Wien. "In den vergangenen Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten, hat es die Tendenz gegeben, die Überwachung und Kontrolle in den Städten immer mehr auszuweiten", sagt die "Urbanize"-Intendantin Elke Rauth. Sie ist Herausgeberin der Zeitschrift "Dérive", die das unabhängige Stadtforschungs-Festival seit 2010 veranstaltet. In diesem Jahr hat man sich entschlossen, das Thema Sicherheit zu thematisieren "zwischen tatsächlichem Sicherheitsbedarf, Überwachungsideologie und den Möglichkeiten solidarischen Handelns zur Herstellung von Sicherheit in Zeiten der Krise".
Die Festival-Zentrale, die Jahr für Jahr wandert und mit dem Hundsturm oder der Schraubenfabrik bislang eher unentdeckte Ecken aufsuchte, hat heuer ihr "mobiles Stadtlabor" am Karlsplatz aufgeschlagen, einem neuralgischen Punkt, an dem die Überwachung durch Videokameras besonders gut sichtbar ist.
"Wir verstehen unter dem Thema aber mehr als Videoüberwachung", so die Intendantin. "Dazu gehört auch die Tendenz, Überwachung zu privatisieren, wie zum Beispiel im Goldenen Quartier am Graben. Dort arbeiten private Sicherheitsfirmen. Ein anderes Beispiel ist das Vermummungsverbot und die Sperrung der gesamten inneren Bezirke rund um den WKR-Ball. Oder die Räumung der Pizzeria Anarchia, bei der
Polizei eingesetzt wurde, um ein eigentlich rechtliches Problem zu lösen."
All das sei demokratiepolitisch bedenklich. Urbanes Leben entstehe vielmehr dann, wenn es Möglichkeiten für ganz verschiedene Bevölkerungsgruppen gibt, den öffentlichen Raum zu nutzen.
Die Frage sei doch, ob Kontrolle und Überwachung tatsächlich mehr Sicherheit schaffen. "In unserem Berufsleben kommt uns Sicherheit immer mehr abhanden und wir versuchen, diese mit anderen Mitteln wiederherzustellen. Dahinter steckt ein forcierter Sicherheitsdiskurs, den populistische und rechte Parteien in einer Schleife immer wieder erneuern. Dazu passt auch die Aussage der Innenministerin, dass es Aufgabe der Polizei sei, vor allem auf den Straßen zu agieren", sagt Rauth zur "Wiener Zeitung".
"Widerstand gegen den Ausverkauf der Stadt"
Absichern können wir uns laut Rauth aber eher durch starke Nachbarschaften und die Möglichkeit, teilzuhaben und mitzubestimmen. "Soziologen sagen schon lange, dass der öffentliche Raum nicht der Ort ist, an dem die meisten Verbrechen passieren, sondern eher der familiäre Raum, der Bekanntenkreis."
Zum Auftakt des Festivals wird am Freitag, 3. Oktober, der Berliner Kriminalsoziologe Nils Zurwaski zu Wort kommen. Er spricht bezeichnenderweise über "Kontrollfantasien".
In den folgenden zehn Tagen wird es zahlreiche Vorträge, Filme, Workshops und Führungen durch Wien geben. Die Filme laufen im Stadtkino, wo am letzten Tag des Festivals die Österreich-Premiere des Films "Mietrebellen. Widerstand gegen den Ausverkauf der Stadt" gezeigt wird. Dieser hat die Lage in Berlin in Bezug auf Gentrifizierung, Wohnungsnot und Kämpfe um Wohnraum zum Thema.
Am Mittwoch, den 8. Oktober findet ab 16 Uhr eine Stadtführung zum Thema Bildung statt, bei dem zwei "informelle Bildungsräume" besucht werden. "Bildung hat auch sehr viel mit Sicherheit und einer gesicherten Lebensführung zu tun. Diese Sicherheit kommt uns immer mehr abhanden", so die Intendantin. Bei der alternativen Stadtführung besucht man das Projekt Prosa (Projekt Schule für Alle), das Schulabschlüsse für junge Flüchtlinge ermöglicht. Außerdem kann man in einem "Hackerspace" und offenem Techniklabor für Frauen einiges über die Open-Source-Bewegung erfahren.
Dass Überwachung häufig auch freiwillig stattfindet, thematisieren der Choreograph Daniel Aschwanden und die Medienkünstlerin Conny Zenk in ihrer Performance "Bastard Crowding im Selfie-Loop". Und am 5. Oktober zeigt der Athener Architekt und Stadtforscher Stavros Stavrides, dass die abhanden gekommene Sicherheit in Griechenland auch zum Aufkommen von Selbstorganisation und neuen Initiativen der Nachbarschaftshilfe geführt hat.