Der Vollzug der Corona-Verordnungen ist um eine Posse reicher. Der Verfassungsgerichtshof qualifizierte am Mittwoch das allgemeine Betretungsverbot in der Verordnung, die bis zum 30. April galt, als gesetzwidrig - die "Wiener Zeitung" berichtete. Bei der Lockerungsverordnung, die danach folgte, wonach ein Meter Abstand einzuhalten ist, gibt es aber den gleichen Widerspruch: Im Gesetz ist von bestimmten Orten die Rede, die Verordnung aber bezieht sich auf den gesamten öffentlichen Raum. Der Verfassungsgerichtshof könnte also auch das als gesetzeswidrig einschätzen.

Was passiert also bis dahin? Wegen der "unklaren" Rechtslage erteilte das Innenministerium den Landespolizeidirektionen am Donnerstag den Auftrag, mit den zuständigen Gesundheitsbehörden Rücksprache zu halten und die weitere rechtliche Vorgehensweise "in ihrem Wirkungsbereich zu klären".

Das führte laut APA-Rundruf am Freitag in den Bundesländern zu unterschiedlichen Ergebnissen: In Tirol und der Steiermark gibt es vorerst keine Änderung der Vorgangsweise: Im Falle keines Abstands wird nach wie vor erst ermahnt, dann aber auch gestraft. Auch im Burgenland kann es bei Kontrollen weiterhin Anzeigen und Organmandate geben. Kärnten straft im "Ernstfall", Salzburg sei "defensiv", in Vorarlberg übt man aber "Zurückhaltung". In Niederösterreich will man Übertretungen durch Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung entgegenwirken, von Organmandaten werde derzeit Abstand genommen, nur in schwerwiegenden Fällen gebe es Anzeigen. In Wien und Oberösterreich werden Anzeigen und das Ausstellen von Organmandaten bis zur rechtlichen Klärung überhaupt ausgesetzt.

"Juristisch kritikwürdig"

Der Bund, das Innenministerium spielte den Ball also an die Länder weiter. Die Wiener spielten ihn wieder an den Bund zurück, es brauche eine bundesweite Lösung. Als Gesundheitsminister ist Rudolf Anschober für die Verordnungen und Regelungen verantwortlich. Dieser sagte am Freitag am Rande einer Pressekonferenz, es gebe "keinen Grund die Strafen infrage zu stellen". Bei der Exekutive gehe es nur um den Vollzug, er wolle in den kommenden Tagen zur Klärung das Gespräch mit dem Innenministerium suchen.

Für Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk ist das momentane Vorgehen von Behörden und Politik "juristisch kritikwürdig". Denn Rudolf Anschober müsse "als fachlich verantwortlicher Minister klarlegen, ob und in welcher Weise er eine Strafverfolgung haben möchte". Den möglicherweise gesetzwidrigen Widerspruch zwischen Gesetz und Verordnung könnte der Gesundheitsminister mit einer Präzisierung der Orte, wo der Abstand zu halten sei, sofort aufheben. Angesichts der langen Liste – von Supermärkten über öffentliche Verkehrsmittel bis hin zu Parks und Plätzen.

Zum teilweisen Aussetzen von Strafen sagt Funk, dass bis zu einer neuen Regelung die alte gelte. Wegen des Legalitätsprinzips habe die Polizei eigentlich "keine Ermessensfreiheit, zu sagen: Da warten wir mal ab". Wobei Länder und damit Landesbehörden hier ebenfalls Teil des Gesetzesvollzugs seien. "Und die Polizei bis jetzt ja auch schon die Möglichkeit hatte, mit Abmahnungen vorzugehen", heißt es aus dem Innenministerium. Wie andere Juristinnen und Juristen plädiert Funk aber für die eindeutigere Lösung einer Gesetzesänderung, dafür braucht es allerdings eine Sondersitzung des Parlaments. Termin dafür gibt es noch keinen.