Dankbar, mit Überlebenden sprechen zu dürfen: Martin Krists Schüler bei der Preisverleihung. - © Weiss
Dankbar, mit Überlebenden sprechen zu dürfen: Martin Krists Schüler bei der Preisverleihung. - © Weiss

Wien. Das Kriegerdenkmal am Bundesgymnasium 19, beheimatet in der Wiener Gymnasiumstraße, wurde 1935 vom damaligen Kunstlehrer und illegalen Nationalsozialisten Ernst Peche gestaltet. 1945 fügte man eine Tafel hinzu, die auch die im Zweiten Weltkrieg Gefallenen würdigen sollte. Nicht erinnert wurde darauf allerdings an die im NS-Regime Ermordeten, betonte die ehemalige Schülerin des G 19, Anja Gleich, Donnerstagabend bei der Verleihung des diesjährigen Leon-Zelman-Preises an ihre Schule. Das Denkmal wurde daher vor einigen Jahren auf Initiative des Geschichtslehrers Martin Krist umgestaltet, organisiert wurde sie von der Kunstpädagogin Elisabeth Kern, die im Rahmen des Festakts von "einem kleinen Beitrag mit großer Wirkung" sprach.

Martin Krist setzt immer wieder Initiativen dieser Art: Kontinuierlich arbeitet er mit seinen Schülern und Schülerinnen in Projekten zur NS-Zeit, holt die Geschichte dabei aber auch immer ins Hier und Heute. Unter seiner Ägide wurde recherchiert, was mit jenen insgesamt 104 Schülern passiert ist, die in der NS-Zeit von der Schule ausgeschlossen wurden, betonte Werner Dreier, Geschäftsführer der Plattform erinnern.at, in seiner Laudatio. Unter Krists Ägide wurde auch zu den Lebensgeschichten der 21 ermordeten Absolventen und der zwei ermordeten Lehrer gearbeitet.

Die Jury des nun zum zweiten Mal vom Jewish Welcome Service vergebenen Leon-Zelman-Preises, der von der Stadt Wien mit 5000 Euro dotiert wird, begründete die Vergabe des Preises an das G 19 damit, dass sich diese Schule eben im Sinn Leon Zelmans, der selbst die Schoa überlebte und sich dann zeit seines Lebens sowohl für die Erinnerung als auch Versöhnung einsetzte, engagiere. Man anerkenne "das permanente Bemühen als eine der ersten Wiener Schulen um die Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte Österreichs und ihren Folgen". Besonders hervorgehoben wurde die Auseinandersetzung mit der Schulgeschichte. Die hier geleistete Aufarbeitung könne gar nicht hoch genug geschätzt werden, unterstrich auch Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny.

Schleier der
Gleichgültigkeit


Anja Gleich, die kürzlich maturiert hat, betont heute: Durch die vielen Jahre der Beschäftigung mit der NS-Geschichte im Unterricht habe sie gelernt, "sich dazu verpflichtet zu fühlen, diese Aufklärungsarbeit so lange, wie es nötig ist, weiterzuführen und es niemals geschehen zu lassen, dass über unsere Geschichte ein Schleier der Gleichgültigkeit fällt und das Engagement dafür nachlässt. Denn wiederholt gesagt, liegt es in unserer Macht, niemals wieder vergessen zu lassen."

Und Linda Pietsch, die ebenfalls von Krist unterrichtet wurde, hielt fest: "Ich hatte das Glück, mit Überlebenden des Zweiten Weltkriegs sprechen zu können, die mir das Unrecht dieser Zeit so eindrucksvoll vermittelten, wie es kein Geschichtsunterricht jemals könnte. Doch gehören wir vermutlich zur letzten Generation, die mit diesen Menschen sprechen konnte. Die Erinnerung an sie wird mit der Zeit verblassen und auch die an ihre Schicksale. Genau deshalb haben wir eine Aufgabe bekommen. Es ist unsere Aufgabe, ihr Andenken zu bewahren. Damit meine ich unter anderem auch Dinge, die uns überdauern werden: Gedenktafeln, ehemalige Konzentrationslager, die heute als Gedenkstätten dienen, Schriften und Bücher, die ihre Leiden und ihren Kampf dokumentieren. Es reicht nicht, diese Stückchen der Geschichte aufzuheben, sondern man muss sie auch historisch korrekt gestalten." Das sei an ihrer Schule passiert.

Empathie für die Opfer


Krist, der auch in der Lehreraus- und -fortbildung tätig ist und sich bei erinnern.at engagiert, betonte in seinen Dankesworten, es gehe in der Vermittlung der NS-Zeit immer auch um einen Transfer in die Gegenwart, um Sensibilisierung und Empathie gegenüber den Opfern. Am besten gelinge das, indem man sich mit Einzelschicksalen befasse und auch eine räumliche Nähe suche: Was ist in dieser Zeit genau hier passiert, hier, an dieser Schule?

Ein Anliegen war es Krist zu betonen, dass Schüler mit Migrationshintergrund hier nicht desinteressierter seien als ihre Mitschüler, wie dies oft in Medien behauptet werde. Nach jedem Zeitzeugenbesuch lasse er seine Schüler Reflexionen schreiben. Diese zeigen, dass stets alle Jugendlichen von den Gesprächen sehr berührt seien. Den Preis nahm er schließlich sichtlich gut gelaunt entgegen - und betonte, er betrachte ihn "als Auftrag, an unserer Schule weiter in diese Richtung zu arbeiten".