Wien. Artilleriegefechte im Wienerwald? Vor 30 Jahren ein durchaus reales Szenario. Aufmerksamen Verkehrsteilnehmern sind sie auf der Exelbergstraße im 17. Bezirk vielleicht schon aufgefallen, die quadratischen Muster, die quer über die Fahrbahn verlaufen. Es sind Überbleibsel des Kalten Krieges.
Bis in die 1990er Jahre waren dort würfelförmige, mit Metallplatten abgedeckte Löcher in der Fahrbahn. Im Kriegsfall wären in diese Aushöhlungen Metall-Straßensperren gesteckt worden, daher auch der Name "Stecksperre". Feindliche Truppen wären an dieser Stelle gestoppt und unter Feuer genommen worden - so wie an dutzenden anderen Stellen in und um Wien. "Wären", wie gesagt, denn der Feind - in dem Fall Truppen des Warschauer Pakts - hat Österreich niemals als Durchmarschgebiet benutzt.
Wienerwald zu gut gesichert
"Weil der Preis zu hoch war", meint Christian Segur-Cabanac. Der Generalleutnant des Bundesheeres sieht sich bestätigt. Österreichs Heer hätte die Truppen des Warschauer Pakts so lange aufhalten können, dass es sich für diese nicht ausgezahlt hätte, sich durch Österreich durchzukämpfen. "Die sowjetische Südgruppe in Ungarn und der Tschechoslowakei war die am besten ausgebildete und am besten ausgerüstete Einheit der Roten Armee. Diese mehrere hunderttausend Mann starke Streitkraft hätte in einigen Stunden die österreichische Grenze überschreiten können", so der Militärexperte Gerald Karner. Haben sie aber nicht. "Weil Österreichs System der Raumverteidigung als Abschreckung funktioniert hat", sind sich Karner und Segur-Cabanac einig.
Doch zurück zu den Stecksperren im Wienerwald. "Ursprünglich sollten Truppen der ungarischen Volksarmee und der Roten Armee über den Wienerwald angreifen, um sich den Weg nach Niederbayern über die Westbahn und Westautobahn zu sichern", so Stratege Karner. Man kam aber zum Schluss, dass der Wienerwald zu gut gesichert ist, also hat man alternative Angriffswege im Norden gesucht.
Österreichs System der Raumverteidigung sah ab den 1970er Jahren vor, dass heimische Truppen den Feind nicht an den Grenzen, sondern in strategisch bevorzugten Gebieten bekämpfen. An den "Schlüsselzonen" sollte der Feind gestoppt werden. Vor allem die Schlüsselzone 35 im Gebiet Ybbs-Amstetten-Blindenmarkt und die Schlüsselzone 41 im Mühlviertel waren mit Abwehrstellungen zugepflastert. "Mindestens sieben Tage lang hätten die Bundesheertruppen den Feind aufgehalten, und das war zu lange für einen erfolgreichen Vorstoß in die Nato-Flanke in Bayern", weiß Karner.
Mancher durch eine Baustelle begründeter Stau der Vergangenheit erweist sich im Nachhinein als getarnte Übung der Sprengmeister des Bundesheers. An 150 Punkten im Straßennetz wurde dieser Notfall geübt - auch an der A21 in Wien. An allen strategisch wichtigen Stellen des Autobahnnetzes wurde bis 1995 alle zwei Jahre die Sprengung der Fahrbahnen geübt, so Andreas Scherer, Kommandant der Verteidigungsstellung am Wurzenpass, eine der 700 Bunkeranlagen.
Was wäre eigentlich mit Wien passiert, wenn Truppen einmarschiert wären? "Wien wäre zur offenen Stadt erklärt worden", weiß Stratege Karner. Die heimischen Truppen wären abgezogen. Übrigens auch die Bundesminister, die zuvor im Krisenfall vom Stiftsbunker im 7. Bezirk aus regiert hätten. Dort ist bis heute die gesamte Infrastruktur für die Aufrechterhaltung der Befehlsketten vorhanden. Vor der Ankunft fremder Truppen wäre die Bundesregierung in den Bunker in St. Johann verfrachtet worden - eine Kopie des Stiftsbunkers. Die Wiener wären allerdings nicht evakuiert worden. Wohin auch?
Die Kriegspläne des Bundesheeres sahen nicht vor, die Donau bei Wien zu fluten oder die Donaubrücken zu sprengen. Für Letzteres hätte man einen Ministerratsbeschluss benötigt, so der Militärplaner. "Aber wir hätten auf den Brücken betonbeladene Lkw stationiert und deren Räder entfernt. Und wir hätten die Auffahrten der Brücken gesprengt." Ein Vorhaben, das auch regelmäßig geübt worden ist. So manche harmlos aussehende Instandhaltungsarbeit an der Floridsdorfer Brücke war in Wirklichkeit ein Hantieren mit Sprengstoff.
Ein Mirakel bleibt bis heute ungeklärt: die sagenumwobene U-Bahnstation unter dem Ballhausplatz, um die Staatsspitze in Sicherheit zu bringen. Gibt es die überhaupt? Heeres-Experte Karner ist skeptisch: "Wenn die Bundesregierung nicht einmal mehr in der Lage ist, mit dem Pkw oder Hubschrauber weg zu gelangen, dann ist sowieso alles vertan."