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Der Betonklotz des Anstoßes

Von Matthias Winterer

Politik
In den 1960er Jahren versprühte das Hotel Intercontinental Glanz und Stil. Das "Who is Who" der Welt gastierte am Heumarkt. Heute wird das Haus eher als Bausünde empfunden.
© Winterer

Zwielichtige Verkäufe, suspekte Widmungen, strategische Gerichtsgänge, Korruptionsverdacht. Wien muss dem Investor Michael Tojner danken. Sein Projekt am Heumarkt legt seit Jahren offen, wie die Stadt wirklich tickt. Eine Analyse.


Wir sehen uns vor Gericht. Der Satz bedeutet Eskalation. Fällt er in einem Nachbarschaftsstreit, geht sich ein Bier am Gartenzaun nicht mehr aus. In der Politik ist das anders. Immer wieder beenden Gerichte politische Kontroversen. Das Adoptionsverbot für gleichgeschlechtliche Paare kippte ein Gericht. Den Bundestrojaner kippte ein Gericht. Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz kippte ein Gericht. Die Anerkennung des "dritten Geschlechts" setzte ein Gericht durch. Die "Ehe für alle" setzte ein Gericht durch. Für die Parteien gibt es Schlimmeres. Als die Bundesregierung 2019 die gleichgeschlechtliche Ehe legalisierte, konnte die ÖVP mit Fug und Recht behaupten, dagegen gewesen zu sein. Leider sind ihr die Hände gebunden, das Gericht hat entschieden. Die Auslagerung von politischen Entscheidungen lässt Parteien ihr Gesicht vor ihrer Klientel wahren - vor allem bei ideologischen Grundsatzfragen.

Auch Wien beherrscht eine Kontroverse. Der geplante Bau am Heumarkt ist seit Jahren Politikum. Unter der Bevölkerung genießt das Vorhaben kein hohes Ansehen. Bürgerinitiativen, Anrainer, die Opposition, sogar die Unesco stemmten sich gegen die Pläne des Investors Michael Tojner. Die Stadtregierung war dafür. So ganz konnte sie sich trotzdem nicht zum Baustart durchringen. Schließlich will man seine Wähler nicht vergrämen. Der private Luxusturm eines millionenschweren Investors auf einst öffentlichem Grund stößt wohl so manchem Sozi sauer auf. Eine verzwickte Lage. Der Ausweg könnte über ein Gericht führen.

Vor drei Jahren suchte Tojners Unternehmen Wertinvest am Wiener Magistrat um eine Baubewilligung für das Heumarkt-Projekt an. Die Behörde muss innerhalb einer gesetzlichen Frist von sechs Monaten entscheiden. Hat sie nicht. Die Anwälte des Investors brachten im März 2021 eine Säumnisbeschwerde ein. Der Fall ging an das Verwaltungsgericht Wien. Es muss nun anstelle der Stadt entscheiden. Der Weg vor das Gericht hätte sich für beide Seiten als Glücksfall erweisen können. Tojner hätte seine ersehnte Bewilligung in den Händen halten, die Stadt, die ihren in Unschuld waschen können. Hätte. Sollte hinter dem Schachzug ein Plan gewesen sein, ging er nicht auf. Ganz im Gegenteil.

Der Weg durch die Instanzen

Das Verwaltungsgericht sah sich außerstande, eine Entscheidung zu treffen. Erst müsse geklärt werden, ob für den Neubau eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) nötig ist - oder eben nicht. Die Frage ist beinahe so alt wie das Bauvorhaben am Heumarkt selbst. In einer UVP bewerten verschiedene Gutachter mögliche Auswirkungen auf die Umwelt. Sollten sie zu groß sein, kann nicht gebaut werden. Eine UVP dauert lange. Die mittlere Verfahrensdauer liegt laut Umweltbundesamt bei 13 Monaten. Die Kosten trägt der Projektwerber selbst.

Tojners Wertinvest ist naturgemäß gegen eine UVP am Heumarkt. Auch die Wiener Landesregierung ist dagegen. Als zuständige UVP-Behörde befand sie 2018, dass keine UVP nötig sei. Die Entscheidung wurde allerdings von der Umweltinitiative Alliance For Nature vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) bekämpft. Mit Erfolg. Der negative UVP-Bescheid wurde aufgehoben. Doch Tojners Wertinvest ließ nicht locker. Sie legte Beschwerde am Verfassungsgerichtshof (VfGH) ein. An anderer Front kämpfte die Wiener Landesregierung gegen eine UVP. Sie ging vor dem Verwaltungsgerichtshhof (VwGH) gegen den Beschluss des BVwG in Revision. Das Dokument liegt der "Wiener Zeitung" vor. Unterzeichnet hat es Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Im Juni 2021 hob der VwGH das Urteil des BVwG wieder auf. Dem umstrittenen Bau am Heumarkt lag - zumindest rechtlich - fast nichts mehr im Wege. Einzig die Baubewilligung fehlte noch.

Nach Tojners Säumnisbeschwerde vergangenen März rückt diese nun wieder in weite Ferne. Denn das Verwaltungsgericht Wien bat Mitte September den Gerichtshof der EU (EuGH) um Hilfe. Der soll endgültig klären, ob es für den Neubau am Heumarkt eine UVP braucht. Laut österreichischem Gesetz ist sie nicht nötig. Im Städtebau muss eine UVP erst ab 15 Hektar und 150.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche durchgeführt werden. Der Heumarkt wäre also - so wie fast alle Bauvorhaben in Wien - zu klein. Doch die EU sieht das womöglich anders. Das Verwaltungsgericht Wien ist skeptisch, ob die heimischen Gesetze den Richtlinien der EU entsprechen.

Es werden Monate ins Land ziehen, bis der EuGH sein Urteil fällt. Doch es wird wegweisend sein. Sollten sich die nationalen UVP-Gesetze nicht als europarechtskonform erweisen, könnten sie gekippt werden. Das hätte Folgen weit über den Heumarkt hinaus. Hochhäuser, Wohnbauten, Krankenhäuser, Kinos, Theater, Schwimmbäder müssten eine UVP bestehen. Ganze Stadtentwicklungsgebiete, wie etwa das Nordbahnviertel - für das keine UVP durchgeführt wurde -, würden in Zukunft wanken. Wiens Stadtplanung müsste sich grundlegend ändern. Stein des Anstoßes ist der Heumarkt.

43 Meter ist das Hotel heute hoch.
© Winterer

Wieder einmal. Er sorgt seit Jahren für Debatten. Und zwingt die Stadt, sich mit ihrer Baukultur zu befassen. Im Grunde muss dem Investor gedankt werden. Tojners umstrittenen Pläne legen seit Jahren offen, wie die Stadt tickt - wie sie mit öffentlichem Grund und Boden umgeht, wie sie Flächen widmet, wie sie zu ihrem historischen Erbe steht, wie ihre Kommunalpolitik funktioniert. Der Streit um die UVP ist längst nicht die erste gesellschaftsrelevante Frage, über die Wien endlich spricht.

Die Fahne im Wind

Schon der Kauf des Grundstücks sorgte für Irritationen. Der alte Wiener Stadterweiterungsfond - der dem Bund, nicht der Stadt unterstand - befand sich 2008 bereits in Auflösung und veräußerte seine letzten verbleibenden Grundstücke - darunter das 9.727 Quadratmeter große Areal am Heumarkt. Die Wiener Stadtregierung ging auf die Barrikaden. Der damalige Planungsstadtrat Rudolf Schicker (SPÖ) zeigte sich empört, dass "in einer merkwürdigen Art und Weise, ohne Kontakt mit der Stadt aufzunehmen", öffentlicher Grund im Zentrum der Stadt verscherbelt wird. In einer Gemeinderatssitzung im Frühling 2008 sagte er: "Wir haben eine Bausperre für dieses Gebiet beantragt, um klarzumachen, dass die Stadt Wien nie und nimmer beabsichtigt, diesen Platz für Hochbauten irgendwelcher Natur freizugeben." Am selben Tag wurde das Grundstück verkauft.

Der Rechnungshof kritisierte 2012 den niedrigen Verkaufspreis. Das Vergabeverfahren hätte laut Prüfer gestoppt werden müssen. Neun Kaufinteressen gab es, darunter der Wiener Eislaufverein. Sein Pachtvertrag für das Grundstück läuft bis 2058. Der Verein bot eine Million Euro. Laut Recherchen der "Presse" lehnte der damalige Leiter des Stadterweiterungsfonds, Alexander Janda, das Angebot ab. Janda, ehemaliger Referent des ÖVP-Klubs, bestand auf dem marktüblichen Preis von zehn Millionen Euro. Das höchste Angebot im Bieterverfahren soll bei neun Millionen Euro gelegen haben. Trotzdem ging das Areal um nur 4,2 Millionen über den Tisch. Neuer Besitzer war die sogenannte "Buntes Wohnen" GmbH.

Das Geld wurde gespendet. Ein Gros ging an katholische Einrichtungen. Janda bekam dafür einen Orden vom Papst. Eine Million erhielt der Integrationsfonds, dessen Geschäftsführer Janda selbst war. 2011 wurde aus "Buntes Wohnen" die "Entwicklungs-GmbH", 2012 bekam sie einen neuen Mehrheitseigentümer - Michael Tojners Wertinvest. Im selben Jahr kauft Tojner das angrenzende Hotel Intercontinental. Die Vorgänge um den Verkauf des Grundstücks entsetzte rote und grüne Kommunalpolitiker. Sie sprachen von zwielichtigen Geschäften, dunklen Machenschaften, Korruption.

Heut weht ein anderer Wind durch das Rathaus. Die Fahnen haben sich gewendet. Wann genau der Sinneswandel einsetzte, ist nicht bekannt. Plötzlich stand die Stadtregierung hinter Tojners Heumarkt-Plänen. Bürgermeister Ludwig sprach von einer "wichtigen Maßnahme, um Wien zukunftsfit zu machen". Die damalige Planungsstadträtin und Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grünen) lobte den "sozialen Mehrwert" des Projekts. Vehement verteidigte die Stadt den umstrittenen Neubau gegen jede Kritik. Und ebnete ihm hemmungslos alle Wege. Die UVP lehnte sie ab. Das Hochhauskonzept der Stadt passte sie Tojners 66-Meter-Turm an. Die Widmung setzte sie durch. Die Drohung der Unesco - der Innenstadt den Welterbe-Titel abzuerkennen - schlug sie in den Wind. Alles für den Investor Michael Tojner.

Die Demontage der Partei

Die Gründe dafür mögen vielfältig sein. Ein möglicher schaffte es erst diese Woche wieder in die Schlagzeilen. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat Anklage gegen den früheren Planungssprecher der Grünen, Christoph Chorherr, und zehn weitere Personen erhoben. Unter ihnen prominente Immobilieninvestoren wie René Benko, Erwin Soravia - und eben Tojner. Es gilt die Unschuldsvermutung. Chorherr soll für das Heumarkt-Projekt bei den Wiener Grünen und im Gemeinderat lobbyiert haben. Tojner soll dafür an einen wohltätigen Verein ("S2Arch") gespendet haben, dessen Vorsitzender Chorherr war. Laut Anklage spendete Tojner 2017 und 2018 insgesamt 40.000 Euro an "S2Arch". Der Verdacht der WKStA beruht auf Chats. Einige fanden den Weg an die Öffentlichkeit. Sie liegen dem Magazin "Profil" vor.

Im Frühling 2017 flogen bei den Wiener Grünen die Fetzen. Die Parteibasis sprach sich in einer Urabstimmung gegen die Umwidmung des Grundstücks am Heumarkt aus. Die Parteispitze wollte sie trotzdem durchboxen. Am 1. Juni 2017 fiel die Entscheidung im Gemeinderat zugunsten Tojners. "Danke, sie sind großartig", schreibt der Investor Tojner dem Politiker Chorherr bereits kurz nach Ende der Sitzung. "Das veröffentliche ich jetzt nicht", antwortet dieser. Einen Tag später landet ein Mail einer Mitarbeiterin in Tojners Postfach: "Außerdem wolltest Du bei Widmung ITHUBA 5000 Euro spenden (Geburtstag S.). OK?" Ithuba ist der Name eines Schulprojekts von "S2Arch".

Belastende Chats und Mails wie diese finden sich in den Ermittlungsprotokollen viele. Geld ist definitiv geflossen, ob Chorherr dafür Einfluss auf Parteimitglieder und Gemeinderäte ausübte, müssen Gerichte klären. Fest steht, Tojner erhielt seine Hochhauswidmung. Auf Kosten der Wiener Grünen. Die Landesorganisation war gespalten. Die Basis fühlte sich von ihrem Vorsitz in den Rücken gefallen. Auf Kosten des Erbes der Stadt. Die Unseco setzte die Wiener Innenstadt einen Monat nach dem Gemeinderatsbeschluss auf die Rote Liste des gefährdeten Welterbes. Auf Kosten der Glaubwürdigkeit der Wiener Stadtregierung. Aus einem Baustopp im Jahr 2008 war ein Jahrzehnt später eine Hochhauswidmung geworden.

Der neue Versuch

2019 verordnete sich die Stadt selbst eine Nachdenkpause. Der Druck war zu groß geworden. Ein verfassungsjuristisches Gutachten bescheinigte der schwarz-blauen Bundesregierung die Möglichkeit, den Bau zu stoppen. Ein anderes die Unvereinbarkeit des Turmes mit den Vorgaben der Unesco. Zwei Jahre wollte die Stadt über das Areal nachdenken, wohl auch um das Thema vor der Wien-Wahl 2020 aus dem Fokus zu nehmen. Anfang 2021 drangen erste Details eines neuen Plans an die Öffentlichkeit. Der Turm sei Geschichte, dafür sollte der Hotel- und Kongressbau auf 55,2 Meter wachsen. Immer noch zu hoch für die Unesco, munkelten Experten. Doch auch diese Variante soll nun wieder vom Tisch sein. "Für ein adaptiertes Projekt für das Areal werden im Auftrag des Eigentümers in enger Abstimmung mit von der Unesco nominierten Experten mehrere Systemvarianten entwickelt", heißt es aus dem Büro der Planungsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) auf Anfrage der "Wiener Zeitung". Das Statement von Daniela Enzi, Geschäftsführerin der Wertinvest Hotelbetriebs GmbH, zu den aktuellen Plänen ist exakt das gleiche. "Mit einem Ergebnis dieses dialogischen Prozesses ist Anfang des Jahres 2022 zu rechnen", sagen beide, wie aus einem Mund.

Die Stadt und der Investor werden die Wiener also im kommenden Jahr informieren. Sie sahen sich vor Gericht. Ein Bier am Gartenzaun geht sich trotzdem noch aus. Sogar ein gemeinsames Immobilienprojekt im Herzen der Stadt ist noch drinnen.