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Wien als "Wasserstoff-Hub"

Von Johannes Greß

Politik
Die Wasserstofftankstelle in der Shuttleworthstraße. Wie ökologisch der Kraftstoff ist, hängt von der Art ab, auf die er produziert wurde.
© Jasmin Ziegler

Wasserstoff ist teuer, die Antriebstechnologie nicht ausgereift - aber in der Wiener Verkehrspolitik trotzdem hoch im Kurs.


Mitte Oktober soll es so weit sein: In der Leopoldau eröffnet die Wasserstoff-Tankstelle der unlängst gegründeten "Wiener Wasserstoff GmbH". In Simmering laufen bereits die Vorarbeiten zum Bau einer Elektrolyseanlage. Geht es nach Bundeskanzler Sebastian Kurz, soll Österreich "Wasserstoffnation Nummer eins" und Wien zum "Wasserstoff-Hub" der Ostregion werden. Doch Wasserstoff (H2) ist teuer, die Umwelteffizienz nicht immer gegeben und die Technologie vielfach nicht ausgereift.

Seit die Europäische Union im Juni 2019 die "Clean Vehicles Directive" (CVD) verabschiedet hat, sind öffentliche Körperschaften unter Zugzwang. Denn die CVD verpflichtet die Politik, den Anteil an emissionsfreien Bussen jährlich zu steigern. Franz Greil von der Abteilung Umwelt und Verkehr der Arbeiterkammer Wien spricht von "knallharten gesetzlichen Vorgaben". Und da laut Wiener Linien "die Batterietechnik alleine heute nicht imstande ist, sämtliche Dieselbusse abzulösen", ist die Direktive auch eine kostspielige.

Während ein zwölf Meter langer Dieselbus rund 260.000 Euro kostet, sind es bei vergleichbaren batteriebetriebenen Fahrzeugen rund 450.000 Euro und bei einem Wasserstoff-Bus etwa 700.000 Euro. Die Kosten für den Bau einer entsprechenden Tankstelle bewegen sich laut Wiener Linien im unteren einstelligen Millionenbereich.

Große Reichweite, wenig Gewicht

Das Umweltministerium fördert den Bau einer Wasserstofftankstelle mit je 150.000 Euro, insgesamt sollen in den nächsten zehn Jahren 500 Millionen an Investitionsförderungen in Wasserstoff- bzw. Elektrolyseanlagen fließen. Förderungen, um die auch Gerhard Fida, Geschäftsführer der Wiener Netze ansuchen will. Ende vergangenen Jahres gründete er im Verbund mit Wien Energie und den Wiener Linien die "Wiener Wasserstoff GmbH". Hier sollen sämtliche Fäden zusammenlaufen, wenn es darum geht, die Wiener auf H2-Kurs zu bringen.

Auf dem Weg zur Dekarbonisierung des öffentlichen Verkehrs sieht Fida im Wasserstoff einen "besonders wichtigen Baustein". Denn während im Bereich des Individualverkehrs die E-Mobilität dem Gas höchstwahrscheinlich den Rang ablaufen wird, sieht die Welt bei schweren Fahrzeugen wie Bussen anders aus. Die Betankungszeit ist im Vergleich zum Strom kürzer, die Reichweite größer und das Fahrzeug an sich leichter. Bei einem Bus dauert einmal Volltanken im Schnitt zwischen acht und zwölf Minuten, das reicht für etwa 400 Kilometer. Das verleiht den Wasserstoff-Bussen vor allem auf längeren Strecken einen Vorteil gegenüber elektrisch betriebenen. Sobald die Tankstelle in der Leopoldau fertiggestellt ist, sollen Testfahrten folgen und private Nutzer, wie zum Beispiel Speditionsdienste, die Anlage testweise nutzen können. "Es geht darum, das Interesse möglichst breit zu streuen", bekräftigt Fida.

Ein buntes Angebot an Wasserstoff

Wasserstoff ist mittlerweile zu einer bunten Angelegenheit geworden, die "Farbenlehre" reicht von grauem, blauen, pinken bis hin zum grünen Wasserstoff. Grauer Wasserstoff kommt überwiegend in der Industrie zum Einsatz, wird aus fossilen Energieträgern gewonnen und bietet ökologisch kaum Vorteile. Blaues H2 wird aus Erdgas hergestellt, wobei die entstehenden Emissionen abgesondert und gespeichert werden. Das ist das umstrittene Carbon Capture and Storage (CCS). Kernenergie soll für pinken Wasserstoff sorgen und einzig die grüne Variante wird vollständig aus erneuerbaren Energien gewonnen. Ist in der Debatte von "sauberen" oder "nachhaltigen" Wasserstoff die Rede, muss damit nicht zwingend grüner Wasserstoff gemeint sein. Doch nur die grüne Variante bedeutet einen tatsächlichen ökologischen Fortschritt, betont Josef Thoman, Experte für Energiepolitik bei der Arbeiterkammer Wien.

Grün soll auch der Wasserstoff sein, den die Simmeringer Elektrolyseanlage produziert und spätestens 2023 soll auch der Wasserstoff, der in der Leopoldau getankt wird, ausschließlich aus erneuerbaren Energien stammen, betont der Chef der Wiener Netze Gerhard Fida.

Doch grün ist nicht nur die einzig wirklich nachhaltige, sondern gleichzeitig auch die teuerste Variante. "Die Kosten für diese Transformation, dürfen nicht den privaten Haushalten über die Gasrechnung aufgehalst werden", fordert Thoman. Für eine sozial verträgliche Förderung von grünem Wasserstoff müsse die öffentliche Hand entsprechend Geld in die Hand nehmen, etwa aus dem Recovery-Fund der EU. Die Gründung einer zentralen "Wasserstoff GmbH" begrüßt Thoman. Wasserstoff werde in Zukunft ein wichtiger Teil unseres Energiesystems und damit auch der Daseinsfürsorge sein - und müsse sich daher in öffentlicher Hand befinden.

Thoman ortet auch andernorts Potenzial. Der Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere der Photovoltaik-Anlagen, wird in Österreich dafür sorgen, dass es im Sommer zu Stromüberschüssen kommt, während es im Winter an Strom fehlt. Langfristig müsse es darum gehen, diese Überschüsse in den Winter zu bringen - indem sie in Form von Wasserstoff gespeichert werden. Das sei prinzipiell möglich, "technisch und wirtschaftlich ist das aber noch ein weiter Weg", resümiert Thoman, der davon ausgeht, dass noch einige Jahrzehnte Entwicklung nötig sein werden.

Auch in den Reihen der Wiener Linien sieht man im Wasserstoff kein Allheilmittel. Nach ersten Testfahrten im Juni vergangenen Jahres soll der Testbetrieb sukzessive ausgebaut werden, bis dann 2024 zehn Busse auf der Linie 39A zum Einsatz kommen. Eher ein vorsichtiges Herantasten als eine verkehrspolitische Wasserstoff-Revolution, denn bis 2030 sollen die CO2-Emissionen des Verkehrssektors in der selbsternannten "Klimamuster-Stadt" im Vergleich zu heute um 50 Prozent pro Kopf sinken.

Um dieses Ziel zu erreichen, wird es nicht reichen, das Verkehrsaufkommen in Wien lediglich mit neuen Technologien auszustatten, seien es nun Batterien oder Brennstoffzellen. "Die Mobilitätswende ist keine Antriebswende, sondern eine gesamtgesellschaftliche Mobilitätswende", bekräftigt Greil. Das bedeutet: Das Verkehrsaufkommen muss insgesamt geringer werden, mehr Strecken zu Fuß, per Rad, in den Öffis oder via Carsharing zurückgelegt werden. "Ein Wasserstoff-Bus kann hier nur ein kleiner Teil des Ganzen sein."