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Die Sorgen im "vergessenen" Favoriten

Von Karl Ettinger

Politik

Nach dem Anschlag fürchten Burschen um die Ehre des Islam, alteingesessene Bewohner wollen Law & Order.


Einige Hundebesitzer führen ihre vierbeinigen Gefährten Gassi am Rande des Antonsplatzes, der malerisch-ruhig im dichtverbauten Favoriten liegt. Auf den Stufen der Antonskirche im Herzen der kleinen Grünoase im zehnten Bezirk in Wien sitzen drei junge Muslime. Einer von ihnen besucht eine Produktionsschule, an der ihm nach der Schule statt einer Lehre noch eine Chance für den Einstieg in den Arbeitsmarkt ermöglicht werden soll. Am Vormittag nach dem Terroranschlag in der Innenstadt hat er schulfrei bekommen.

"Sehr schlecht" sei es, dass es sich bei dem einen Attentäter um einen Sympathisanten der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) handle, sagt der dunkelhaarige Bursch. Das Trio befürchtet, dass Muslime jetzt generell als Sündenböcke herhalten müssen. Die beiden Freunde des Burschen besuchen Kurse des Arbeitsmarktservice (AMS). Einer bringt es im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" so auf den Punkt: Alle würden jetzt sagen, das seien Muslime gewesen. "Die ganze Religion wird beschmutzt wegen ein paar Gehirnlosen", setzt der Bursche trotzig-empört fort: "Das ist so wie in einer Klasse, dann wird jeder bestraft."

Der rote Bau der katholischen Kirche St. Anton zu Padua war am vergangenen Donnerstag Schauplatz eines ungleich kleineren Aufruhrs. Laut Polizei haben damals rund 30 Jugendliche mit "Allahu Akbar"-Rufen randaliert und gegen Sitzbänke in der Kirche getreten. Der bevölkerungsreichste Wiener Bezirk war schon davor einer jener Bereiche in der Bundeshauptstadt, in dem das Zusammenleben und Aufeinandertreffen ausländischer Zuwanderer und Jugendlicher mit Migrationshintergrund, die teils bereits in Wien geboren wurden, mit den Alteingesessenen für Konflikte gesorgt hat. In Favoriten kam es aber auch - nach Angriffen türkischer Nationalisten gegen Kurden im Sommer - zu Auseinandersetzungen unter Migranten.

"Einfach Jugendliche, die nichts zu tun haben"

Eine alteingesessene Frau aus Favoriten, die sich um den Blumenschmuck in der Kirche kümmert, deutet auf die zahlreichen Schmierereien an den Säulen beim Haupteingang der Kirche. Ihr gibt trotz des Terroranschlags mit mehreren Toten der tägliche Vandalismus besonders zu denken, weil das für sie der Ausdruck dafür ist, dass gerade Jugendliche mit Migrationshintergrund im Alltag wenig Perspektive für ihr Leben sehen. In diese Kategorie reiht sie auch mit einer gehörigen Portion Mitgefühl die Burschen ein, die in der Vorwoche in die Kirche gestürmt sind: "Die sind ohne Bekenntnis. Das sind einfach Jugendliche, die nichts zu tun haben." Genau in diesem Punkt vermisse sie mehr Aktivitäten der Bundesregierung, um vor allem den Burschen zumindest irgendeine Betätigung zu geben. "Da müsste sich die Regierung einbringen", erklärt die Frau: "Jeder braucht eine Betätigung, wenn man die nicht hat, fallen einem blöde Sachen ein."

Ein Anrainer am Antonsplatz formuliert es drastischer und macht aus seiner Wut über die Situation und das Zusammenleben der Kulturen im Herzen des Bezirks kein Hehl. "Die Gesetze gehören wesentlich strenger gemacht", sagt er ohne große Umschweife. Nachdem er sich schon weg- und dann noch einmal umgedreht hat, diktiert er langsam zum Mitschreiben für den Reporter: "Amerikanische Gesetze mit chinesischer Durchführung." Denn derzeit ist es seiner Ansicht nach so: "Jung werden’s schon kriminell." Auf den Anschlag angesprochen, sagt er zunächst nur: "Oh, Jesus!" Außer Zweifel steht für den Mann jenseits der 50, wer letztlich die Schuld an allem trägt: "Wer holt denn die alle herein? - Die guten Grünen und die Gutmänner in der SPÖ."

Eine ungefähr gleichaltrige Wienerin schließt mit ihrer Klage nahtlos an: "Wenn i a Geld hätt’, tät i ausziagn." Mittlerweile sei es so, dass man nicht einmal in Ruhe auf einer der Parkbänke sitzen und mit der Freundin telefonieren könne, ohne dabei von Burschen gestört zu werden. Wenig später läuten die Glocken der katholischen Kirche. Es ist Punkt zwölf. High Noon.

Die Zustände zu wenig beachtet

Einer der Hundebesitzer klagt auf seiner Runde darüber, dass Politik wie Medien die Zustände in dieser Gegend schlicht ignorieren. Mit Bezug auf den Terroranschlag kritisiert er: "Das hat nie jemanden interessiert." Dabei handle es sich bei den jungen Burschen um eine Gruppe, die ständig durch den Bezirk ziehe. "Da wird nichts gemacht", lautet seine ernüchternde Bilanz. Für den Mann führt der Anschlag in der Wiener Innenstadt am Vorabend jetzt vor allem dazu, "dass die Leute noch mehr verängstigt sind".

Zwei junge Irakerinnen sind der Meinung, dass sich das Klima in den vergangenen zwei Jahren verschärft habe. "Es hat nicht mit dem Islam zu tun", sagt eine der beiden Frauen, die seit zehn Jahren in Österreich ist. So wie die Burschen sehen die beiden die Religion durch das Terrorattentat missbraucht: "Vielleicht bekommen wir jetzt auch Probleme."