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Das süße Leben statt Dolce far niente

Von Simon Rosner

Politik
Die Staatsoper in Wien von der Terrasse des Albertina Museums aus gesehen: Die Menschen in Österreichs Städten geben einen vergleichsweise hohen Anteil ihres Einkommens für Freizeit und Kultur aus. Nur in Schweden sind diese Werte noch höher.
© Martin - stock.adobe.com

In Österreichs Städten geben die Haushalte besonders viel für Freizeit und Kultur aus, in Italiens Städten vor allem fürs Wohnen. Doch kann man Lebensqualität überhaupt messen?


Wien schmückt sich gerne mit Auszeichnungen zur Lebensqualität in der Stadt. Und nicht nur gerne, sondern auch häufig, denn an Ranglisten dazu mangelt es nicht. Befragt werden dabei jeweils unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und zu unterschiedlichen Faktoren. Doch kann man Lebensqualität überhaupt messen?

Das Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) hat sich dieser Frage über eine Datenanalyse angenähert und sich die Qualität der Daseinsvorsorge heimischer Städte im Vergleich zu anderen europäischen Metropolen angesehen. Der Auftrag zu dieser Studie kam vom Büro für Daseinsvorsorge und Kommunalwirtschaft der Stadt Wien sowie vom Städtebund. Die Autoren betonen, dass ihre Arbeit nur einen Teilbereich davon abdeckt, was Lebensqualität ausmacht. Sie wird nicht nur durch kommunale Infrastruktur definiert, aber sehr wohl: auch.

Es ist keine Überraschung, dass Wien sowie auch andere größere Städte Österreichs im internationalen Vergleich gut abschneiden. Zu beachten ist dabei, dass diese Vergleiche komplex sind und die Datenlage oft nicht einheitlich vorliegt. Spannend ist aber jedenfalls eine Erkenntnis, die aus der Analyse der Konsumausgaben von Haushalten in europäischen Städten gewonnen wird: Die Menschen in Österreichs Städten geben einen vergleichsweise hohen Anteil ihres Einkommens für Freizeit und Kultur aus. Nur in Schweden sind diese Werte noch höher.

Das ist wohl nicht nur dem österreichischen Hedonismus geschuldet, sondern auch vergleichsweise geringen Kosten, die für Wasser, Energie, den öffentlichen Verkehr und speziell Wohnen anfallen. "Das sind große Kostenfaktoren. Wenn man diese reduziert, kann man sich an anderer Stelle mehr leisten", sagt Mario Holzner, einer der Autoren der Studie und Leiter des WIIW.

Holzner sieht das auch als Wettbewerbsvorteil für österreichische Städte. Das nominelle Lohnniveau muss gar nicht so hoch liegen, um in Wien, Innsbruck, Graz und Linz ein relativ gutes Leben führen zu können. In Italiens Großstädten ist dagegen vom Dolce-far-niente-Klischee nicht mehr viel übrig. Die Pro-Kopf-Ausgaben in Mailand und Rom für den Bereich Freizeit und Kultur betragen auch nach Berücksichtigung der Kaufkraft ein Drittel von den Städten Österreichs. Wohnraum ist in Italiens Metropolen dafür deutlich teurer.

Merklich Luft nach oben findet sich im europäischen Vergleich bei der Kinderbetreuungsquote, wobei Wien hier noch besser abschneidet als andere österreichische Städte. Die Autoren haben in ihrer Arbeit aber auch Österreich mit Bayern verglichen und dabei den ländlichen Raum ebenfalls miteinbezogen. Das scheinbar konservative Bayern überrascht hier, denn über alle Gemeindegrößen hinweg ist die frühkindliche Betreuung viel stärker ausgebaut und liegt meist rund 20 Prozentpunkte über jener Österreichs. Und München schneidet bei der Betreuung der 0- bis 3-Jährigen im Vergleich zu Wien deutlich besser ab.

Österreich, das Landder Spitalsbetten

"Das Defizit im Bereich der Bildung haben wir auf mehreren Ebenen gesehen", sagt Holzner. Der Anteil von Kindergärten, die länger als zehn Stunden pro Tag offen sind, liegt in Wien bei knapp 90 Prozent, in anderen Bundesländern meist eher um 20 Prozent.

Bei der Gesundheitsversorgung, die natürlich vor allem seit Beginn der Pandemie besonders im Fokus der Öffentlichkeit steht, schneidet Österreich sehr gut ab, wobei sich Wien puncto Krankenhausbetten nur im Mittelfeld Europas findet. An der Spitze, auf den Plätzen eins bis vier, liegen Linz, Graz, Salzburg und Innsbruck. Zu beachten ist dabei allerdings auch die Siedlungsstruktur des Landes, da Österreich nicht sehr urban ist. Nur 13 Städte haben mehr als 30.000 Einwohner, Bayern mit seinen insgesamt 13 Millionen kommt immerhin auf 34 Städte in dieser Kategorie. Diese Struktur entlastet wiederum größere Städte in der Bereitstellung von Infrastruktur.

Umgekehrt zeigt die Aufbereitung des WIIW, dass in Österreichs Städten die Ärztedichte nicht so stark ausgeprägt ist wie in anderen Metropolen Europas. Führend sind hier Prag und Athen sowie auch Hamburg und Berlin. Hier kommt einerseits wohl auch der ambulante Spitalsbereich ins Spiel, der in Österreich mitunter haus- und fachärztliche Versorgung übernimmt, die Autoren weisen aber auch daraufhin, dass in der Statistik für Österreich Zahnärzte nicht inkludiert sind. Der Abstand etwa zu den deutschen Städten ist aber deutlich größer, als dieser Effekt ausmachen könnte.

Im Bereich des öffentlichen Verkehrs befinden sich Österreichs Städte im Mittelfeld Europas, Hamburg hat hier eine herausragende Stellung in Europa, allerdings ist die Jahreskarte auch teurer. Die Bewohnerinnen und Bewohner der heimischen Städte können vergleichsweise günstig öffentlich fahren.

Der große Unterschied zu vielen Metropolen sind aber die Wohnkosten. Im Durchschnitt geben die Einwohner der Städte Österreichs nur 26 Prozent ihres Einkommens für Wohnen aus. Vor allem in den Städten osteuropäischer Länder ist der Anteil der Haushaltsausgaben für das Wohnen sehr hoch, auch in Mailand und Rom liegt er bei 40 Prozent. Was diese Städte ein: weniger sozialer Wohnbau, dazu ein hoher Eigentumsanteil.

Ein Schluss der Studie, so Holzner, sei es, noch mehr auf Gemeindebau und Genossenschaft zu setzen. Das hält die Wohnkosten niedrig und ist auch eine indirekte Förderung von Freizeit, Kultur und Gastronomie.