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Dickicht der Bürokratie

Von Sophie-Kristin Hausberger

Politik

Semir Rahic konnte Deutsch, bevor er Bosnisch lernte - für den Aufenthaltstitel in Österreich nützte ihm das zunächst wenig.


Wien. Seit sieben Jahren lebt der Bosnier Semir Rahic in Wien. Deutsch konnte er, bevor er Bosnisch lernte. Doch beim Antrag für die Rot-Weiß-Rot-Karte (RWR-Karte) das Kästchen "Deutsch als Muttersprache" anzukreuzen, sei keine so gute Idee, erklärt der 25-Jährige. "Auf der einen Seite ist es für die RWR-Karte sehr wichtig, gutes Deutsch zu können, auf der anderen Seite macht es die Bearbeiter anscheinend stutzig, wenn man als Ausländer zu gutes Deutsch spricht."

Aber die Geschichte von Rahic ist durchaus ungewöhnlich. Während der Krieg in Bosnien-Herzegowina (1992 bis 1995) tobte, zogen Rahics Eltern nach Deutschland. Er selbst war damals drei Jahre alt. Mit Kindergarten und dann Schule konnte er bald besser Deutsch als Bosnisch. Erst als er 1997 im Alter von acht Jahren wieder zurück nach Bosnien-Herzegowina musste, lernte er auch seine Muttersprache. Mit 18 Jahren entschied er sich dann, für sein Informatik-Studium nach Österreich zu kommen.

6000 statt 24.000 Karten

Peter Marhold, Obmann des Vereins Helping Hands, half dem jungen Mann die im Jahr 2011 eingeführte Zuwanderungsbestätigung für Nicht-EU-Bürger zu bekommen. Die Non-Profit-Organisation berät Ausländer bei juristischen Fragen. Rahic war dankbar. Denn ohne RWR-Karte hätte er nach Abschluss seines Studiums nicht in Österreich bleiben können.

"Der Teufel liegt oft im Detail", sagt Marhold, "Semir wäre ohne mich vermutlich in einige Fallen getappt: Das Mindesteinkommen und die Arbeitszeit hätten vermutlich gefehlt - sowie auch die Begründung, warum ausgerechnet er für einen Job unabkömmlich ist." Wegen dieser Details scheitert der Antrag von vielen. Erklärtes Ziel bei der Einführung der RWR-Karte wäre es gewesen, pro Jahr 8000 qualifizierte Arbeitskräfte nach Österreich zu locken. Doch seit 2011 wurden keine 6000 RWR-Karten vergeben.

Rahic hat seine RWR-Karte vor zwei Jahren als Schlüsselkraft bekommen. Neben dem Informatikstudium jobbte er bei einer Firma als Programmierer auf Honorarbasis. "Nachdem ich meinen Abschluss hatte, hat mir mein Chef eine feste Anstellung angeboten. Eigentlich wollte ich nebenbei meinen Master machen, aber die Kriterien für die RWR-Karte ließen das zunächst nicht zu."

Um eine RWR-Karte zu erhalten, muss jeder Nicht-EU-Bürger genügend Punkte nach gewissen Kriterien erreichen. Dazu zählen Qualifikation, Alter, Berufserfahrung, Sprachkenntnisse, ein adäquates Jobangebot und eine festgelegte Mindestentlohnung. Vor allem Letzteres bekrittelt Marhold: "Semir ist mit seinem Bachelorabschluss nicht in die Gruppe der Studienabsolventen gefallen, dazu hätte er den Master benötigt. Er gilt somit als Schlüsselkraft, da werden dann 2265 Euro brutto pro Monat verlangt. Für viele Studienabgänger ist es natürlich schwer, ein so hohes Einstiegsgehalt nachzuweisen." Anträge werden bereits abgelehnt, wenn ein Ausländer nur ein paar Euro zu wenig verdient.

Der Wirtschaftsinformatiker zog dem Masterstudium das Jobangebot vor. "Ich hatte großes Glück. Mein Chef und ich verstehen uns sehr gut und er wollte unbedingt mich für diese Anstellung haben." Um nicht in bürokratische Fallen zu treten, wandte sich Rahic an den Verein Helping Hands. "Ganz wichtig war, dass mein Chef beim AMS angibt, warum gerade ich für den Job unabdingbar bin", erzählt Rahic. Bei ihm war es schlussendlich ein Programmier-Zertifikat, das ihn von anderen Bewerbern unterschied. Er hatte in Bosnien ein Diplom für die inzwischen unübliche Programmiersprache Delphi abgeschlossen, mit der seine Firma arbeitet. Hätte ein Österreicher die gleichen Qualifikationen wie er gehabt, hätte der Inländer die Jobstelle bekommen.

Kästchenpolitik

"Dass das System urstreng ist, ist eigen. Ich verstehe ja, dass man schützen will, was man aufgebaut hat. Ich bin ja nicht von hier. Aber wenn jemand hier das Studium abgeschlossen hat, verstehe ich nicht, dass man es demjenigen so schwer macht, zu bleiben. Immerhin hat Österreich mir ja mein Studium erst möglich gemacht." Dabei würde laut einer Studie des Prognos-Instituts sogar jeder dritte ausländische Student nach dem Abschluss in Österreich bleiben. "Ich kenne viele Bosnier, die hier Medizin studiert haben und dann nach Deutschland auswandern mussten, weil das System nicht zulässt, dass sie ohne Probleme hierbleiben können", so Rahic. "Das ist Bürokratie."

Marhold kennt das Problem: "Die Rechtslage ist sehr spezifisch und zersplittert. Man muss sich das mit Kästchen vorstellen. Je mehr Kästchen, desto mehr Zwischenräume gibt es. Es gibt immer ein Kästchen, wo jemand genau nicht hineinpasst, ein Kriterium, das gerade nicht erfüllt wird. Oder jemandem fehlen die notwendigen Dokumente, um seinen Werdegang nachzuweisen." Denn nicht in jedem Land wird Verwaltung so großgeschrieben wie in Österreich. "Wenn ich aus einem Staat komme, bei dem Geburtsurkunden ,zufällig‘ ausgestellt werden, dann beginnen viele bürokratische Hürden", so Marhold. Auch das Alter kann ein Knock-out-Kriterium sein. Denn über 40-Jährige mit einer abgeschlossenen Ausbildung, kommen im Punktesystem der RWR-Karte - selbst als ausgewiesene Fachkraft mit viel Berufserfahrung und Deutsch-Kenntnissen - nicht auf die geforderte Mindestzahl.

Rahics Ansuchen verlief reibungslos. Er bekam nach vier Wochen seine Karte zugeschickt. Das ist die Ausnahme. Laut Gesetz müsste der Antrag innerhalb von acht Wochen fertig bearbeitet sein. Mit der Realität hat das oft wenig zu tun. Da dauert es durchschnittlich zehn bis 15 Wochen. Um das geforderte Mindestbruttogehalt von 2265 Euro zu bekommen, musste Rahic sein Masterstudium vorerst auf Eis legen. "Später hab ich meinen Job dann bei gleichem Gehalt auf eine 30-Stundenwoche reduzieren können." Denn das vorgeschriebene Mindestgehalt für die RWR-Karte wird nicht potenziell zu den geleisteten Stunden angepasst.

Im Sommer ist Rahic mit seinem Master fertig. Da er mehr als ein Jahr bei derselben Firma beschäftigt war, hat er inzwischen die Rot-Weiß-Rot-Karte plus bekommen, die einen freien Arbeitsmarktzugang gewährleistet. Damit will sich Rahic ab Herbst selbständig machen. "Ich glaube, ich werde vorerst hier bleiben. Wien ist eine gute Stadt für mich."