"Wiener Zeitung": Wie wichtig ist es denn, sich zu beteiligen?

Herta Wessely: Es ist eine Notwendigkeit, fast eine Verpflichtung, sich zu beteiligen. Die Menschen haben das Gefühl, dass es keinen Sinn hat, etwas zu tun, weil die Politiker ohnehin machen, was sie wollen. Ich wehre mich dagegen, dass die Leute sich immer nur beklagen und dann aber nicht aktiv werden wollen. Wenn sie nicht wissen, wie sie sich beteiligen können, bieten wir Unterstützung an.

Ist es schwer, sich zu beteiligen?

Wenn jemand noch niemals einen Leserbrief geschrieben oder einen Politiker angerufen hat, noch niemals sich mit anderen zusammengetan hat, dann weiß er nicht, wie das geht.

Was sagen Sie zur Charta?

Da ging es um ein besseres Miteinander, das ist begrüßenswert, notwendig, nur, das ist nicht die Bürgerbeteiligung, die wir uns vorstellen. Das ändert nichts am System. Das ist eine gute Sache, ergänzend, aber nicht das, was wir uns vorstellen.

Was ist Bürgerbeteiligung für Sie?

Sinnvoll wäre eine möglichst frühe Einbindung der Bürger in die Planung von Projekten. Dazu wäre auch eine bessere Transparenz von politischen Entscheidungsprozessen wünschenswert. Zum Beispiel sollten auch die Tagesordnungen der Bezirksvertretungssitzungen im Internet bekanntgegeben werden, damit die Bürger wissen, ob da etwas dabei ist, das sie interessiert. Auch alle Anträge, die gestellt werden, sollten ins Internet gestellt werden und das Abstimmungsverhalten der Bezirksräte dazu.

Was sagen Sie dazu, wie Bürgerbeteiligung im Moment funktioniert?

Es muss sich das System ändern, die Bürger müssen mehr eingebunden werden. Oft werden die Anrainer, die Betroffenen von einem Plan überrollt, und dann versteht man unter Bürgerbeteiligung, dass man eine Bürgerversammlung macht, die aber keine Auswirkung hat auf den weiteren Verlauf. Daher erscheint es uns von der Aktion 21 - Pro Bürgerbeteiligung notwendig, dass die Bürger schon bei der Planung von Projekten eingebunden werden. Dadurch käme es auch mehr Kompromissen. Unser Ziel ist eine rechtliche Verankerung von Bürgerbeteiligung.

Was bringt es, sich zu beteiligen?

Es bringt etwas, es ist ja durchaus auch in vielen Fällen schon erfolgreich gewesen. Wobei man es schon auch als Erfolg bezeichnen muss, wenn es zu einer Abänderung kommt, wie zum Beispiel bei Wien-Mitte. Dort wurde das Bauvorhaben nur durch den Einspruch der Bürgerinitiative, die an die Unesco herangetreten ist, redimensioniert. Es geht nicht immer darum, etwas zu verhindern, sondern auch darum, sich einzubringen. Wie zum Beispiel beim Projekt Hauptbahnhof, da gab es viele Vorschläge. Allerdings ist davon dann kaum etwas umgesetzt worden.

Was braucht ein Bürger, um sich zu beteiligen?

Durchhaltevermögen und vor allem Zeit. Um an der Umweltverträglichkeitsprüfung der Lobau-Autobahn teilzunehmen, mussten sich die Teilnehmer der Bürgerinitiative Urlaub nehmen. Man braucht auch juristisches Verständnis, weil schon mal 10.000 Aktenseiten durchzuarbeiten sein können. Man hat oft das Gefühl, dass man für dumm verkauft wird. Viele Menschen zögern auch, sich zu beteiligen, weil sie fürchten, beruflich Probleme zu bekommen. Außerdem zahlen die Bürgerinitiativen ihre Aktionen aus der eigenen Tasche.

Zur Person:
Herta Wessely ist seit 2008 Obfrau der Aktion 21 - Pro Bürgerbeteiligung. Sie wurde 1991 aktiv, als das Grundstück vor ihrem Haus verbaut werden sollte, und engagierte sich gegen das Tiefgaragenprojekt Bacherpark. Seit Oktober gibt es eine österreichweite Vernetzung von Bürgerinitiativen auf der Plattform www.aktion21-austria.at, deren Obfrau Wessely nun ebenso ist.