Wien. Unlängst im Unterricht an einer Wiener Schule: Eine Schülerin zeigt auf und weist den Lehrer darauf hin, dass Mitschüler sich auf Türkisch unterhalten hätten. Was daran falsch sei, sich auf Türkisch zu unterhalten, fragt der Lehrer. "Weiß ich auch nicht", antwortet die Schülerin, "aber unser Klassenvorstand hat uns verboten, eine andere Sprache als Deutsch zu sprechen."

Ein Einzelbeispiel? Mitnichten. In vielen Schulen ist es für Kinder untersagt, im Unterricht, aber auch in den Pausen, anderen Sprachen als Deutsch zu sprechen. Vor allem Erstsprachen wie etwa Türkisch, Bosnisch/Kroatisch/Serbisch (BKS) oder Tschetschenisch seien davon betroffen, berichteten Lehrer und Schüler von verschiedenen Schulen, der "Wiener Zeitung". Von diesen Sprach-Verboten haben auch schon Sprachwissenschafter Rudolf de Cillia, etwa bei Lehrerfortbildungen, oder die Translationswissenschafterin Vera Ahamer, bei der Recherche zur Studie "Unsichtbare Spracharbeit" gehört. "Einer der befragten Schüler musste sogar Strafe schreiben, nachdem er türkisch gesprochen hat", sagt Ahamer.

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Die Politik weiß von nichts


Bis zu den politischen Entscheidungsträgern haben sich die Verbote hingegen noch kaum durchgesprochen. Fragt man bei den Verantwortlichen nach, so erhält man ungläubiges Kopfschütteln. "Davon habe ich noch nie gehört", sagen etwa Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl (SPÖ), oder die ÖVP-Bildungssprecherin Isabella Leeb. Das Bildungsministerium fühlt sich nicht einmal dafür zuständig. Auf Nachfrage der "Wiener Zeitung", ob ihnen derartige Fälle bekannt sind, heißt es kryptisch aus dem Büro: "Wird der Schulaufsicht ein aufklärungswürdiger Umstand bekannt, wird diese tätig. Die Schulaufsicht in erster Instanz obliegt den Landesschulräten bzw. dem Stadtschulrat von Wien."

Türkisch ist zweitklassig


Harald Walser, Bildungssprecher der Grünen, weiß von den "Missständen". Er verweist auf die katholische Privatschule Elisabethinum in St. Johann im Salzburger Pongau, deren Sprach-Verbot für Türkisch und BKS vor drei Jahren öffentlich wurde. Obwohl er derzeit keine konkreten Fälle kennt, ist er über "derartige Entwicklungen" nicht überrascht. "Ich finde es furchtbar, wenn man einem Kind verbietet, seine Erstsprache zu sprechen. Damit wird ihm signalisiert, dass seine Sprache bestenfalls zweitklassig ist." Für Walser sind die Sprach-Verbote menschenrechtswidrig. Dass andere Politiker, allen voran die Stadtschulratspräsidentin, davon nichts wissen, will er nicht kommentieren. Das Problem liege im "völlig überbürokratisierten" Schulwesen, wo man in den zentralen Bereichen nicht mehr weiß, was in den Schulen wirklich vorgeht. Er befürwortet die Schulautonomie, aber nur unter der Prämisse, dass es kein Verbot zur Verwendung der Erstsprache geben könne.