Wien. Wäre Dürrenmatts "Romulus der Große" im Jahr 2014 noch am Leben, wäre er kein römischer Kaiser, sondern geflüchteter Kurde. Sein untergehendes Reich wäre nicht Rom, sondern die umkämpfte Stadt Kobane - nicht von den Germanen belagert, sondern von dem IS. Des Kaisers Bestrebungen Frieden und Gewaltlosigkeit umzusetzen, würden sich allerdings wie im 5. Jahrhundert im Sand verlaufen. Und auch an einer Patt-Situation, die vor dem Hintergrund der Gewalt und der Korruption die Herrschenden zu Tatenlosigkeit zwingt, hätte sich nichts geändert. Macht und Gier wären stärker als jede Vernunft und Pazifismus.

Jedenfalls, wenn es nach den Vorstellungen des Regisseurs und Theaterdirektors Manfred Michalke geht. In der aktuellen Produktion seines Wiener Vorstadttheaters reinszeniert er die Komödie von Friedrich Dürrenmatt "Romulus der Große" und rückt die Geschichte des stoischen Kaisers durch gezielte Besetzung in tagespolitisches Licht. Themen der Weltliteratur in einen modernen Kontext versetzt - ein Konzept, dass Michalke seit Bestehen seines Theaters systematisch verfolgt. Mit der Gründung im Jahr 1994 hat sich das Wiener Vorstadttheater dem "integrativen Theater" verpflichtet - macht "Theater von Betroffenen für Betroffene zum Motto".


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Wiener Vorstadttheater
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Der Theatermacher arbeitet mit sogenannten Randgruppen der Gesellschaft - Menschen, die normalerweise vom klassischen Kulturbetrieb ausgeschlossen werden: Asylwerber, Folteropfer, Suchtkranke oder Menschen mit Behinderung. Die Produktionen von Büchners "Leonce und Lena" sowie "Gerettet" von Edward Bond aus den Jahren 2010 und 2009 wurden von Häftlingen und jugendlichen Straftätern bespielt und sorgten damit für ordentlich Furore. Dabei folgt Michalke mit seinem kontroversen Vorstadttheater eigentlich einer langen Wiener Tradition. Die kleinen Theater der Wiener Vorstädte fungierten bereits im 18. Jahrhundert als ‚freie Bühnen‘, boten Unterhaltung für die weniger Privilegierten und hatten eine wichtige Funktion als politisches Korrektiv.

So wird im aktuellen Ensemble von Michalke, Kaiser Romulus von dem kurdischen Türken Recep Bektas gespielt. Seine Frau, Kaiserin Julia, ist die Armenierin Anna Gishyan - die Kammerdienerin des Stücks Angela Ekeleme aus Nigeria, andere Kollegen aus Ägypten und Palästina. Ein Großteil der Darsteller sind Kurden aus dem Zweistromland. Alle haben die Erlebnisse von Flucht, Gewalt und Unterdrückung in ihrer Historie gemeinsam, mussten sich ihre Existenz von Grund auf immer wieder neu aufbauen, kennen religiöse Machtkämpfe. Traumatische Erlebnisse, die Michalke in seinen Projekten bewusst aufgreift.