
Wien. Vor den Augen seines Kellners ein paar Tränen über eine verlorene Liebe vergießen. Sich bei anderen Lokalbesuchern über seinen krisengeschüttelten Job aussprechen. Eine kreative Idee ins Leben rufen, auch wenn sie am nächsten Tag wieder verworfen wird. Mit anderen Gästen über das Leben philosophieren. Wenn Sie das oder Ähnliches bereits erlebt haben, dann suchen Sie vermutlich regelmäßig ein Stammlokal auf.
Wahrscheinlich kennen Sie dann auch den älteren Herrn, der üblicherweise an der Bar steht und dort in Ruhe sein Bier genießt. Oder die aufgedrehte Blondine jenseits der 40, die ungefragt jedem ihre Lebensgeschichte erzählt. Oder die ausgelassene Partie, die den Stehtisch zwischen Bar und Tischen für sich beansprucht. Die Chefin des Hauses weiß ganz genau, dass der weißhaarige Mann immer ein Glas Wasser zum weißen Spritzer will. Der wiederum schätzt das. Vermutlich wird er auch morgen wieder hier sein. Oder übermorgen. Oder wenigstens nächste Woche.
Wer mindestens ein- oder zweimal wöchentlich ein und dasselbe Lokal aufsucht, der lebt nicht nur zwangsläufig mit dem stillen Mann an der Bar, mit der redseligen Blondine oder mit der lauten Gruppe nebenan. Wahrscheinlich sucht er genau das. Zumindest in Wien, wo ein Mangel an Auswahl vielerorts kaum gegeben ist. Dass Freunde und Bekannte auch hingehen, es sich direkt "ums Eck" oder wenigstens in der Nähe befindet und dass Ambiente sowie Service passen, ist den meisten Gästen, die regelmäßig das gleiche Lokal aufsuchen, laut einer privaten Umfrage mit Abstand am wichtigsten.
Daniel Landau, seit mehr als zwei Jahren einer der Betreiber des Kulturcafés Tachles am Karmeliterplatz, weiß, wie wichtig auch die persönliche Ansprache ist: "Mindestens einer von uns Inhabern ist praktisch immer da." Der Lehrer, der sich erst 2010 für den Weg in die Gastronomie entschieden hat, sagt: "Unsere Gäste wollen genau dieses Familiäre. Und natürlich die Qualität unserer Küche, das Biersortiment, das wir ganz bewusst von kleineren Brauereien beziehen, das zeitlose, gemütliche Ambiente - die Leute sollen es einfach so stressfrei wie möglich haben." Dass Landau und sein Team bei der Übernahme nicht gerade viele Stammgäste "mitnehmen" konnten, weil es nur wenige gab, ist für ihn kein Nachteil. So konnte man ganz neu beginnen und "ziemlich gut steuern, welches Publikum wir anziehen". Die meisten kommen aus der Umgebung - immer wieder.