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Bildungssorgen um Schüler ohne Deutsch

Von Karl Ettinger

Politik

Jedes zweite Schulkind in Wien hat Deutsch nicht als Muttersprache. Das stark von Migration geprägte Schulwesen und der Ärger der Lehrer über zu wenig Personal und Gehör werden auch einem Neos-Bildungsstadtrat zu schaffen machen.


Tausende von ihnen verbringen die Ferien regelmäßig in den Ländern, in denen die Familien ihre Wurzeln haben, auch wenn ihre Eltern schon die österreichische Staatsbürgerschaft haben: in der Türkei, in Serbien, Bosnien oder auch Bulgarien und Rumänien. Nicht nur zu Corona-Zeiten wie jetzt sind manche Schulleitungen in Wien schon froh, wenn diese Kinder rechtzeitig - und dann auch noch nicht übermüdet - in ihren Klassen sitzen. Im Durchschnitt hat mit 52,2 Prozent gut die Hälfte der 242.000 Schülerinnen und Schüler in der Bundeshauptstadt eine andere Muttersprache als Deutsch, weist die Statistik für das Schuljahr 2018/19 aus. In den Mittelschulen waren es allerdings 75,6 Prozent, also drei von vier Schülern, in Polytechnischen Schulen 77 Prozent, die Volksschulen knapp 59 Prozent. Allerdings gibt es auch Volksschulen mit nur einem oder wenigen deutschsprachigen Kindern.

Die Zahlen allein sind Hinweis genug dafür, warum der Unterricht in Deutsch und Schwierigkeiten für Schüler als Folge mangelnder Sprachkenntnisse eine zentrale Herausforderung für den Wiener Bildungsstadtrat und den Bildungsdirektor sind, vor allem aber auch für Direktoren und Lehrerschaft, die unmittelbar täglich unerwartete Vorkommnisse meistern müssen. Daran wird sich auch für eine künftige Koalition von SPÖ und Neos, die bis 17. November unter Dach und Fach sein soll, nichts ändern. Die Bundeshauptstadt ist bundesweit gesehen der Brennpunkt der Schwierigkeiten, die sich wegen des hohen Anteils von Schülern mit Migrationshintergrund ergeben. Das hat bereits dem amtierenden Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorzsky und Bildungsdirektor Heinrich Himmer viel Kopfzerbrechen bereitet. Es ist aber auch die Bewährungsprobe für einen etwaigen Nachfolger aus den Reihen der Neos im Wiener Bildungsressort.

Neos in Sachen Bildung einer Meinung mit SPÖ

Eine Änderung hat es schon im vergangenen Jahrzehnt mit einer rot-grünen Stadtregierung gegeben. Vor einem Vierteljahrhundert rund um den Amtsantritt des damaligen Bürgermeisters Michael Häupl hat die dominierende SPÖ zumindest politisch Probleme im Zusammenhang mit Kindern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, nicht selten wie eine lästige Fliege von der Schulbank gewischt oder als aufgebauschte Mär der seinerzeitigen Haider-FPÖ heruntergespielt. Im Hintergrund haben aber bereits damals engagierte Schulkräfte mit der SPÖ neue Weg im Umgang vor allem mit den Kindern von Ex-Jugoslawien-Flüchtlingen eingeschlagen.

Bei Maßnahmen zur Bewältigung hinkt die Stadt allerdings immer noch hinterher: Das betrifft vor allem fehlendes Personal für eine entsprechend intensive Deutschförderung. Die SPÖ möchte mehr Mittel für solche Schulen bereitstellen. Bei den Neos werden sie in den Koalitionsverhandlungen offene Türen einrennen. Für die Pinken ist Bildung und die Unterstützung sogenannter "Brennpunktschulen" mit besonders vielen Kindern aus sozial schwachen Familien und mit Migrationshintergrund nicht nur im Wahlkampf ein Anliegen. Dahinter steht die Überlegung, dass es wesentlich teurer ist, später Jugendliche mit Sonderaktionen so zu bilden, dass sie eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt haben und daraus keine "Generation AMS" wird.

Reibereien mit dem Bildungsministerium

Im Bildungsbereich kommt allerdings die Kompetenzverteilung als Erschwernis dazu: Für die Grundsatzgesetzgebung ist der Bund zuständig, für ausreichend Schulplätze und adäquate Schulgebäude und die Lehrer an Pflichtschulen die Stadt. Das sorgte mitunter für gehörige Reiberein zwischen der rot-grünen Stadtregierung und dem von der ÖVP seit Ende 2017 geführten Bildungsministerium, an dessen Spitze derzeit Heinz Faßmann steht. Am augenscheinlichsten auch für Eltern hat sich der Konflikt zwischen den beiden Denkschulen bei der Förderung von Kindern ohne Deutsch als Muttersprache offenbart. Faßmann hat schon in der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung eigene Deutschförderklassen für Schüler mit Deutschdefiziten eingeführt. Deutsch soll somit gepaukt werden. SPÖ und Grüne hätten, gestützt auf eine Reihe von Bildungsexperten, lieber auf den gemeinsamen Unterricht im Klassenverband gesetzt, weil sie die Integration mit guten Schülern, die Deutsch sprechen, für zielführender halte. Gleichzeitig tobt ein Kampf um Lehrer: Die Stadt hat ähnlich wie die Neos im Parlament die Reduktion von Stützlehrern in den Klassen beklagt.

Verschärft wurde der Andrang von Kindern ohne Muttersprache Deutsch zuletzt durch die Flüchtlingswelle 2015/16. Dass die Zahl von Asylsuchenden mit Kindern deutlich nachgelassen hat, zeigt sich auch in den Daten zu den Deutschförderklassen in Wien. Im heurigen Schuljahr gibt es laut Bildungsdirektion 440 Deutschförderklassen, davon mit 369 die meisten in Volksschulen, immerhin 44 in Mittelschulen. Insgesamt gibt es 449 Deutschkurse. In Summe gerechnet werden mit Deutschfördermaßnahmen in Wien 11.714 außerordentliche Schüler unterrichtet.

Während der Corona-Zeit haben Lehrer und Schuldirektoren besonders stark den Eindruck gewonnen, sich um jede Menge bürokratischen Aufwand kümmern zu müssen statt um den Unterricht selbst. Seit dem heurigen Schuljahr gibt es, vielleicht war das auch der Gemeinderatswahl im Oktober geschuldet, an einer Reihe vor allem größeren Schulen Hilfe im Sekretariat für Schulleiter, an kleineren Pflichtschulen müssen sich Direktorinnen und Direktoren mit jedem Kleinkram jedoch weiter selbst herumschlagen. Gewerkschafterwünsche nach höheren Lehrerkontingenten wurden schon vor den Sommerferien nicht erfüllt, gleiches gilt seit Schulanfang bei Ausfällen von Pädagogen mit Corona-Erkrankungen.

In der Bilanz von Bildungsstadtrat Czernohorzy werden andere - durchaus imposante - Zahlen über die Schulentwicklung aufgelistet: 580 neue Klassenräume wurden in der auslaufenden Amtsperiode geschaffen, allein 200 davon im heurigen Wahljahr. Die Investitionen in Schulen und Kindergärten beliefen sich auf 711 Millionen Euro.

SPÖ setzt auf verschränkte Ganztagsschulen

Wohin die Schulreise in der Bundeshauptstadt mit der SPÖ dabei geht, ist ebenfalls nicht zu übersehen - mit Volldampf in Richtung der von der SPÖ seit langem propagierten Ganztagsschulen, damit vor allem auch Frauen berufstätig sein können. Auch dabei liegt man mit den Neos auf Linie. Neu gebaut wurden sogenannte Campus-Modelle mit Kindergarten und Schulen in einem Gebäudekomplex. Erst im heurigen Schuljahr hat die SPÖ ein "Herzensprojekt" gestartet, "verschränkte" Ganztagsschulen mit abwechselnd Schul- und Freizeitphasen, die für alle Schüler die Anwesenheit in den Schulen notwendig macht.

Das bereitet einerseits Sportvereinen Schwierigkeiten, beendet die von der ÖVP bundesweit propagierten Ganztagssschulen, in denen Kinder am Nachmittag die Freizeit in Schulen oder auch daheim verbringen können. Die Stadt Wien macht finanziellen Druck für ihre Variante, weil die verschränkte Ganztagsschule keine Zusatzbeiträge für Eltern vorsieht.