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Lueger war "hemmungsloser Antisemit"

Von Georg Hönigsberger

Politik

Die Arbeiten am künstlerischen Gegenentwurf zum Lueger-Denkmal in der Innenstadt haben begonnen.


Nach einer Galavorstellung von Grillparzers "Der Traum, ein Leben" Samstagabend im Burgtheater, wurde am Sonntag, dem 19. September 1926, das Lueger-Denkmal am Stubentor feierlich enthüllt. An der anschließenden Parade an der Ringstraße sollen 150.000 Menschen teilgenommen haben, beklatscht von 300.000 Schaulustigen. "Lueger hat der Stadt seiner Väter in seiner Art - wenn es notwendig war, auch mit Rücksichtslosigkeit - nach dem besten Wissen in Liebe gedient, als Bürgermeister ihre Entwicklungsinteressen kraftvoll verteidigt", sagte Bürgermeister Karl Seitz (SPÖ) bei der Feierlichkeit.

Seit fast 100 Jahren steht die Statue des von 1897 bis 1910 amtierenden Wiener Bürgermeisters Karl Lueger nun auf einem hohen Sockel am Ende der Wollzeile und schaut Richtung Stadtpark. Die Errichtung des Denkmals war nicht unumstritten und zog sich wie ein Strudelteig von Luegers Tod im Jahr 1910 bis zur Fertigstellung. Ursprünglich hätte das Monument vor dem Rathaus stehen sollen. Stattdessen wurde es nach langen Debatten am heutigen Standort errichtet. Der Platz vor dem Wiener Rathaus wurde von Doktor-Karl-Lueger-Platz auf Rathausplatz umbenannt, dafür erhielt der Standort des Denkmals den bis heute gültigen Namen Doktor-Karl-Lueger-Platz.

Rabiat und erfolgreich

Nach wie vor sorgt der populäre wie populistische christlich-soziale Politiker Lueger für Debatten. Sein einst strahlendes Image ist schwer angekratzt, Luegers Antisemitismus längst ein breit diskutiertes Thema. "Er war beides, ein hemmungsloser, rabiater Antisemit und ein erfolgreicher Kommunalpolitiker", sagt der renommierte Historiker Oliver Rathkolb.

Wie geht man mit Denkmälern um, die Leute verherrlichen, deren politisch hetzerischen Ansichten längst überholt sind? Darauf wusste man in Wien lange keine Antwort. Der Lueger-Ring wurde zwar vor zehn Jahren in Universitätsring umbenannt und dem Denkmal 2016 eine Tafel mit Erklärtext hinzugefügt, das war es schon. Ein von der Akademie der bildenden Künste vorgeschlagenes Projekt, das Monument um einige Grad zu kippen, wurde nie umgesetzt.

Vor etwa zwei Jahren wurde die Debatte neu entfacht. Schandwachen wurde abgehalten, das Denkmal besprüht und mit Schriftzügen versehen, die wiederum von einer rechtsextremen Gruppierung entfernt wurden. Um die Empörung über Luegers Standbild in geordnete Bahnen zu lenken, organisierte die Stadt Wien im Jahr 2021 einen Round Table mit Experten aus vielen Fachbereichen, der die Grundlage für die Entscheidung lieferte, das Denkmal permanent in einen künstlerischen Kontext zu setzen. Ein erster Schritt ist das Projekt "Lueger temporär" das die Künstler Nicole Six und Paul Petritsch soeben am Lueger-Platz errichten. Das 25 Meter lange und 12 Meter hohe Gerüst wird mit Silhouetten all jener Artefakte bestückt, die in Gedenken an Lueger in Wien zu finden sind - das Denkmal selbst, der Brunnen mit dem Lueger-Kopf am Siebenbrunnenplatz oder die Lueger-Kirche am Zentralfriedhof und viele mehr.

"Lueger temporär ist ein wichtiger Schritt, den Platz als lebendigen Mahn- und Lernort gegen Antisemitismus und politischen Populismus zu gestalten", sagte Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) bei der Präsentation des Projektes im Juli. "Kunst kann ein Gegengewicht herstellen, Bewusstseinsprozesse und öffentliche Diskurse anstoßen, die Vielfältigkeit von Geschichte und Geschichtsschreibung aufzeigen sowie Erinnerungskultur wachhalten."

Die Installation wird am kommenden Mittwoch der Öffentlichkeit vorgestellt und soll etwa ein Jahr lang am Lueger-Platz stehen, ehe es einem neuen Projekt weicht, das dauerhaft für eine Auseinandersetzung mit dem Populisten und Antisemiten sorgen soll.

Wie schon bei "Lueger temporär" wird auch beim neuen Projekt die Gesellschaft "Kunst im öffentlichen Raum" (KÖR) für die Koordination und Umsetzung verantwortlich zeichnen. "Kommende Woche findet die konstituierende Sitzung der Jury statt", sagt Cornelia Offergeld von KÖR. Der Jury, der unter anderem die Kulturwissenschafterin Aleida Assmann angehören wird, wird sich mit den Entwürfen von 15 geladenen Künstlerinnen und Künstlern auseinandersetzen. Die erste Begehung des Platzes mit den Projekt-Teilnehmern findet im November statt. Im kommenden Frühjahr soll die Entscheidung fallen, wessen Kunstprojekt zum Zuge kommt. Die Errichtung des Werkes am Stubentor ist für Herbst 2023 geplant.