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Kampflächler im Einsatz

Von Solmaz Khorsand

Politik
75 Haushalte stehen für Dziedzic und Prack am Plan.
© Prostejovsky

50 Teams besuchen bis zur Befragung ab 17. Februar die Wähler.


Wien. Zweimal klingelt Ewa Dziedzic immer. Das erste Mal kann überhört werden. Und drei Mal zu klingen ist einfach zu aufdringlich, findet sie. Erwartungsvoll steht die grüne Politikerin vor der schweren braunen Tür. Gemeinsam mit Georg Prack, dem Landesprecher der Wiener Grünen, versieht sie heute Abend Dienst. Zwei Stunden lang werden sie die Schottenfeldgasse im 7. Bezirk abwandern - und versuchen die Leute für ihre Sache zu überzeugen: die Verkehrsberuhigung der Mariahilfer Straße.

Ab 17. Februar werden die Stimmzettel für die Anrainerbefragung ausgeschickt. Dann wird entschieden, ob die Fußgängerzone Mariahilfer Straße kommt oder nicht. Ob die jahrelange Planung, die Mobilisierung, die Kritik, der Unmut und die Kosten umsonst waren - oder nicht. Die Zeit ist knapp. 30.000 Haushalte in Mariahilf und Neubau wollen die Grünen in den nächsten Wochen abklappern. Von der Vizebürgermeisterin bis zum Sympathisanten. Für sie geht es um mehr als nur die Zukunft einer Einkaufsstraße, deren Umgestaltung das ganze Land polarisiert. Es geht um die eigene Glaubwürdigkeit. Wie weit sind die Grünen bereit, für ihr Prestigeprojekt zu gehen?

200 Männer und Frauen haben sich für die Mission Hausbesuch gemeldet. Ein Drittel der Klinkenputzer wohnt in den beiden Bezirken. Der Rest stammt aus Wien und Umgebung. In Zweierteams rücken sie jeden Abend ab 17 Uhr aus. Treffpunkt ist die Parteizentrale, das "Grüne Haus" in der Lindengasse 40. Hier werden sie 15 Minuten vor Beginn noch einmal eingeschworen auf die Mission. "The Big Picture" müssen sie vermitteln, nicht die Details - so die Devise, die im eigens für die Hausbesuche kreierten 32-seitigen Kampagnenhandbuch erklärt wird.

Universitäre Sprache tabu

"Das erste Mal war schon eine Überwindung", erzählt Prack. Nach drei Besuchen ist der 30-jährige Sozialarbeiter gelassener. Er und Dziedzic sind gebrieft. Sie haben an Workshops teilgenommen und das Kampagnenhandbuch verinnerlicht. Sie wissen, dass sie nicht zu nah an der Haustür stehen dürfen, wenn sie anklopfen, denn das würde auf die Anrainer zu bedrohlich wirken. Dass sie nicht mit einer "universitären Sprache" kontern sollen, wenn jemand "normal" mit ihnen spricht. Und dass sie nicht in die Wohnungen gehen sollen, selbst, wenn sie die Anrainer freundlich hereinbitten. Denn jeder Besuch soll nur fünf bis sieben Minuten dauern. Und 75 Haushalte sind das Tagesziel. Zeit für Tratsch ist hier nicht.

Ausgerüstet mit der Wählerevidenzliste, Nougatherzen und Infomaterial begeben sich Dziedzic und Prack wie zwei froschgrüne "Zeugen Jehovas" in die Kälte. Mit ihrem Postschlüssel öffnen sie fremde Tore. Die Aufgaben sind heute Abend klar verteilt. Prack hält die Liste, Dziedzic übernimmt das Reden. Energisch klingelt sie an die Türen. Gelegentlich kommt ein Ängstliches: "Wer ist denn da?" und ein Hervorlugen hinter der Türkette. Kaum einer macht heute die Tür auf. Semesterferien. Und viele sind um die Zeit noch in der Arbeit. Das Zeitfenster ist kurz. Es ist 17 Uhr. In zwei Stunden müssen sie zurück in der Zentrale sein, so die Order. Es sei unhöflich die Leute nach dieser Uhrzeit zu belästigen. Denn dann läuft das Abendprogramm. Und Pensionisten können schon einmal unwirsch werden, wenn sie jemand von ihrem Fernseher wegzulocken versucht.

Vorsichtig tastet man sich an die Anrainer heran. Man weiß, die Stimmung war schon einmal besser im grünen Boboville Mariahilf und Neubau. Konfrontationen gehen die Besucher aus dem Weg. Höflichkeit steht hoch im Kurs. Aktives Zuhören. Viel nicken. Viel lächeln. Egal, wie sehr einem das Gesagte gegen den Strich geht. Und alles wird bei ihnen deponiert: von den mangelnden Sitzgelegenheiten auf der Einkaufsmeile, den Pöbel in den Parks und die anstrengenden Strecken, die man Tag für Tag bewältigen muss, weil es keinen Bus mehr gibt. Bei den Befürwortern läuft das Prozedere schneller ab. Da trommelt schon einmal eine Mutter den gesamten Nachwuchs vor die Tür und verkündet hoheitsvoll: "Kinder das sind die Grünen, die bringen uns die Fußgängerzone."

"Es ist ja nicht persönlich"

Schwieriger wird es mit einstigen Sympathisanten. "Ich war früher Gemeinderat bei den Grünen. Jetzt wähle ich aber die KPÖ", sagt ein Anrainer. Zu oft würden die Grünen den Mittelweg gehen. "Wenn sie das wollen, sollen sie das machen, ohne die Leute zu befragen", sagt er. Er unterstütze eine Fußgängerzone, an der Befragung will er aber nicht teilnehmen. "Die werden das schon schaffen", sagt er. "Vielleicht gibst du dir doch noch einen Ruck und schickst die Befragung ab", versucht ihn Prack zu überzeugen. Der junge Mann schüttelt den Kopf und schließt die Tür. Tut das eigentlich weh? Wenn ausgerechnet jene Leute, die man eigentlich in seinem Boot wähnt, einem mit einem Nein abspeisen?

"Es ist ja nicht persönlich", sagt Ewa Dziedzic. Seit fast zehn Jahren engagiert sich die Politikwissenschafterin für die Grünen. Heute ist sie Vorsitzende der Landeskonferenz, dem strategischen Herz der Partei. Eines hat sie gelernt. Wehleidig darf man in ihrem Job nicht sein. Oder nachtragend. Insbesondere nicht gegenüber potenziellen Wählern. Sie gilt es immer bei der Stange zu halten. Und wenn ein gequältes Lächeln, klamme Finger und ein gefülltes Nougatherz dafür nötig sind, dann sei es darum.