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"SPÖ lebt soziale Werte nicht"

Von Christian Rösner

Politik
© Rösner

Karl Mahrer wird am Freitag zum neuen Wiener ÖVP-Chef gewählt und will mit Grätzlbelebung die Stadt sicherer machen.


So wie vor kurzem die Bundespartei wird auch die Wiener Volkspartei nun ihren neuen Obmann offiziell küren: Am Freitag wird Karl Mahrer zum Nachfolger von Gernot Blümel bestimmt. Und er wird auch sein neues Team vorstellen: Künftig gibt es mit Ingrid Korosec, Alexander, Caroline Hungerländer, Elisabeth Olischar, Harald Zierfuß und Margarete Kriz-Zwittkovits sechs statt drei Vize-Parteiobleute. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" hat Karl Mahrer über seine Pläne für die Wiener ÖVP gesprochen.

"Wiener Zeitung": Am Freitag werden Sie nun offiziell zum Parteichef der Wiener ÖVP gekürt - besser als Karl Nehammer in der Vorwoche können Sie wohl kaum abschneiden, aber erwarten Sie zumindest ein ähnliches Ergebnis?

Karl Mahrer:Ich erwarte mir gute Stimmung und hoffe darauf, dass meine Botschaften darüber, wofür die Wiener Volkspartei verstärkt in Zukunft stehen soll, gut angenommen werden und verkrampfe mich nicht in irgendeine Richtung, was Ergebnisse betrifft. Für mich ist nur wichtig, dass die Leute mit einem guten Gefühl nach Hause gehen. Ich definiere mich nicht über Prozentzahlen, ich definiere mich über mein Gefühl - und das ist ein gutes, was meine Parteikolleginnen und -kollegen betrifft.

Was wird die neue ÖVP anders machen als die alte?

Sie werden verstehen, dass ich vor dem Parteitag noch nicht alles preisgeben will. Wichtig ist mir aber auf jeden Fall klarzumachen, dass der Begriff Volkspartei viel mehr ist als nur der Name einer Gesinnungsgemeinschaft. Ich möchte diesem Namen einen zusätzlichen, erlebbaren Sinn geben: Ich möchte mit der Volkspartei in einer Stadt, in der sehr viel Anonymität herrscht, viel näher bei den Menschen sein.

Was heißt das konkret?

Zum Beispiel, indem man das Grätzl betont. Denn letztlich ist ein gesundes, lebendiges Grätzl auch ein sicheres Grätzl. Natürlich ist für Sicherheit Polizei sehr wichtig. Aber wenn die Polizei kommt, geht es eigentlich nur noch ums Feuerlöschen. Wir müssen daher darauf schauen, was vorher ist.

Und was ist vorher?

Stadtplanung, Stadtentwicklung und Grätzlbelebung. Schauen sie sich die untere Favoritenstraße an, die Gumpendorfer Straße oder die Neulerchenfelder Straße - alles Bereiche ehemaliger Einkaufsstraßen, in denen es heute immer mehr leere Geschäftslokale gibt. Denn Handelsflächen wandern immer mehr in Einkaufszentren ab bzw. werden sie durch den Onlinehandel immer weniger. Deswegen mein Ansatz: Die Nutzung der Erdgeschoßlage, verbunden mit einer attraktiven Oberflächengestaltung der Straßen. Das heißt: Anreize für die Besitzer, die Lokale zu sanieren, Anreize für Mieter, hineinzugehen.

Aber wer soll dort hinein wollen, wenn es im vergangenen Jahrzehnt keiner mehr getan hat?

Zum Beispiel Menschen, für die Barrierefreiheit eine wichtige Voraussetzung ist: Das können Notare oder Anwälte sein - oder auch Ärzte, also Ordinationen oder Plätze für die viel geforderten Primärversorgungszentren plus Labors in der Nähe. Und es können auch sogenannte Nachbarschafts-Shops sein, wo wir das Homeoffice neu erfinden.

Mietbare Büros?

Ja, für Menschen, die zu wenig Platz für Homeoffice in der Wohnung haben. Die können dann gleich in ihrer Nähe stundenweise einen Arbeitsplatz mieten. Und dazu braucht man natürlich auch ein Finanzierungsmodell im Dreieck von Vermieter, Mieter und Stadt - wofür es etwa in Hamburg oder in Kopenhagen gute Beispiele gibt. Das hilft den Menschen, die dort wohnen, es hilft ihnen bei der Erreichbarkeit der Infrastruktur, es hilft den Vermietern, weil sie wieder was Gscheites aus ihren Lokalen machen können, es hilft den Mietern und es hilft letztlich - und jetzt schließe ich den Kreis wieder - der Sicherheit.

Das heißt, die ÖVP will jetzt sozialer werden?

Es geht darum, die Menschen in ihrem Lebensmittelpunkt abzuholen.

Das Wording "sozial" finden Sie wahrscheinlich für die ÖVP unpassend . . .

Christlich-Sozial trifft es besser. Es gibt drei Begriffe, die das christlich Soziale ausmachen: Personalität, Solidarität und Subsidiarität. Also der Mensch steht im Mittelpunkt. Wir wollen Menschen helfen, die sich selbst nicht helfen können. Deswegen sind wir ja nicht nur die ÖVP, sondern ganz bewusst die Volkspartei. Aber wir wollen auch die Menschen fördern, die etwas leisten wollen, weil sonst alle glauben, dass sich Leistung nicht auszahlt. Denn Arbeit ist nicht Leid. Arbeit ist Recht und kann erfüllend sein. Aber Arbeit ist auch Pflicht gegenüber der Gesellschaft. Und es geht um Eigenverantwortung - etwa bei der Mobilität: Jeder soll das Verkehrsmittel benützen, das er will - er soll zu nichts gezwungen werden.

Mit diesen Werten kommen sie aber trotzdem jenen der SPÖ sehr nahe. Und für die Umsetzung Ihrer Ideen werden Sie die SPÖ auch brauchen - deutet Ihr Programm auf den Wunsch einer großen Koalition bei der nächsten Wahl hin?

Da werden Sie mir am Parteitag gut zuhören müssen, denn mein Befund über die Arbeit der Stadt ist, dass die SPÖ die christlich sozialen Werte und vor allem das Soziale, das da drinnen steckt aus meiner Sicht nicht lebt. Bei der Wiener SPÖ steht der Mensch nicht im Mittelpunkt, sondern der Zentralismus. Man muss sich nur den aktuellen Kindermissbrauchsfall in einem Kindergarten anschauen, der ein dreiviertel Jahr lang vertuscht wurde. Auch beim Parkpickerl hat man gesehen, dass über alle Menschen einfach drübergefahren wurde. Und ja, wir haben ein klares Ziel: Wir wollen die absolute Mehrheit der SPÖ in Wien verhindern. Und um unsere Werte durchsetzen zu können, müssen wir eine gewisse Stärke erzielen. Und dann werden wir sehen, ob es möglich sein wird, unsere Werte und jene der SPÖ in einer vernünftigen Regierungskoalition zusammenzubringen. Derzeit macht der Linksblock im Rathaus zwei Drittel aus - und so sieht auch das Produkt aus.

Sie zählen die Wiener Neos zum Linksblock?

Die Neos sind längst keine wirtschaftsliberale Partei mehr. Sie sind nur ein Anhängsel, das bei ihren Ressortverantwortungen Bildung, Integration und Transparenz völlig versagt: Bei der MA 35 (Einwanderung und Staatsbürgerschaft, Anm.) hebt niemand mehr ab, den Missbrauchs-Skandal habe ich schon erwähnt - und Transparenzoffensive ist auch weit und breit keine in Sicht. Auch auf das werde ich am Landesparteitag ausführlich eingehen.

Also wieder back to the roots, zurück zu den bunten Vögeln der 1980iger Jahre, um wieder das aufzugreifen, was unter Sebastian Kurz von vielen vermisst wurde? Und wird Karl Nehammer ebenso diesen Kurs auf Bundesebene einschlagen?

Ich bin sehr gut mit Karl Nehammer befreundet und wir haben jahrelang intensiv zusammengearbeitet, aber er hat eine andere Plattform zu bedienen als ich. Ideologisch muss man Bund und Stadt natürlich in einem sehen, aber die Themen sind andere. Und ich würde nie back to the roots sagen - denn auch die Politik von Sebastian Kurz war von christlich sozialen Werten geprägt, wenn man etwa denn Leistungsbegriff hernimmt. Wir haben nur auf die Bedeutung mancher Begriffe vergessen - so wie ich vorhin gesagt habe: Sind wir die ÖVP oder sind wir die Volkspartei? Ist das allen klar? Nein, das ist es nicht. Wir müssen uns als Volkspartei einfach wieder viel mehr um die Menschen kümmern.

Wird die neue Wiener Volkspartei eigentlich auch eine neue Farbe bekommen?

Ich würde Sie bitten, auch mit dieser Frage den Landesparteitag abzuwarten.