demokratie wie Österreich bereitstellt und die mutmaßlich jeder einzelne der Gegendemonstranten für sich selbst sehr wohl in Anspruch nimmt, auch für Frauen, und da ganz besonders für kurdische Frauen gelten.

Auch wenn es abgedroschen klingt: Es braucht ein mutiges Vorgehen gegen Männerbünde wie diese. Es braucht ein mutiges Vorgehen gegen jegliche Form von Rassismus, der in der Regel Hand in Hand mit Sexismus geht. Und zwar unabhängig davon, aus welcher Ecke derlei Ansinnen kommen. Die Wiener Stadtregierung ist gefordert, diesem Treiben ein Ende zu setzen, bevor sich populistische Strömungen der Causa annehmen.