Wien. Für die einen ist der Christkindlmarkt am Rathausplatz das ultimative Vorweihnachtserlebnis. Für sie riecht es nach Zimt, Langos und Vorfreude. Mit Glühwein im Blut schwanken sie beseelt von einem Schneekugelstand zum nächsten, beschenken ihre Liebsten mit einem Lebkuchenherz mit der Aufschrift "Prinzessin" und können sich endlich als gute Eltern wähnen, wenn sie ihre Kinder in der Christkindl-Werkstatt parken. Eine Stunde später halten sie dann eine dadaistische Plastilin-Brosche in der Hand und einen stolzen Knirps im Arm. Weihnachten kann kommen.

Für die anderen ist der Christkindlmarkt das apokalyptische Dorf ihrer Alpträume. Auf 7900 Quadratmetern beobachten sie Weihnachten als schaurige TimBurton-Fantasie: grelle Hütten, aufgekratzte Touristen, überzuckerte Kinder. Freiwillig sind sie nicht hier. Wegen dem Nachwuchs halt. Oder der Kollegen, die sich einbilden, dass es so lauschig ist, den Feierabend inmitten beschwipster Weihnachtszombies ausklingen zu lassen. Für sie riecht es nach Alkohol, altem Speisefett und Bedauern. Sie kapitulieren, sobald sie das gelb erleuchtete Neonschild "Frohe Weihnachten" passiert haben. Lassen sich mit klammen Händen von der Masse durch das 148-Hüttendorf schieben und hoffen, dass ihre Winterkluft den Ausflug in das Christkindlreich unbeschadet überstanden hat. Denn ihre Seele hat es nicht.
Und trotzdem. Auch sie kommen wieder. Der Christkindlmarkt am Wiener Rathausplatz ist wie der unmögliche Onkel, den man in all den Jahren doch irgendwie lieb gewonnen hat - trotz aller Unannehmlichkeiten. Jedes Jahr besuchen ihn rund drei Millionen Menschen. Es ist der größte Adventmarkt Österreichs.
Asyl für den Weihnachtsmuffel
"Früher war an einem Wochentag mehr los als heute an einem Sonntag. Es war gesteckt voll, wie wir alleine hier waren", erzählt Margarethe Stöger. Früher, das war 1975, als der Christkindlmarkt zum ersten Mal am Rathausplatz stattfand. Von den Märkten am Spittelberg, der Freyung oder dem Karlsplatz war noch keine Rede. Damals gab es auf dem Rathausplatz nur 66 Hütten. Margarethe Stöger hatte eine davon. Stand Nummer 16. Damals wie heute. Dieses Jahr verkauft die 66-Jährige Weihnachtsschmuck. Es sind Kugeln, Kerzen, Kunststoffäpfel, Weihnachtsbäume und Engel aus Nelken und anderen Gewürzen. "Damit bin ich die Einzige", sagt sie. Sie weiß um ihren USP, ihr Alleinstellungsmerkmal. Nach 38 Jahren kennt sie das Weihnachtsbusiness durch und durch. Weiß, dass man sich Nischen schaffen muss, um zu bestehen gegen die anderen Hütten, gegen die anderen Märkte und gegen die Plastik-Angebote in den großen Supermarktketten.