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Doppelt gemoppelt

Von Ina Weber

Politik
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Das Animationsabenteuer "Epic" ist in Wien ab 6 Jahren zu sehen, sonst ab 8 Jahren.
© Twentieth Century Fox Film Corporation

Wiens Filmbeirat, der das Alter bei Kinofilmen bestimmt, wird abgeschafft.


Wien. Seit 20 Jahren geht Gerald Netzl ein- bis zweimal im Monat ins Kino. Er tut das nicht etwa zu seinem persönlichen Vergnügen, sondern er ist einer von 72 Mitgliedern des Wiener Filmbeirats, angesiedelt in der MA 36, zuständig für die Vollziehung des Kinogesetzes. Zwei Kinofilme schaut er sich an so einem Abend an. Das sind rund drei Stunden, die mit 18 Euro entschädigt werden. Aussuchen kann er sich nicht, was er zu Gesicht bekommt. Von Qualitätsfilmen bis zum Ramsch sei alles dabei. Nach dem Abspann muss er beurteilen, ab welchem Alter der gesehene Film in die Wiener Kinos kommen darf.

Auch der Bund geht ins Kino, meistens in dasselbe und sogar zeitgleich. Denn auch der Bund hat eine solche Stelle. Sie heißt heute Jugendmedienkommission (JMK), und es gibt sie seit 1948. Laut Gesetz muss jeder in Österreich gezeigte Kinofilm, den auch Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren sehen sollen, beim Magistrat geprüft werden.

Früher hatte jedes Bundesland seine Kommission. Mit der Zeit lösten die Länder ihre Stellen auf und nahmen die Empfehlungen des Bundes an. Dass in Wien noch immer doppelt gemoppelt wird, stößt dem Wiener Kontrollamt in seinem jüngsten Bericht auf. Es sei "nicht sinnvoll", dass "zwei unterschiedliche Gremien" "in derselben Angelegenheit zum gleichen Zeitpunkt und am selben Ort tätig sind". Auch, dass einige Personen in beiden Gremien mitwirkten, sei hinterfragungswürdig, wird bemängelt. Die Gutachten des Beirats machten laut Bericht einen "eher nachlässigen Eindruck", weil "schwer leserlich" oder das Urteil einzelner Mitglieder fehlte. Außerdem sei nie ein Vertreter der Bundespolizeidirektion anwesend gewesen. Das Kontrollamt empfiehlt, den Filmbeirat aufzulösen und sich den Empfehlungen des Bundes schnellst möglich anzuschließen.

Wiener darf ab 6 Jahren, Niederösterreicher ab 8

Während die zuständigen Magistrate den Kontrollamtsbericht zur Kenntnis nehmen und eine Änderung des Gesetzes in die Wege geleitet wird, macht der Filmbeirat seine Arbeit. Netzls jüngste Bewertung: Er schaute sich den Film "Epic" an, der derzeit in den Kinos läuft. Der Fantasy-Streifen ist nun in Wien für 6-Jährige zu sehen, in Niederösterreich wird er erst ab 8 Jahren erlaubt.

Kann der kleine Wiener den vorgeführten "Krieg zwischen den Guten und den dunklen Mächten des Bösen" besser verarbeiten als ein Niederösterreicher im selben Alter? Netzl gibt zu, dass "das wohl niemand mehr versteht". Allerdings ist der Jugendmedienschutz wie der Jugendschutz in Gesetzgebung und Vollzug aufgrund des föderalistischen Prinzips Sache der Länder.

Eine liberale Hauptstadt beurteile eben anders

Zwei Drittel der Filme werden in der Regel vom Wiener Filmbeirat und von der Jugendmedienkommission gleich bewertet. In 30 Prozent der Fälle kommt es zu Unterschieden in der Altersangabe, wobei Wien in den meisten Fällen freizügiger urteilt als die Kommission des Bundes mit Mitgliedern aus allen Bundesländern.

Ab welchem Alter ein Kinofilm freigegeben wird, hängt für den Angestellten Netzl, der für die Elternvereine im Beirat sitzt, stark von der Kultur ab. Wien als liberale Großstadt habe eine andere kulturelle Tradition als so manches andere Bundesland. Das sieht man laut Netzl auch an den neun unterschiedlichen Jugendschutzgesetzen. Außerdem hängt die Altersangabe stark von den bewertenden Personen ab. Jeder hat laut Netzl einen eigenen Zugang; manche seien restriktiver, manche weniger. Altersfreigaben gibt es ab 6, 8, 10, 12 oder 14 Jahren. Entschieden wird im Beirat nach dem Mehrheitsprinzip.

Auch, wenn manches verbessert gehört, hält Netzl den Wiener Filmbeirat für wichtig, "wenn man bedenkt, wie wichtig eine gute Bewertung für Eltern ist", sagt er. Angesichts der Umsätze, die die Filmwirtschaft macht, sei der finanzielle Aufwand des Filmbeirats marginal, meint er. 216 Spielfilme und 191 Trailer und Teaser wurden laut Kontrollamt im Jahr 2011 durch den Beirat behandelt. Für die Miete des Vorführraumes fielen in diesem Jahr Kosten in der Höhe von 7057 Euro an. Weiters kamen Entschädigungen für die Mitglieder in der Höhe von 15.608 Euro dazu. Pro Prüftermin, egal, ob ein oder zwei Filme, erhält der Prüfer die bereits erwähnten 18 Euro. Die meisten Prüfer üben ihre Tätigkeit in ihrer Freizeit aus. Die wenigsten der Beiräte sind von ihren Arbeitgebern, etwa MA 11 oder Stadtschulrat, in dienstlichem Auftrag dort. Trotz dieser Schwäche funktioniere der Filmbeirat - noch, so Netzl.

Der Wiener Filmbeirat hat sogar die Filmvorführ-Termine der Jugendmedienkommission auf Bundesebene mitorganisiert. Im Gegensatz zum Filmbeirat darf die Bundes-Kommission nur Empfehlungen hinsichtlich der Altersangaben abgeben. Diese sind im Grunde für die Bundesländer nicht verbindlich, werden aber in der Praxis von den Ländern übernommen - auch Wien wird sich wohl demnächst den Beurteilungen auf Bundesebene anschließen müssen.

MA 36 - Wiener Filmbeirat
Zweimal in der Woche stellen Filmverleiher Anträge an die MA 36 (Vollziehung des Kinogesetzes) mit dem "Ansuchen um Jugendzulassung".

Die 72 Mitglieder des Wiener Filmbeirats kommen aus unterschiedlichsten Berufen; darunter Vertreter des Stadtschulrates, der Landespolizeidirektion, der Jugendfürsorge, der Filmwirtschaft und Elternvertretung.

Der Beirat setzt die Altersgrenze eines Filmes, der für ein Publikum unter 16 Jahren bewilligt werden möchte, fest und diskutiert über die Belastbarkeit der potenziellen Zuschauer und darüber, welche Konfliktlösungsmodelle im jeweiligen Film angeboten werden.

Der Wiener Filmbeirat ist laut Kontrollamtsbericht "zeit- und personalintensiv" und ist aufgrund der Doppelgleisigkeit mit der Jugendmedienkommission (JMK) auf Bundesebene "nicht sinnvoll". Die Mehrheit der Bundesländer hat keinen eigenen Filmbeirat mehr, sondern schließt sich in der Praxis den Empfehlungen der Jugendmedienkommission an.

Der Wiener Filmbeirat beurteilte im Jahr 2011 216 Spielfilme und 191 Trailer und Teaser. 118 dieser Filme wurden mit uneingeschränkt (jugendfrei) zugelassen, 74 Filme wurden ab dem 6. Lebensjahr zugelassen, 25 ab dem 8., 63 ab dem 10., 70 ab dem 12., 43 Filme ab dem 14. d 14 ab 16 Jahren.