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"Die Wahl wird nicht ganz sauber ablaufen"

Von Arian Faal

Politik
Ali Can rechnet zwar mit einem Sieg Erdogans, hofft aber, dass er es im ersten Wahlgang nicht schafft.
© wz/Moritz Ziegler

Ali Can, der Sprecher der Kurden in Österreich, zur Türkei-Wahl.


"Wiener Zeitung": Wie stehen die Kurden in Wien zu der türkischen Präsidentschaftswahl am kommenden Sonntag? Gibt es eindeutige Tendenzen, für wen sie stimmen?Ali Can: Das grundsätzliche Problem bezüglich der Kurden hier ist, dass von den 70.000 in Österreich lebenden Kurden aus der Türkei nur ungefähr 5000 wahlberechtigt sind. Denn diese haben die türkische Staatsbürgerschaft. Von diesen Stimmberechtigten haben die meisten für Selahattin Demirtas gestimmt. Er ist ein populärer Kurde und jener der drei Kandidaten, der für die HDP, der demokratischen Partei der Völker antritt.

Sind die Wiener Kurden denn überhaupt politisch interessiert?

Die Kurden in Österreich sind allgemein politisch interessiert. Vor allem auch deshalb, weil 80 Prozent von ihnen aus politischen Gründen flüchten mussten und nun hier ein neues Zuhause gefunden haben.

Die Umfragen deuten darauf hin, dass der aussichtsreichste Kandidat, Recep Tayyip Erdogan, ohnehin einen Wahlsieg einfahren wird. Sind die Wählerstimmen aus dem Ausland da nur eine Draufgabe?

Das sehe ich anders. So sicher ist das nicht, dass Erdogan bereits im ersten Wahlgang mehr als 50 Prozent der Wählerstimmen bekommt. Durch das Chaos bei der Online-Registrierung und den technischen Problemen bei der Organisation musste Erdogan auf viele Auslandsstimmen verzichten. Erst gestern hat er in einem Fernsehinterview die Obersten Wahlbehörde YSK ungewöhnlich scharf kritisiert.

Gewinnen wird er aber wahrscheinlich dennoch . . .

Ja, das sieht ganz danach aus. Ob er dann im zweiten Wahlgang gewinnt, ist egal. Uns ist nur wichtig, dass er im ersten Wahlgang nicht sofort durch ist und einen Denkzettel bekommt. Bei dem etwaigen zweiten Wahlgang ist er nämlich dann auf unsere Stimmen angewiesen. Zudem dürfen Sie nicht vergessen, dass diese Wahl nicht ganz sauber ablaufen wird.

Was meinen Sie ?

Erdogan hat alle staatlichen Institutionen und Ressourcen in der Hand. Er bekam im Vorfeld der Wahl die meiste Werbemöglichkeit. Ein kleines Beispiel hierzu: Er hat in den Staatsmedien täglich mehrere Stunden zur Verfügung, unser Kandidat hingegen nicht einmal zehn Minuten. Ein weiteres Indiz, was auch von der OSZE hinterfragt wurde, ist, warum es bei 50 Millionen Wahlberechtigten 68 Millionen Stimmzettel gibt. Bedenklich oder?

Wie sehen Sie die Auswirkungen für die Wiener Community, wenn Erdogan die Wahlen gewinnen sollte? Wird es eine Islamisierung nach der Wahl geben?

Wien ist schon seit Beginn der Erdogan-Ära zunehmend islamisiert. Den politischen Islam sehen wir immer als Gefahr. Denn der Islam, den Erdogan verfolgt, ist weder für Wien noch für Europa und am allerwenigsten für die Türkei selbst gesund. Wir haben davor immer schon gewarnt.

Wie sieht das konkret in Wien aus?

Wien ist eine sehr tolerante und offene Stadt und hat in den vergangenen Jahren immer einen schönen Nährboden für islamische Gruppen hergegeben.

Durch die aktuellen Entwicklungen in Syrien und im Irak muss man aber sagen, dass mehr Wachsamkeit gefordert ist. Hier geht es nicht um Kurden, Christen oder Moslems per se, sondern um die Gefahr der Radikalislamisierung. Letztere hat mit dem echten Islam absolut gar nichts zu tun. Diese Trennung ist wichtig. Die Partei von Erdogan vertritt den politischen Islam, der zum Radikalislamismus führt.

Wenn man sich die großen Pro-Erdogan-Kundgebungen ansieht, hat man den Eindruck, dass Erdogan durch die Gezi-Proteste, den Korruptionsskandal und die Twitter- und YouTube-Sperren in einigen Teilen der österreichisch-türkischen Bevölkerung kein bisschen an Rückhalt verloren hat. Im Gegenteil. Wie erklären Sie das?

Das hat einerseits psychologische und andererseits religiöse Gründe. Ich will die Wählerschaft von Erdogan nicht beleidigen, aber sie hinterfrägt die Doktrin seiner Politik überhaupt nicht. Er wird wie ein Imam, der unfehlbar ist, angesehen und angehimmelt. Hierzu positioniert er sich immer als das Opfer.

Außerdem muss man natürlich festhalten, dass er ein ausgezeichneter Rhetoriker ist und die Gabe besitzt, die Dinge so zu drehen, wie er sie gerade braucht. Dass seine Wählerschaft nicht kritisch ist, hängt letztlich aber auch mit der Religion zusammen.

Wie bindet er seine Wähler an sich?

Wenn ihm innenpolitisch die Argumente ausgehen und er in die Enge getrieben wird, dann stürzt er sich auf außenpolitische Themen. Im Fokus stehen hierbei natürlich besonders die Hasstiraden gegen Israel.

Das wollen seine Wähler hören. Hat er wieder einmal gepoltert, dann scharen sie sich wieder um ihren Sultan. Eines will ich aber noch erwähnen. Auch ein Erdogan ist nicht unfehlbar. Bei der jüngsten Kommunalwahl im März hat er fast zwei Millionen Stimmen verloren. Dass die türkischen Medien das anders transportieren, ist eine andere Geschichte. Insgesamt schafft er es dennoch zu polarisieren.

Feykom - Verband der kurdischen Vereine in Österreich. Seit mehr als dreißig Jahren bietet Österreich Zuflucht für Kurden aus der Türkei, dem Irak, dem Iran und Syrien. Der im Jahre 1992 gegründete Dachverband der kurdischen Vereine, Feykom, hat es sich in seinen Statuten zum Ziel gesetzt, die Integration der kurdischen Bevölkerung zu unterstützen. Für die rund 100.000 in Österreich lebenden Kurden werden Seminarreihen und Veranstaltungen organisiert, um ihre soziokulturelle Entwicklung zu schärfen.

Der Sprecher von Feykom ist Ali Can. Der 1973 geborene Journalist war bereits bei der Gründung 1992 bei Feykom aktiv. Im Jahr 2009 wurde er zum Sprachrohr des Verbandes gewählt. Er darf aus politischen Gründen seit 20 Jahren nicht mehr in
die Türkei reisen.