
Wien. Ein Mann, eine öffentliche Bibliothek, einige Schaulustige. Manchen der freiwilligen und unfreiwilligen Zuseher bleibt sichtlich fast das Herz stehen, als Philipp Stromer bis zur Mitte des Vordachs klettert, dort kurz inne hält und als Showeinlage noch einen Klimmzug einschiebt. Die Szene stammt aus dem halbstündigen Film "Vienna Walls", der Anfang Mai erstmals öffentlich gezeigt wurde. Rund ein Jahr lang hat der 31-Jährige gemeinsam mit elf Kletterfreunden, einem Cutter und einem Musiker an dem Projekt gearbeitet. Dass zur Premiere im Innenhof einer Kletterhalle im 20. Bezirk rund 400 Menschen erschienen waren, hat sogar Stromer selbst überrascht. Im Rahmen des Filmfests St. Anton wird die Urban Boulder Doku "Vienna Walls" am 20. Juni im Wiener WUK zu sehen sein (siehe Kasten unten Anm.).
www.urban-boulder.com
Auf den Ausschnitt angesprochen, in dem er das Dach der Hauptbibliothek erklimmt, gibt sich der große Mann mit dem Wuschelkopf cool: "Das Wichtigste beim Klettern ohne Seil ist, dass man sich selbst nicht überschätzt - und für den Part hatte ich vorher gut trainiert. Selbstvertrauen gehört natürlich dazu." Das habe er übrigens auch seiner Mutter vor der Ausstrahlung des Films erklärt, um ihr am Premierenabend einen Schock zu ersparen.
Der Film "Vienna Walls" ist nicht nur eine Dokumentation über die Wiener Kletterszene, sondern auch eine Inszenierung der Großstadt als Ort, den Jüngere und Ältere, Anfänger und Fortgeschrittene längst für sich und ihren Sport entdeckt haben. Die zunehmend wachsende Community kennt Stromer gut. Dabei hat der Architekt erst vor etwa fünf Jahren begonnen, sich an Wänden, Felsvorsprüngen und Mauern entlang zu hanteln. Ein Freund brachte ihn zu dem, was er heute als idealen Ausgleich für seinen oft stressigen Job sieht. Und als ein Hobby beschreibt, für das nicht viel Equipment notwendig ist: Kletterschuhe, Magnesium gegen schwitzende Hände und eine Matte genügen.
Seil braucht man keines
Auf ein Seil verzichtet Stromer in der Regel, denn für das Erklimmen von Hindernissen in der Stadt, das sogenannte Urban Bouldern, braucht er keines. Im Gegensatz zum Buildering überwinden Kletterer beim Bouldern - vom englischen "Boulder", was so viel heißt wie "Felsblock" - keine Gebäude, sondern in der Regel Steinwände unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade. "Wir wollten einfach nicht immer in Kletterhallen gehen, sondern auch draußen sein. In der Halle fehlt das Naturerlebnis, aber man hat einfach nicht immer die Zeit, eine Stunde in den Wald zu fahren", beschreibt Stromer den Reiz des Sports.