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Schädliches Framing

Von Christian Rösner

Politik

Wer wohl wegen der Wien Energie wen "gelegt" hat, ist eine Glaubensfrage, aber die desaströse Krisenkommunikation lässt sich nicht wegdiskutieren. Eine Analyse.


Die Erzählungen über die Vorgänge am vergangenen Wochenende in Sachen Wien Energie könnte von den betroffenen Parteien unterschiedlicher nicht sein - oder man könnte auch sagen: Sie könnten ähnlicher nicht sein, weil jede Seite von sich behauptet, "gelegt" worden zu sein. Was sich allerdings nicht wegdiskutieren lässt, ist die gescheiterte (Krisen-)Kommunikation seitens der Stadt Wien.

Zum einen, weil es bis heute für niemand nachvollziehbar ist, dass im Vorfeld auf politischer Ebene nicht parteiübergreifend geredet wurde - sowohl in Richtung Bund als auch in Richtung des Koalitionspartners. Denn angesichts der Tatsache, dass Bürgermeister Michael Ludwig gezwungen war, bereits im Juli per Notkompetenz in der Stadtverfassung 700 Millionen Euro zur Absicherung der Wien Energie freizugeben, hätte ein weiterer möglicher Finanzbedarf abseh- und kommunizierbar sein müssen.

Und zum anderen, weil die Wien Energie ohne vorgelagerte politische Kommunikation bei der Bundesregierung um Milliardenbeträge gebeten hatte, ohne sich vorher eine Krisenkommunikationsstrategie zurechtgelegt zu haben, für den Fall, dass trotz angeblichem Stillschweigeabkommen doch etwas an die Medien durchsickert. Und nicht einmal danach war man bei der SPÖ in der Lage, jemanden vorzuschicken, der die Lage zumindest aus eigener Sicht erklären konnte. Diese Schockstarre führte sogar so weit, dass die Bundesparteivorsitzende das Thema betreffend völlig blank zur Hauptsendezeit bei den Sommergesprächen des ORF saß.

Drei Tage dauerte es schließlich, bis sich die Zahnräder der SPÖ allmählich zu bewegen begannen und Argumentationslinien gefunden wurden. Bis dahin gab es nur einen Pressesprecher - und es war keiner des Finanzressorts -, der auf seinem privaten Twitteraccount versuchte zu erklären, wie der Energiemarkt funktioniert und warum es zu diesem hohen Finanzbedarf bei der Wien Energie gekommen sei.

In der Medienkommunikation ist es so, dass meistens die erste Schlagzeile - sofern sie stark genug ist - in den Köpfen der Bevölkerung hängen bleibt. In dem Fall war das der Frame: "Wien Energie vor Pleite". Und es war ein starker und vor allem rufschädigender Frame. Denn dieser erzeugt innere Bilder vom vermeintlich "größten Energieanbieter Österreichs" (Pamela Rendi-Wagner), der zusperren muss, und dass zwei Millionen Menschen im Winter nicht mehr heizen können.

Selbst wenn man hier unmittelbar reagiert und versucht, mit stichhaltigen Argumenten entgegenzusteuern, erzeugt man nur ein geringes Maß an Überzeugungskraft. Und wenn man dann noch den Fehler macht, hier auch noch dasselbe Wording zu verwenden - "Wien Energie ist nicht pleite" oder "Wir spekulieren nicht" -, dann verstärkt sogar noch den Ursprungsframe. Denn bekanntlich kann unser Unterbewusstsein das Wort "nicht" nicht verarbeiten. Was bleibt, ist das Wort, das in Verbindung mit dem "nicht" steht: "Denke nicht an einen rosa Elefanten."

Das bestätigt auch Politikberater und Kommunikationsexperte Thomas Hofer: "Die Krisenkommunikation war wirklich unter jeder Kritik, weil man spätestens nach dem 15. Juli natürlich gesehen haben muss, dass das Ganze ein massives Problem werden kann. Das Thema war auf jeden Fall seit Kriegsausbruch in der Ukraine da."

Laut Hofer hätte die Wiener SPÖ genug Zeit gehabt, um sich für jenen Zeitpunkt breit aufzustellen, an dem sie sich als Bittsteller an die Bundesregierung wenden muss. "Da das nicht geschehen ist, konnte die SPÖ nur noch defensiv mit Verneinungen reagieren, und was bleibt, ist der Frame eines vor der Pleite stehenden Energieunternehmens, das verantwortungslos mit Milliardenbeträgen jongliert - egal, ob es so ist oder nicht", so Hofer weiter.

Auch dass dafür zum Teil die Journalisten verantwortlich gemacht wurden, sei eine Kommunikation in die falsche Richtung. "Da geht es vielmehr um die Menschen da draußen im Gemeindebau, um die SPÖ-Wählerschichten. Denn die fischen immer höhere Rechnungen aus ihrem Postkasten und wenn sie dann noch diese Schlagzeilen lesen, ist Feuer am Dach noch ein Hilfsausdruck."

Politische Schadenfreude

Aber auch die ÖVP habe laut Hofer zumindest gegenüber der Bevölkerung problematisch kommuniziert und sich übertrieben stark auf dieses Thema "gewuchtet". Hier sei die Ebene eines normalen Krisenmanagements weit überschritten worden. "Da hat sich ganz viel Emotion bei der ÖVP aufgestaut, die über Monate hinweg in der Defensive war im Match Bund gegen Wien, sodass die parteipolitische Schadenfreude jetzt stark durchdringt und hier eine Spin-Schlacht stattfindet", sagte Hofer. Es gibt ihm zufolge seit der Flüchtlingswelle 2015 eine dominante Strategie der ÖVP, die SPÖ in den Strudel zu ziehen. Und angesichts des Liebäugelns der SPÖ, möglicherweise nach der nächsten Wahl eine große Koalition anzustreben, hinterlässt die ÖVP gerade viel verbrannte Erde - und vergisst vielleicht auch darauf, dass die SPÖ in den kommenden eineinhalb Jahren dreimal in Folge (Wien, Burgenland, Kärnten Anm.) den Vorsitz in der Landeshauptleute-Konferenz haben und damit federführend bei den Finanzausgleichsverhandlungen sein wird.

Schuldzuweisungen

Abgesehen davon, dass durch dieses ständige Hickhack nicht gerade das Wählervertrauen gestärkt wird, wie auch Hofer meint: "Ich fürchte, der Wartesaal an Leuten, die nicht mehr wissen, wen sie wählen sollen, wird sich noch weiter füllen." Ein Miteinander in der Krise würde der Bevölkerung jedenfalls mehr Vertrauen vermitteln als gegenseitige Schuldzuweisungen.

Und apropos Schuldzuweisungen: Durch das Wort des Bürgermeisters ist nun auf allen Ebenen klargestellt, dass die Schuld bei der Wien Energie liegt - denn wie er in einem Interview erklärte, orte er ein "kommunikatives Versäumnis bei der Wien Energie." Inwieweit die politischen Ebenen darüber auch mehr Professionalität an den Tag hätten legen müssen, werden die kommenden Untersuchungen zeigen.