
Wien. Welchen Einfluss hat Migration auf das Österreichische beziehungsweise das Wiener Deutsch? Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" erklärt der Sprachwissenschafter Manfred Glauninger, warum sich Sprachpolizisten künftig noch mehr ärgern werden, viele Kinder mit Migrationshintergrund sich schwer tun beim Deutsch-Lernen und warum ein französischer Akzent als charmant, der türkische aber als störend empfunden wird.
"Wiener Zeitung": Wie wird das Deutsch in Österreich in 100 Jahren ausschauen? Könnte ein neues Deutsch durch die vielen Einflüsse von Migranten entstehen?
Manfred Glauninger: Die Entwicklungen werden sich wohl noch stärker im Kontext des gesamtdeutschen Sprachraums abspielen. Das liegt vor allem an den wirtschaftlichen, politischen und medialen Realitäten. Natürlich spielt der Kontakt zu anderen Sprachen in Österreich ebenfalls eine Rolle. Wann sich das konkret bemerkbar macht? Das kann ein langsamer, manchmal aber ein sehr schneller Prozess sein. Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts beispielsweise, nachdem viele Tschechen nach Wien migriert waren, gab es relativ rasch markante Veränderungen im Wienerischen.
Warum wird ein französischer Akzent hierzulande als charmant wahrgenommen, während jemand, der mit einem türkischen Akzent Deutsch spricht, öfters aufgefordert wird, "gscheit Deutsch" zu lernen?
Sprache löst Assoziationen aus. Jede Varietät, jeder Akzent ist mit Emotionen und Stereotypen verbunden. Wir verbinden einen französischen Akzent mit Kultur, Mode, Erotik, gutem Essen und so weiter. Auf der anderen Seite gibt es neben diesen "positiven" die "negativen Klischees" - etwa wenn wir Türkisch mit Lärm im Gemeindebau verbinden. Negative Assoziationen lösen auch manche Dialekte oder das bundesdeutsche Deutsch aus. Häufig wird gesagt, dass Deutsche arrogant oder besserwisserisch klingen. Das kann etwas damit zu tun haben, dass Deutschland als allzu "großer Bruder" empfunden wird.
Wie schnell kann sich eine Sprache komplett verändern?
Es gibt Phasen, in denen Sprachwandel sehr schnell voranschreitet, und Phasen, in denen es Jahrhunderte dauert, bis er bemerkbar wird. Jetzt erleben wir durch weltwirtschaftliche Prozesse und die digitale Kommunikationsrevolution wohl einen enorm schnellen Sprachwandel. Von der jetzigen auf die nächste Generation wird sich rasch einiges ändern. Vor allem das Ineinanderfließen von gesprochener und geschriebener Sprache in den digitalen Medien und die weltumspannende Kommunikation werden dafür sorgen. Mediale Veränderungen spielen eine große Rolle. Das hat man beim Buchdruck gesehen.
Kann überhaupt verhindert werden, dass sich die deutsche Sprache verändert?
Soll es überhaupt verhindert werden? Ist Veränderung per se etwas Negatives? Deutsch in Österreich ist mehr als österreichisches Deutsch. Allein durch die Medien und den Handel sind Formen der deutschen Sprache aus allen Ecken des deutschen Sprachraums in Österreich immer gegenwärtig. Der Versuch, das zu stoppen, ist völlig utopisch und nicht wünschenswert. Diese Vielfalt muss keine "Bedrohung" sein. Sie ist ein Potenzial, eine kommunikative Ressource. Gerade der Umgang mit der Koexistenz und Interaktion vieler unterschiedlicher Formen der deutschen Sprache ist charakteristisch österreichisch.
Warum können viele Kinder mit Migrationshintergrund nicht perfekt Deutsch, selbst wenn sie hier aufgewachsen sind?
Studien zeigen ein großes Problem auf: Es fehlt diesen Kindern oft in ihrer Herkunftssprache eine ausreichende Kompetenz. Nicht selten können die Kinder in ihrer Herkunftssprache weder schreiben noch lesen. Und wenn die Herkunftssprache nicht auf einem gewissen Niveau gefestigt ist, tun sich die Kinder viel schwerer beim Erlernen einer Fremdsprache. Abgesehen davon ist das Deutsch dieser Kinder häufig gar nicht so viel "schlechter" als das der deutschen Muttersprachler. Nur der Akzent fällt natürlich auf, sodass man genauer hinhört. Bei Kindern, die akzentfrei Deutsch sprechen, fallen manche "Fehler" gar nicht auf.