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"Für Kindergartenpflicht ab 1 Jahr"

Von Bernd Vasari

Politik
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Kindergarten ab eins und Ganztagsschule: für Brandsteidl die beste Lösung.
© Radule Bozinovic/KOSMO

Stadtschulratspräsidentin hält Trennung von deutsch- und nichtdeutschsprachigen Kindern für wenig sinnvoll.


Wien. "Nach drei Jahren musste ich meine Tochter aus der Schule nehmen", sagt eine Mutter unlängst bei einer Podiumsdiskussion. Denn mittlerweile hätte ihr Kind einen türkischen Akzent, obwohl niemand in der Familie auch nur ein Wort Türkisch sprechen würde. Schuld an dem Akzent sei der in der Schule hohe Anteil von türkischsprachigen Schülern, betont die Mutter. Die Tochter würde jetzt in eine Privatschule gehen, um Deutsch zu lernen, ergänzt sie. Im Hinblick auf die Fragestellung der Veranstaltung "Wie viel Vielfalt vertragen Wiens Schulen?" sagt sie: "Mit Vielfalt habe ich kein Problem. Nur, wenn man kein Deutsch kann, dann kann man in der Schule auch nichts lernen." Die Mutter fordert eine Trennung in Schulen von deutsch- und nicht deutschsprachigen Schülern.

Bei der Veranstaltung der Zeitschrift "Kosmo" war auch Susanne Brandsteidl, Präsidentin des Wiener Stadtschulrates, anwesend. Die Trennung von deutsch- und nichtdeutschsprachigen Kindern hält sie für wenig sinnvoll. Stattdessen ließ Brandsteidl mit der Forderung der Kindergartenpflicht ab dem ersten Lebensjahr aufhorchen. Denn es gebe kein Migrations-, sondern ein "Subproletariatsproblem", wie sie bei der Veranstaltung erklärte.

Brandsteidl beruft sich auf die Ergebnisse der "Wiener Lesetests", bei denen jährlich rund 31.000 Schüler der vierten und achten Schulstufe abgeprüft werden. Dort sei herausgekommen, dass Schüler aus sozial schwierigen Verhältnissen die gleichen Leseschwächen haben, unabhängig davon, ob mit oder ohne Migrationshintergrund. "Nur weil ich deutsch spreche, bin ich dadurch nicht gescheiter", betont Brandsteidl. Um die Leseschwächen zu beheben, wäre neben dem Pflicht-Kindergarten ab dem ersten Lebensjahr auch die Einführung der Ganztagsschule nötig. So könnte sichergestellt werden, dass sich ausschließlich Lehrer und nicht Eltern um die Leistung der Kinder in der Schule kümmern. "Als Eltern soll man schließlich nicht für den Mathematikunterricht, sondern fürs Liebhaben der Kinder zuständig sein."

Mehrsprachigkeit als Qual

In einem gibt die Stadtschulratspräsidentin der Mutter recht. Die Schüler müssen Deutsch können, um sich verständigen und im Unterricht mitkommen zu können. 49,5 Prozent der Kinder der ersten Klasse Volksschule sprechen auch eine andere Sprache als Deutsch, sagt Brandsteidl. So viel Mehrsprachigkeit sei durchaus positiv. Sie kann aber für Kinder zur Qual werden, wenn sie keine der Sprachen gut können.

Für den Bundesobmann der Schülerunion, Daniel Perschy, ist der Pflicht-Kindergarten ab dem ersten Lebensjahr nicht die ideale Lösung. Mit dem Konzept der Ganztagsschule kann er sich hingegen anfreunden, sofern es auch weiterhin Schulen ohne Nachmittagsunterricht gibt. Jeder soll sich aussuchen, ob er den ganzen Tag in der Schule verbringen will
oder nicht, sagt er. Schließlich können Jugendliche auch außerhalb der Schule viel lernen, etwa in Musik- oder Sportvereinen. Und weiter: "Die Schule hat irgendwann mal ein Ende, dann muss man sich auch zurechtfinden." Schüler, die Mängel in der deutschen Sprache haben, sollten die Möglichkeit bekommen, ein intensives Deutschjahr in der Schule zu absolvieren.

Der Direktor der Kaufmännischen Schulen des BFI Wien, Fred Burda, spricht sich für die flächendeckende Einführung der Ganztagsschule aus. Nur durch die Verlängerung des Kontaktes zwischen Lehrern und Schülern kann die Lesekompetenz aller Schüler gestärkt werden. Der hohe Migrantenanteil an seiner Schule sei kein Hemmschuh, sondern ein Potenzial. Dieses werde an seiner Schule auch genutzt. Er verweist auf die am BFI angebotene zweite lebende Fremdsprache Bosnisch/Kroatisch/Serbisch (BKS), in der auch maturiert werden kann. "Es gibt das Lehramt für BKS an österreichischen Universitäten, also kann es in Österreich auch unterrichtet werden", sagt der Direktor. Seinen unaufgeregten Zugang zu BKS teilen nicht alle Schulen in Österreich. In vielen ist es sogar verboten, Sprachen wie BKS oder etwa auch Türkisch zu sprechen. Darauf von der "Wiener Zeitung" angesprochen, antwortet Susanne Brandsteidl: "Davon habe ich noch nie gehört." Sie unterstütze diese Verbote jedenfalls nicht.

Bleiben lieber unter sich

Daniel Perschy fordert ein aktiveres Auftreten der Schule, um Vorurteile abzubauen. Dieses Ziel sei aber erst dann erreicht, wenn Migranten und Nicht-Migranten nicht nur in derselben Klasse sitzen, sondern sich auch außerhalb treffen würden. Wie auch eine Lehrerin am Rande der Podiumsdiskussion bestätigte, sei man davon aber weit entfernt. Die Zlatkos, Mehmets und Sebastians bleiben lieber unter sich. Perschy schlägt daher vor, dass man in der Schule in den ersten Wochen Kennenlernrunden organisieren könnte. "Die Schüler sollten dabei ihre Kultur vorstellen und könnten beispielsweise etwas zum Essen mitnehmen."

Für die Stadtschulratspräsidentin steht fest: Um Vorurteile abzubauen, sei es notwendig, die deutsche Sprache zu sprechen. "Die Politik soll daher schauen, dass die Menschen Deutsch können", sagt sie. Denn so wie etwa in der Wissenschaft Englisch, so ist im Alltag Deutsch die Schlüsselkompetenz.