Wien. Eine junge Mutter betritt das Café, parkt den Kinderwagen, in dem ihr Kleinkind sitzt und stellt sich mit besorgter Miene an die Theke: "Mein Kind verträgt keine Lactose, kein Gluten, kein Ei und auch keine Sojaprodukte. Da haben Sie wahrscheinlich auch nichts, oder?" "Doch", sagt Sabine Aichmann und zeigt auf ihre Süßspeisen und Gebäckstücke. Den klassischen Apfelstrudel wird man hier in der Strudlhofgasse 1 im 9. Bezirk vergeblich suchen, wird er doch traditionell mit glutenhaltigem Weizenmehl zubereitet. Dafür hat die Diätologin und Konditorin Muffins, Brownies und Hirse-Pannini im Angebot, die allesamt glutenfrei, lactosefrei und größtenteils auch vegan sind. Ernährungstipps sind im Preis inbegriffen.
Die 26-jährige Jungunternehmerin hat sich mit dem kleinen Café einen Lebenstraum erfüllt. Sie leidet selbst an einer Glutenunverträglichkeit und weiß deshalb, dass es in Wien längst einen Bedarf an allergikerfreundlichen Alternativen gibt. Dem Trend, dass auch Menschen, die nicht an einer Allergie leiden freiwillig auf Weizen verzichten, steht sie skeptisch gegenüber. Propagiert wird der Verzicht zum Beispiel in dem derzeitigen Bestseller "Weizenwampe - Warum Weizen dick und krank macht" des US-amerikanischen Autors und Arztes William Davis. "Dafür gibt es überhaupt keinen Grund", sagt die Diätologin. "Man sollte sich bewusst machen, was man isst, und auf Abwechslung und Vollwertkost achten. Wenn man sich klassisch ernährt, isst man drei Mal am Tag Weißmehl. Das muss nicht sein."
Ein Prozent der Österreicher leiden an Zöliakie, also einer Glutenunverträglichkeit. Wenn man Sensitivitäten und Allergien dazu zählt, können sieben bis zehn Prozent Gluten, also Klebereiweiß, wie es in vielen Getreidesorten vorkommt, nicht oder nur schlecht verdauen.
Aus dieser Not hat Sabine Aichmann eine Geschäftsidee gemacht. Gern gebacken und gekocht hat sie, seit sie denken kann. "Brot backen entspannt mich", lacht sie. Um Expertin der glutenfreien Backkunst zu werden, musste sie selbst viel herumexperimentieren, denn jedes Mehl verhält sich anders. Und vor allem anders als Weizenmehl. Sie verwendet neben Reis und Hirse auch Buchweizen, dass sie von einem Bekannten aus dem Weinviertel bezieht. Auf regionale und saisonale Produkte legt sie großen Wert. Andere Weizen-Alternativen wie Amarant und Quinoa sind noch nicht regional, aber längst experimentieren österreichische Landwirte, darunter auch Aichmanns Bauer des Vertrauens, mit den südamerikanischen Körnern. "Diesmal hat es mit dem Amarant leider nicht geklappt, die Ernte war schlecht und er ist auf Hirse umgestiegen", erzählt ihr Lebensgefährte Aron Molnar, der selbst noch studiert, sie aber unterstützt, wo er kann.
Ansonsten betreibt sie das Café ganz allein. Die Vorbereitung hat Monate gedauert, gemietet hat sie die Räume seit September letzten Jahres. Während des Umbaus stand sie parallel noch sechs Wochen am Weihnachtsmarkt am Spittelberg, wo sie fertige Kuchen und Brote in Gläsern anbot, die jetzt auch in den neuen, weißen Holzregalen stehen.
Kleine Auswahl
Das Interieur ist minimalistisch, die Möbel stammen größtenteils vom schwedischen Möbelriesen. Auch das Angebot ist überschaubar. Kein Wunder, bäckt sie doch alles selbst.
Ein Mann hat sich mit einem Freund an einem der drei Tische niedergelassen. Er bestellt Kräutertee und sagt: "Ich finde es sympathisch, wenn die Auswahl einen nicht erschlägt wie in manchen Bäckereien. Hier hab ich das Gefühl, dass alles frisch und selbstgemacht ist."
Die Kundschaft ist bunt gemischt, viele Studierende und auch einige neugierige Anwohner kommen in den ersten Tagen. Veganer und natürlich auch Gluten-Allergiker kommen gezielt. "Neulich hat mich eine Kundin gefragt, wie ich es schaffe, dass die Muffins so saftig sind. Das Geheimnis ist Apfelmus. Die Leute sind immer überrascht, dass ich meine Rezepte einfach so verrate. Dabei kann im Prinzip jeder backen." Für Geheimniskrämerei ist hier kein Platz, dafür sind Atmosphäre und Chefin viel zu entspannt.