Zum Hauptinhalt springen

Der schärfste Punkt im Wiener Wahlrecht

Von Christian Rösner

Politik

Die Klubchefs zeigen sich zuversichtlich, laut Gerüchten will Häupl aber keine Einigung beim Wahlrecht - eine Analyse.


Wien. Hat man vor kurzem noch mit vorgezogenen Wahlen in Wien spekuliert, gehen jetzt Gerüchte um, dass es keine Einigung über die Wahlrechtsreform zwischen Rot und Grün geben wird. Zu hoch ist das Interesse Häupls, das mehrheitsfördernde Wahlrecht in Wien beizubehalten. Und zu hoch ist das Interesse der Grünen, nicht als Verlierer aus den Verhandlungen über die Wahlrechtsreform auszusteigen, meinen Rathaus-Insider.

Eines haben die Grünen klargemacht: Die im Koalitionsübereinkommen vereinbarte Wahlrechtsreform wird die SPÖ Mandate kosten. Und der Wiener Bürgermeister hat von Anfang kein Geheimnis daraus gemacht, dass er davon nichts hält. Zwar müsste es eine Reform aufgrund der bundesgesetzlichen Neuregelung bezüglich der Briefwahl geben. Aber wenn alles beim Alten bleibt, würde auch nicht mehr passieren, als dass der Verfassungsgerichtshof in ein paar Jahren die Briefwahlregelung in Wien kippt. Dass Häupl mit so einer Vorgangsweise einen Koalitionsbruch riskieren und damit wiederum eine vorgezogene Wahl initiieren würde, scheint nicht unwahrscheinlich.

Ein Mandat würde nicht helfen

Das ist allerdings lediglich nur ein Gerücht und scheint - aus anderer Perspektive betrachtet - ein wenig an den Haaren herbeigezogen. Schließlich würde den Roten die Beibehaltung des jetzigen Wahlrechts kaum etwas nützen: Mit knapp 45 Prozent hat die SPÖ derzeit 49 von 100 Mandaten. Vor 2010 hatte sie 49 Prozent und 55 Mandate. Hätte Wien die Wahlordnung des Nationalrates, würden der Wiener SPÖ nur noch 46 Mandate zustehen. Und genau das ist für die Grünen der Verhandlungskorridor: zwischen 46 und 49 Mandate. Um sich hier in der Mitte treffen zu können, müsste die SPÖ nur auf ein Mandat verzichten - zumal der mehrheitsstärkende Effekt durch das derzeitige Wahlrecht nur etwa ein Mandat ausmacht.

Und der mehrheitsfördernde Effekt wird auch umso geringer, je weniger Prozente eine Partei bekommt. Dass die SPÖ 2015 mehr als 45 Prozent einfährt, scheint derzeit unwahrscheinlich. Vor allem wenn man bedenkt, dass sie bei der EU-Wahl nur auf 27,6 Prozent gekommen ist. So gesehen hätte es also gar keinen Sinn, am mehrheitsfördernden Wahlrecht festzuhalten.

Klubchefs optimistisch

Und so geben sich die Klubchefs von Rot und Grün stets optimistisch. Und das, obwohl die Reform regelmäßig angekündigt und verschoben wird - bis Häupl im Herbst 2013 klargestellt hat: "Wozu die Eile? Wir wählen 2015, bis dahin wird sie fertig sein."

SPÖ-Klubchef Rudolf Schicker bezeichnete das Thema im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" "als kleines Delta, das nicht der Rede wert ist, über das wir schon drüberkommen werden". Grünen-Klubchef David Ellensohn sieht das anders. Alles könne mit dem Wahlrecht stehen und fallen, bezeichnet er das Thema doch "als den schärfsten Punkt, um den es in Wahrheit die ganze Zeit geht."

Was aber beide nicht daran hindert, am liebsten auf die Punkte hinzuweisen, auf die man sich bereits geeinigt hat: diverse Gleichstellungen mit dem Bundeswahlrecht und die 17-Uhr-Frist auch für Briefwahlkarten am Wahltag. Weiters sind beide Parteien für die Abschaffung der nicht amtsführenden Stadträte, und dass auch EU-Bürger und Drittstaatenangehörige auf Gemeinderatsebene wählen dürfen. Dafür ist allerdings auf Bundesebene eine Verfassungsänderung notwendig, die aber derzeit nicht mehrheitsfähig ist. Aber auch hier zeigt sich Schicker zuversichtlich: Zwar habe um die Jahrtausendwende der Verfassungsgerichtshof einer Klage der FPÖ gegen die Wahlberechtigung von Drittstaatenangehörigen in Wien recht gegeben. Dass aber bei EU-Wahl in manchen Bezirken ein Drittel der Bevölkerung nicht wahlberechtigt war, könnte laut Schicker helfen, die demokratiepolitische Sicht des VfGH beim nächsten Mal im Sinne von Rot-Grün zu beeinflussen.

Allerdings wollen weder SPÖ noch Grünen eine weitere Klage beim VfGH in Kauf nehmen. "Es ist ein Unterschied, ob eine Bezirksvertretungswahl aufgehoben wird oder eine Landtags- und Gemeinderatswahl. Das ist mir zu heiß", sagte Schicker. Stattdessen soll eine Resolution an den Bund verabschiedet werden, Schicker erhofft sich Unterstützung durch Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz.

Vielfalt versus NPD

Diskutiert werden muss hingegen noch über die 5-Prozent-Hürde in den Bezirken: Schicker will eine solche Hürde, weil er befürchtet, dass in Wien Ähnliches wie in Deutschland passieren könnte, wo plötzlich die NPD im Europaparlament sitzt. "Im ersten Bezirk ist man mit 200 Stimmen Bezirksrat. Ich denke schon, dass es eine berechtigte Forderung wäre, hier eine Schranke einzuziehen", so Schicker. Ellensohn hingegen würde mit dieser Hürde die Vielfalt gefährdet sehen.

Diskutieren werden SPÖ und Grüne auch noch über die Änderungen bei den Vorzugsstimmen, weil auch dieses Thema betreffend der Bund kurz vor der EU-Wahl neue Regelungen beschlossen hat. Ob hier wie bei der Briefwahl die Bundesregelung 1:1 übernommen wird, ist aber noch nicht fix. Einen "casus belli" wollen aber weder Ellensohn noch Schicker daraus machen, wie beide betonen. Das gelte übrigens ebenso für die 5-Prozent-Hürde. Ob das auch auf "den schärfsten Punkt" im Wahlrecht zutrifft, bleibt abzuwarten. Der offizielle Wahlkampf-Modus dürfte auf jeden Fall sehr bald ausgerufen werden.

Wahlrecht bei Landtagen

Das Proporzsystem ist ein Auslaufmodell, aber noch findet es sich in den Wahlrechten von Niederösterreich, Oberösterreich, Burgenland, Kärnten und Wien - wobei ein wesentlicher Unterschied in der Hauptstadt darin besteht, dass die Stadträte der Oppositionsparteien "nicht amtsführend" sind.

Im Proporzsystem, das seinen Ursprung in der Zwischenkriegszeit hat, beteiligt alle im Landtag vertretenen Parteien an der Regierung. Diese Idee entspricht heute nicht mehr dem gängigen Demokratieverständnis, weshalb nach und nach die Länder ihre Wahlrechte umstellten.

Vorarlberg entschied sich bereits 1923 für das Mehrheitswahlrecht, Salzburg und Tirol folgten Ende der 90er Jahre. In der Steiermark wird im kommenden Jahr erstmals ohne Proporz gewählt, in Kärnten und dem Burgenland wird an einer Reform des Wahlrechts gearbeitet. In Nieder- und Oberösterreich wird dies zwar auch immer wieder diskutiert, Konkretes kam aber nicht heraus. Es sind vor allem Oppositionsparteien, die um den Zugang zu Information und (gut bezahlten) Posten fürchtet.

In Vorarlberg, wo im Herbst gewählt wird, ist man einen weiteren Schritt gegangen, in dem die Vorzugsstimmen deutlich aufgewertet wurden.