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"Wir werden weiter kämpfen"

Von Georg Hönigsberger

Politik
Das Camp unter den Bäumen muss laut Stadtgartenamt geräumt werden.
© Georg Hönigsberger

Die Aktivisten des Protestcamps gegen Straßenbauten wollen sich auch neuen Räumungsdrohungen nicht beugen.


Der lang schwelende Konflikt zwischen der Stadt Wien auf der einen und Klimaaktivisten auf der andren Seite ist seit Montag um eine Facette reicher. Vier uniformierte Polizisten und Mitarbeiter der Landespolizeidirektion sowie des Wiener Stadtgartenamtes (MA 42) waren im von mehreren Organisationen betriebenen Protestcamp der Umweltschützer vorstellig geworden. Der Grund: Das Camp müsse aufgrund von Baumpflegemaßnahmen geräumt werden. Ein Ansinnen, dem die Aktivisten eine Absage erteilten. Sie haben eine aufrechte Genehmigung, den politischen Protest bis 30. September 2022 fortzusetzen.

Beim Lokalaugenschein der "Wiener Zeitung" am frühen Montagnachmittag war von der Aufregung, die um das eineinhalbstündige Gespräch mit Vertretern der Staatsgewalt geherrscht hat, nichts mehr zu spüren. Business as usual. Seit beinahe einem Jahr - am kommenden Wochenende wird das Jahresfest des Camps begangen - haben sich die Klimaschützer auf einem Grundstück neben der Baustelle der sogenannten Stadtstraße im 22. Bezirk wohnlich eingerichtet.

In einer zusammengezimmerten Gemeinschaftsküche wird gekocht. Diesmal gibt es Gemüseeintopf. Daneben steht ein Zelt, vor dem Obst und Gemüse gratis angeboten werden. "Die Lebensmittel stammen alle aus dem Müll von Supermärkten", erklärt Anna Kontriner von der Organisation Extinction Rebellion. "Es kommen sogar Anrainer aus den Gemeindebauten der Umgebung, um sich bei uns gratis Erdäpfel oder andere Lebensmittel zu holen." In der Jurte, die auch im Winter wohlig warm beheizbar ist, findet ein Siebdruck-Workshop statt, in einem anderen Zelt werden Räder repariert, in dem daneben Kleidung, Schuhe, Schlafsäcke und andere Utensilien zur Gratis-Entnahme angeboten. Es gibt sogar eine Waschstelle. "Das Wasser stellt uns die Pfarre von nebenan zur Verfügung", sagt Kontriner. Die etwas abseits gelegene Toilette ist ein Kompost-Klo, deren Inhalt von einer beauftragten Firma entsorgt wird. Gesäumt wird die Szenerie von einem Dutzend Zelte, die den Aktivisten als Rückzugsort und Schlafstelle dienen.

"Ohne Bescheid"

Das Gespräch mit Aktivistinnen findet im Wohnzimmer-Zelt auf einer Eck-Couch statt, wo sich einer ihrer Kollegen zur Mittagspause ausgestreckt hat. Dort erklärt Lena Schilling vom Jugendrat: "Die Polizei hat gemeint, das Camp müsste wegen Baumbeschneidungen geräumt werden. Aber die sind ohne Bescheid oder irgendeinem Schriftstück bei uns aufgetaucht." Man wolle, ganz im Sinne der Umwelt, Baumpflegemaßnahmen aber keineswegs im Weg stehen, heißt es seitens der Umweltschützer. "Wir haben angeboten, das Camp auf die Wiese nebenan zu verlegen." Dies könne bis 5. September bewerkstelligt werden. Seitens der Polizei wurde gegenüber der "Wiener Zeitung" erklärt, dass man die Camper auffordere, die Zeltstadt zu räumen, weil die Stadt Wien mit den Bauarbeiten für die Stadtstraße beginnen wollen. Man geht seitens der Exekutive aber davon aus, dass die meisten das Feld nicht freiwillig räumen werden. Bei anderen ähnlich gelagerten Fällen sei es schon zu Räumungen mit Gewaltanwendung gekommen, "auch wenn sie sich angekettet haben". Eine Frist, in der die Klimaaktivisten ihr Camp beseitigen müssen, sei aber nicht genannt worden.

Das Camp selbst ist als politische Veranstaltung angemeldet. Anders verhielt es sich mit den beiden Besetzungen der Stadtstraßen-Baustellen im 22. Bezirk bei der Südost-Tangente und der Hausfeldstraße, die nicht genehmigt waren und von der Exekutive auf Antrag der Stadt Wien geräumt werden mussten.

Kritik üben die Aktivisten nach wie vor - und das ist ja auch der Grund für die Zeltstadt in der Donaustadt - an den Plänen der Stadt Wien, die Stadtstraße zwischen dem geplanten Lobautunnel und der Tangente errichten zu wollen. "Neue Straßen ziehen nur neuen Verkehr an", sagt Anna Kontriner. "Man schafft ein Angebot und damit auch künstlich die Nachfrage." Zudem sei das Argument der Stadt, die Stadtstraße würde den Anrainern dienen, nur vorgeschützt. "Da geht es um den großen Transitverkehr in Europa." Nicht umsonst habe sich ein großer Bauunternehmer eine Fläche für ein Logistikzentrum nahe der in Bau befindlichen Straße gesichert, heißt es.

Nun setzt die Stadt Wien nicht auf bauliche, sondern auf gärtnerische Argumente. Die jüngste Evaluation der Situation des Protestcamps, "das sich auf einer öffentlichen Erholungsfläche befindet", habe ergeben, dass die Auswirkungen des monatelangen Kampierens "nicht weiter tragbar sind", heißt es seitens der MA 42 (Stadtgartenamt). "So ist die hygienische Situation vor Ort problematisch, da sie mittlerweile zu einer Rattenplage geführt hat. Aufgrund dessen, aber auch wegen anderer Vorkommnisse sind die Sicherheitsbedenken zu groß geworden. Zudem kann etwa der Baumbestand seit geraumer Zeit nicht mehr kontrolliert und gepflegt werden." Im Sinne der Anrainer müsse die Fläche daher wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden.

Beim Lokalaugenschein führten Anrainer ihre Hunde auf dem Gelände äußerln und fühlten sich offensichtlich durch die Camper nicht gestört. Von Ratten will man bei den Aktivisten nichts wissen. "Das haben wir heute zum ersten Mal gehört."

Jubiläumsfeier

Spannend ist allemal, ob die Stadt Wien zu härteren Bandagen greifen wird. Schließlich wird am kommenden Wochenende das Jahresjubiläum mit Konzerten und Veranstaltungen am Camp-Gelände in der Anfanggasse gefeiert. Die Aktivisten geben sich kämpferisch. "Es ist zu erwarten, dass die das mit der Räumung irgendwann durchziehen, aber wir werden mit dem Protest weitermachen", sagt Kontriner. Abgesehen davon habe man bis 30. September das von der Verfassung geschützte Recht auf Protest auf diesem Grundstück.

"Wir wollen den Straßenbau auf jeden Fall verhindern", ergänzt die Aktivistin mit Blick auf die wenigen Meter entfernten, riesigen Baumaschinen, die schon seit Monaten die Vorbereitungsarbeiten für den Stadtstraßen-Bau vornehmen. "Wir werden wieder Proteste starten und Baustellen besetzen und weiter kämpfen", sagt Kontriner. "Wenn sogar der Weltklimarat sagt, dass wir nur mehr zwei bis drei Jahre Zeit für die Klimawende haben - auf was sollen wir da noch warten?"