Wien/Brüssel. (wak) Das vierte Eisenbahnpaket sei ein gutes Beispiel dafür, wie in der EU "neoliberale Politik durch die Hintertür" komme, entrüstet sich Wiens Vizebürgermeisterin und Finanzstadträtin Renate Brauner (SPÖ). Worum geht es? EU-weit sind bereits der Güterverkehr sowie der grenzüberschreitende Personenverkehr liberalisiert - noch nicht jedoch der Personen-Nah- und Regionalverkehr. Das bedeutet, bisher kann sich die öffentliche Hand aussuchen, wie sie ihn betreibt. Das soll mit dem vierten Eisenbahnpaket geändert werden.

Der städtische Verkehr wird von der Stadt Wien in einer In-House-Vergabe an die Wiener Linien weitergereicht. Das soll weiterhin so bleiben. Anders verhält es sich im Nah- und Regionalverkehr, also jenem, der über städtische Grenzen hinausgeht. Der Betrieb der S-Bahnen und der Badner Bahn als (einziger) Wiener Lokalbahn werden bisher durch "Direktvergabe" an die ÖBB (S-Bahnen) und an die Wiener Stadtwerke (Lokalbahnen) vergeben.

Ausschreibung wäre Pflicht

Hier soll nun nach dem EU-Vorschlag ein neuer Wind wehen. Die Wiener SPÖ hat in dem 1300 Seiten langen Entwurf besorgniserregende Punkte gefunden. Dabei geht es um die Quasi-Trennung von Betrieb und Infrastruktur (Unbundling), negative Auswirkungen auf die Beschäftigten, die verpflichtende Ausschreibung für alle Verkehrsdienste (also keine Direktvergabe mehr) und die Bereitstellung von Zuggarnituren an private Mitbewerber.

Ursprünglich wollte die Kommission die Trennung von Infrastrukturbetreiber und Eisenbahnunternehmen (wie bei den Stromversorgern) vorantreiben. Nach Protesten sei sie zurückgerudert und würde nun auch eine "chinesische Mauer" im Unternehmen gelten lassen, die eine interne Trennung garantiert. "Das bedeutet, dass Lokalbahnen wie die Badner Bahn mit 300 Mitarbeitern auf einmal zwei Aufsichtsräte und so weiter brauchen würden. Also genau die teuren Jobs müssten wir verdoppeln", ereifert sich Brauner.

Die EU-Kommission geht laut der Europa-Abgeordneten Evelyn Regner (SPÖ) davon aus, dass die Liberalisierung des vierten Eisenbahnpakets zu einer Personalreduktion von 30 Prozent im Eisenbahnsektor kommen würde.

Die Direktvergabe soll zur Gänze entfallen, Ausschreibungen werden zur Pflicht. Brauner ortet die Gefahr eines "Rosinenpickens": Profitable Strecken könnten an private Betreiber gehen, die verlustträchtigen Linien verbleiben in der öffentlichen Hand.

Besonders entsetzt zeigt sich Brauner über die "Bereitstellung von Rollmaterial": "Der freie Markt ist ja eine reine Schimäre. Wenn jemand auf der Strecke mit seinem eigenen Zug fahren wollte, gut. Aber wir sollen ihm noch die Garnituren ‚zur Verfügung‘ stellen?" Damit würde unternehmerisches Risiko auf die öffentliche Hand verlagert. Unternehmen müssten nichts investieren, das Risiko läge bei null. Was bleibe seien nur Gewinnmöglichkeiten auf Kosten der Infrastruktur - und Gerätschaften, die mit Steuergeldern finanziert worden waren.

Eine vollkommen gegensätzliche Position nimmt der Europa-Abgeordnete der ÖVP, der Kärntner Hubert Pirker, ein. "Das ist das typische Spiel mit der Angst vor Privatisierung, das wir von der SPÖ kennen", meint Pirker. "Wir wollen ein Ende von Intransparenz und Freunderlwirtschaft - kein Wunder, dass sie das in Wien stört." Es solle endlich ein Verbot der Direktvergabe geben, alles müsse ausgeschrieben werden. "Man muss der Bevölkerung nicht vorgaukeln, dass a priori alles schlecht ist, was mit Privatisierung zusammenhängt."

Busse bereits liberalisiert

Die Gefahr, dass die unwirtschaftlichen Strecken dann stillgelegt werden, sieht Pirker nicht. "Man kann ja in den Vertrag hineinschreiben, wie oft die Strecke zu befahren ist. Aber wenn immer nur zwei Menschen inklusive Lokführer im Zug sitzen, stimmt offenbar das Angebot nicht. Da kann man ruhig darüber nachdenken, ob da die Bahn das geeignete Verkehrsmittel ist, und ob man die Leute nicht am besten in ein Taxi setzen sollte." Auch an der Bereitstellung von Rollmaterial findet Pirker nichts Schlimmes: Öffentliche Dienstleistungsverträge liefen in der Regel zehn bis fünfzehn Jahre. Die Lebenszeit der Waggons sei hingegen 30 bis 35 Jahre. Nach Ablauf eines Vertrages liege es doch auf der Hand, dass man dem neuen Betreiber das Material "zu üblichen Marktpreisen" zur Verfügung stellt.

Übrigens: Wer sich wundert, was die Zukunft für Postbusse, im Nah- und Regionalverkehr, bereithält: Nichts. Die Liberalisierung hat bei den Bussen bereits in der Vergangenheit stattgefunden.