
Wien. "Und, aus welchem Stein wird Dein Denkmal sein?", fragt ein Steinmetz der Dombauhütte zu St. Stephan einen Kollegen. Als Antwort erhält er ein unverständliches Murmeln, der Bildhauer ist in sein Werk vertieft. Zu fünft meißeln, schlagen und schleifen sie an diesem Tag neue Türmchen und Kapitele aus dem hellen Sandstein. Wolfgang Mahringer arbeitet seit drei Wochen an der Verstrebung einer Brüstung. Bis er fertig ist, wird es drei weitere dauern. Es ist das erste Stück des Zwanzigjährigen, aber bestimmt nicht das letzte. "Es ist eine große Ehre, hier zu arbeiten. Wer kann schon sagen, dass er am Stephansdom Steinmetz ist?"
Die Steinmetze und Bildhauer der Dombauhütte stehen in einer acht Jahrhunderte alten Tradition. Schon während der Bauzeit waren Restaurierungsarbeiten notwendig geworden. Es ist ein ständiges Rennen gegen die Zeit. Auf sich alleine gestellt, würde der Dom bald verkrusten, zerbröseln und von der Witterung verwaschen werden. Von den filigranen Ornamenten der Fassade bliebe nicht mehr viel übrig. Ein halbes Menschenleben dauert nun bereits die Generalsanierung. Seit seiner Entstehung haben wenige Generationen von Wienern ihrem Dom so viel Schaden und gleichzeitig so viel Gutes zugefügt, wie jene des 20. und 21. Jahrhunderts. Doch in zehn Jahren könnte der Stephansdom gerüstfrei sein - wenn es so zügig weitergeht wie bisher.
Sein ursprüngliches Aussehen wird der Dom dennoch nie wiedererlangen. Was wenige wissen: Im Mittelalter waren Teile des Gebäudes kunterbunt bemalt. Am Riesentor entdeckten die Restauratoren teils sieben verschiedene Farbfassungen, und zwar "relativ kräftige", sagt Dombaumeister Wolfgang Zehetner. Große Teile der Außenmauern wurden schon im Mittelalter steinfärbig übertüncht, um die Fugen zwischen den Steinen zu verdecken und schönere darüberzumalen. Nur noch wenige Stellen sind im Original erhalten, was den Baumeistern des 19. Jahrhunderts zu verdanken ist. "Man hat damals angenommen, dass die Gotik ursprünglich steinsichtig war, und hat mit sehr viel Aufwand die Farben entfernt, die, wie wir heute wissen, mittelalterlich waren", sagt Zehetner.
Schwarz wegen Einlagerungen
Die Restaurierung gotischer Kathedralen ist eine heikle Angelegenheit. Ein spezielles Phänomen betrifft den Kalksandstein, aus dem der Stephansdom erbaut wurde: Vergipsung. Trifft der Kalk des Steins auf Säure, entsteht Gips. So hat sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts, als Wien zur Großstadt anwuchs, durch sauren Regen eine Gipskruste auf der Fassade gebildet. Die schwarze Farbe stammt von Einlagerungen: Ruß vom Hausbrand etwa und anderen Schadstoffen. Unter dem Elektronenmikroskop lässt sich in der Gipsschicht wie bei Jahresringen die Verschmutzung in einzelnen Jahren ablesen. "Die schlimmsten Jahre waren immer jene nach den Kriegen, also 1919 und 1946", sagt Zehetner. "Damals haben die Leute mit allem geheizt, was zu finden war."
Neben der schwarzen Färbung bewirkt die Gipskruste noch ein weiteres Problem: Sie schließt Wasser in den Poren des Steins ein. Bei Frost dehnt sich das Wasser aus und sprengt den Stein. Fünf Tage die Woche verbringen Mitarbeiter von Reinigungsfirmen hinter den Sichtschutz-Planen der Baugerüste mit der Entfernung der Kruste. Wer genau hinlauscht, hört das leise Rauschen der Sandstrahlgeräte. Für delikatere Stücke kommt mit einem Lasergerät Hi-Tech am Dom zum Einsatz.
"In zehn Jahren werden wir den Aufwand deutlich reduzieren können", sagt Zehetner. Bis dahin benötigt die Dombauhütte noch etwa 2,5 Millionen Euro im Jahr an Finanzhilfe. Sie setzt sich derzeit zum überwiegenden Großteil aus Spenden und Einnahmen aus dem Tourismus zusammen. "Das funktioniert ganz gut, es wird aber schwieriger."
Die jahrhundertelange Sanierung führte dazu, dass zwar die Substanz des Doms zu 90 Prozent original ist, die Fassade allerdings nur mehr zur Hälfte. Die Werkstatt der Steinmetze befindet sich im Zubau an der Nordseite, wo die Fiaker stehen. Im Mittelalter galten die Bauhütten als Hochtechnologiezentren, als "Silicon Valleys ihrer Zeit", so Wolfgang Zehetner. Steinmetz Karl Deutenhauser hat in zwei Tagen reiner Handarbeit aus einem unförmigen Sandsteinblock einen zehntelmillimetergenauen Rohling herausgeschlagen. Mit 35 Jahren Dienstzeit ist er der längstdienende Steinmetz hier. "Das Endprodukt des Handwerks ist das Schöne, wenn es fix und fertig an der zugewiesenen Stelle wieder Platz gefunden hat. Dann ist diese Wunde wieder geheilt." Wie seine Vorgänger gibt er sein Wissen an die nächste Generation der Steinmetze am Stephansdom weiter. Jede Generation setzt sich so ein Denkmal.