Zum Hauptinhalt springen

"Lossts ma de Gstettn in Ruah"

Von Georg Hönigsberger

Politik

Quo vadis Donaustadt? Anrainer befürchten Verbauung der letzten Grünflächen im Wohngebiet samt Verkehrschaos.


Der alte Witz, der über den Arlbergtunnel als Verbindung von Tirol nach Vorarlberg erzählt wird - was Gott getrennt hat, solle der Mensch nicht einen - wird von manchem Wiener, der in Cisdanubien lebt, gerne auch auf das nördlich der trennenden Donau liegende Stadtgebiet, Transdanubien, umgemünzt. Also die Bezirke Floridsdorf und Donaustadt.

Vor allem die Donaustadt, scheint es, ist vielen fremd. Kein Schloss Schönbrunn, kein Stephansdom, kein Burgtheater, keine Staatsoper, keine Mahü und keine Kärntnerstraße, kein Grinzing oder Stammersdorf, ja noch nicht einmal einen Kahlen- oder Bisamberg kann man vorweisen. Flach ist er, der mit 102 Quadratkilometern größte Bezirk Wiens: Die höchste Geländeerhebung ist von Menschenhand geschaffen - die Mülldeponie am Rautenweg mit knapp 200 Metern über dem Meer.

Dabei, daran erinnerten kürzlich Mitglieder einer Bürgerinitiative aus dem Bezirksteil Hirschstetten, gibt es keinen Bezirk in Wien, der mit der Vielfalt der Donaustadt mithalten könne: Das internationale Zentrum Wiens, die UNO City, liegt hier, das höchste Gebäude der Stadt, der Donauturm mit 252 Metern ebenso. Unweit davon erhebt sich mit dem 250 Meter hohen DC Tower 1 das höchste Bürogebäude Wiens.

Rund zwei Drittel der Donauinsel entfallen auf den 22. Bezirk, auch ein Gutteil der Alten Donau; das Gänsehäufel sowieso. Im Süden bildet die Lobau den Wiener Teil des Nationalparks Donau-Auen. Die Ränder im Norden und Osten sind von landwirtschaftlichen Flächen geprägt. Rund ein Drittel der Grünflächen der Bundeshauptstadt entfallen auf die Donaustadt.

Das letzte Grün geht verloren

Dazu zählen auch jene agrarisch genutzten oder brach liegenden Gründe, die "Gstettn" mitten im Siedlungsgebiet. Ihnen wird langsam der Garaus gemacht. Die Bürgerinitiative Süßenbrunnerstraße aus Hirschstetten fürchtet eine Verbauung der letzten Reste naturnaher Flächen in den Wohngebieten nördlich der Donau. "Wir wollen die Bodenversiegelung hintanhalten", sagt Bernhard Spuller von der Bürgerinitiative. "Flächen, die so dringend notwendig sind, für Entwässerung, für Kühlung, will die Stadt Wien versiegeln lassen."

Die Befürchtungen kommen nicht von ungefähr. In der Berresgasse, gleich östlich des Badeteichs Hirschstetten, werden auf mehr als 500 Metern langen Feldern zwischen den Gemeindebauten des Karl-Kautsky-Hofes und einer Einfamilienhaus-Siedlung neue bis zu elf Stockwerke hohe Bauten errichtet. 3.000 Wohnungen sollen es im Endausbau sein - einige mit Blick auf den Hirschstettner Teich. Dazu kommen Büros, Geschäfte, Freizeiteinrichtungen, eine Schule und ein Kindergarten.

Etwa einen halben Kilometer südlich davon, dort wo künftig die Anschlussstelle Seestadt West an die in Bau befindliche sogenannte Stadtstraße errichtet werden soll, wurden Teile der Felder "An den alten Schanzen" bereits für Bauvorhaben umgewidmet, wie im Flächenwidmungsplan der Stadt Wien ersichtlich ist.

Nahezu jede größere Freifläche, die innerhalb der Siedlungsgebiete der Donaustadt noch existiert, wird aktuell zugepflastert, die Verbauung ist in Planung oder deren Potenzial als künftige Baufläche wird in Plänen angepriesen.

Nun befindet sich das "Quartier Süßenbrunner West" in der Umwidmungsphase. "Eingebettet zwischen der Süßenbrunner Straße und dem Gewerbepark Stadlau soll auf dem 8,5 Hektar großen, langgestreckten Areal ein neues, vielfältiges Wohnquartier mit 1.200 Wohnungen entstehen", heißt es auf der Website der Stadtplanung Wien zu dem Projekt, das der oben erwähnten Initiative ein Dorn im Auge ist. Bis zu 33 Meter hoch sollen einige der neuen Häuser werden.

"Hier kommen viele neue Schlafplätze dazu. Das schafft neue Menschenströme und mehr Verkehr", sagt Spuller von der Initiative. "Gerade in einem Bezirk, in dem es zu wenige Arbeitsplätze gibt." Noch mehr gehe es der Initiative aber um Umweltschutz. "Wien wird in den kommenden Jahren eine jener Städte sein, die durch den Klimawandel den höchsten Temperatur-Anstieg verzeichnen wird. Wir brauchen die noch vorhandenen Grünflächen, um der weiteren Erhitzung der Stadt entgegenzuwirken", erklärt Spuller. "Doch die Stadt Wien macht das Gegenteil und baut auch noch den letzten grünen Flecken zu."

Die Angst vor zusätzlicher Verbauung ist nicht ungerechtfertigt. Der verbleibende lange Grünstreifen zwischen dem geplanten Quartier Süßenbrunner West und der S1 ist zwar im 2020 veröffentlichten Leitbild Grünräume der Stadt Wien als "wandelbares Grün" verzeichnet, das trifft jedoch nicht für das Gebiet südlich davon zu. Die mehrere Hektar große, den Hirschstettner Blumengärten benachbarte Grünfläche wird im Leitbild als "außerhalb des Siedlungskörpers gelegenes Entwicklungspotenzial für Wohnen und Arbeiten mit erheblichem Grünanteil" ausgewiesen.

"Was hier in den nächsten Jahren verbaut wird, ist fast so groß wie die Seestadt Aspern", sagt Zoran Ilic, Klubobmann der Donaustädter ÖVP. "Die Seestadt ist aber über 15 Jahre lang als Gesamtprojekt geplant worden", so Ilic weiter. "Jetzt aber werden hier Stück für Stück Einzelprojekte umgesetzt, die keiner Gesamtplanung unterliegen. Das sind Großprojekte mit Auswirkungen auf die gesamte Donaustadt." Und er kann sich den Zusatz nicht verkneifen: "Es kommen fast ausschließlich SPÖ-nahe Wohnbauträger zum Zug." Die Bezirks-ÖVP hat gemeinsam mit der FPÖ am 21. September einen Antrag auf Abhaltung einer Bürgerversammlung zum Quartier Süßenbrunner West in der Bezirksvertretung eingebracht.

Bürgerinformation noch heuer

"Die Bürgerinformationsveranstaltung wird noch heuer stattfinden", gibt Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy (SPÖ) auf schriftliche Anfrage der "Wiener Zeitung" bekannt, "und die Einladung dazu erfolgt zeitgerecht in einem Schreiben an alle Haushalte."

79 Prozent der Berufstätigen pendeln aus dem 22. Bezirk aus. Das entspricht exakt dem Wert des zentralen Bezirkes Neubau, wie die "abgestimmte Erwerbsstatistik" der Statistik Austria aus dem Jahr 2018 zeigt. In absoluten Zahlen macht dies aber einen Unterschied: Neubau hat rund 30.000 Einwohner, mehrere U-Bahnlinien sind von jedem Punkt im Bezirk binnen zehn Minuten zu Fuß erreichbar. Die Donaustadt hat beinahe 200.000 Einwohner. Die Linien U1 und U2 durchqueren den Bezirk, aber der öffentliche Verkehr in die Peripherie erfolgt hauptsächlich mit Bussen. Dazu kommen die Straßenbahnlinien 26 und 25, wobei letztere verlängert werden soll, wie Andreas Baur von der MA 21 (Stadtteilplanung und Flächenwidmung) mitteilt. Ab 2025 wird die neue Linie 27 von Aspern Nord bis Strebersdorf fahren.

Bewohner des 7. Bezirks haben laut Statistik Austria einen durchschnittlichen Arbeitsweg von 16 Minuten. Ein Donaustädter benötigt im Mittel 23 Minuten, das ist der zweitschlechteste Wert in Wien - nur die Hietzinger benötigen noch eine Minute länger. Nach kleineren Regionen aufgeschlüsselt sind jene Arbeitnehmer, die aus dem Donaustädter Bezirksteil Essling kommen, mit 31 Minuten von allen Wienern am längsten zum Arbeitsplatz unterwegs.

"Die Ansiedelung von Betrieben ist ein Anliegen auf allen Politikebenen und daher ist man um Rahmenbedingungen bemüht, die das begünstigen", meint Bezirksvorsteher Nevrivy dazu. Er gibt mehr oder weniger der Grünen Verkehrsministerin Leonore Gewessler die Schuld an mangelnden Arbeitsplätzen: "Die Verzögerung des Lobautunnels mit der so dringend benötigten Nordostumfahrung ist da höchst kontraproduktiv, denn entsprechende Transportwege müssen ermöglicht werden." Die Mitglieder der Bürgerinitiative befürchten aber durch die von Nevrivy genannten Straßenbaumaßnahmen nur noch mehr Verkehr im ohnehin schon belasteten Bezirk. Das würde durch die Tausenden neuen Wohnungen auf relativ begrenztem Gebiet noch verschärft.

Wie soll man also den Spagat zwischen Erhalt von Grünraum und Schaffung von günstigem Wohnraum schaffen? Für Bezirkschef Nevrivy führt kein Weg an "dichtem und hohem Wohnbau" vorbei. "Denn nur damit kann die Flächenversiegelung pro Kopf gering gehalten werden." Würde man die grünen Lücken in den Siedlungsgebieten nicht mit dichter Bebauung schließen, "müsste man wohl außerhalb der Siedlungsgebiete versiegeln, um den Bedarf an Wohnraum zu decken. Ein Ausweichen in den Grüngürtel rund um Wien würde die Versiegelungsbilanz allerdings verschlechtern."

Hier erhebt die Bürgerinitiative Einspruch. Die Gleichung, dass leistbarer Wohnbau nur auf der Gstettn machbar wäre, ist für Bernhard Spuller schlichtweg falsch. Er verweist auf eine Studie der Arbeiterkammer aus dem Jahr 2018, die nahelegt, dass rund 130.000 Wohnungen mit gemäßigter Aufstockung bestehender Gemeindebauten in Wien errichtet werden könnten. Ohne auch nur einen Grashalm zu knicken. Private Bauten und solche gemeinnütziger Wohnbauträger sind in dem Zahlenspiel noch nicht einmal eingerechnet. Spuller: "Es braucht Nachverdichtung in der Stadt, aber nicht auf der grünen Wiese, sondern durch das ein bis zwei neue Geschosse auf bestehenden Strukturen." Zudem könne man gänzlich neue Wege beschreiten, wie das Überbauen von Einkaufszentren mit Wohnungen. Ein solches Projekt wird derzeit in Salzburg geprüft.

Hamster als Verbündeter

Die Initiative hofft nun auf den Feldhamster als Verbündeten im Kampf um Grünraum. In der erst heuer veröffentlichten Feldhamsterstudie der Stadt Wien aus dem Jahr 2020 lebt just in jenem Gebiet, in dem das Quartier Süßenbrunner West errichtet werden soll, eine der Donaustädter Hauptpopulationen des vom Aussterben bedrohten und streng geschützten Feldhamsters. Dieses Woche hat die Initiative eine Beschwerde bei der EU-Kommission eingereicht. "Wegen des systematischen unzureichenden Artenschutzes in Wien", sagt Spuller.

Vorwürfe der Bürgerinitiative, die MA22 (Umweltschutz), habe die Studie zwei Jahre zurückgehalten, weist man dort kategorisch zurück. "Wir wissen, dass es dort Hamster gibt", sagt Harald Gross von der MA22. Die Projektbetreiber seien von der Behörde darauf hingewiesen worden, dass "ein Naturschutzverfahren durchzuführen ist". Die MA22 könne ein solches Verfahren aber erst bei Einreichung der Projekte initiieren. Derzeit seien die Grundstücke an der Süßenbrunnerstraße aber noch nicht einmal umgewidmet. Es wird allgemein damit gerechnet, dass die im September verschobene Widmung in der November-Sitzung des Wiener Gemeinderates nachgeholt wird.

Das Büro von Klima- und Umweltstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) teilt auf Nachfrage schriftlich mit, dass in Wien bis 2025 "400.000 Quadratmeter neue Grünflächen" schaffe. "Allein die Wiener Stadtgärten pflanzen jährlich 4.500 neue Bäume, da sind die Wälder noch gar nicht eingerechnet." Es sei "ein großer Irrglaube, dass wir in Wien alles zubetonieren". Man setze sich sogar in der EU für strengere Regelungen ein. Das Büro von Planungsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) verweist in diesem Zusammenhang auf die Beamten der MA21.

Wie es mit den wenigen verbleibenden Grünflächen im 22. Bezirk weitergeht, ob sich Beton oder Grün durchsetzen, steht noch in den Sternen. Die Wienerlied-Band Meia, die ihre Wurzeln in der Donaustadt hat, hält aber zumindest den Sound für jene bereit, die um die letzten natürlichen Flecken kämpfen: "Wos amoi weg is, zaubert ma nimmer her - transdanubischer Bua, lossts ma de Gstettn in Ruah."