Wien. Es gibt nur wenige Menschen, die einem Elefanten Asyl gewähren können. Thomas Vögel zählt zu diesen auserwählten Samaritern. "Da oben stört er niemanden", sagt der 62-Jährige. Väterlich betrachtet der große Mann mit den imposanten Koteletten den schwarzen Dickhäuter. Sein Besitzer hatte keinen Platz mehr für ihn. Dabei war er einmal ein Star. Ein bisschen zumindest. Als stummer Statist in der Oper Aida genoss er das Rampenlicht und den Applaus. Heute hängt er an der Decke der ehemaligen Lagerhalle in der Taborstraße 95. Hier auf dem Gelände des Nordwestbahnhofs in Brigittenau hat er eine Bleibe gefunden. Er ist nicht die einzige Requisite, die Thomas Vögel beherbergt. Hier auf dem Gelände des Frachtenbahnhofs befindet sich Österreichs größtes Requisitenlager.
3500 Quadratmeter ist es groß und liegt wie ein verborgener Schatz inmitten verwaister Gleise und Gütercontainer. Nur eine eingeschworene Gemeinde weiß von seiner Existenz. Sie kennen die kostbare Requisitensammlung, die sich unter dem Dach der farblosen Halle befinden. Sie reicht vom antiken Fingerhut bis zur Leninbüste. Vom verstaubten Apothekerfläschchen bis zum verpanzerten Bergtelefon. Vom ausgestopften Riesenfisch bis zur Naziflagge. Sie alle standen einmal auf der Bühne oder vor der Kamera. Sie machten das karge Junggesellenzimmer erst zu einem Hort der Einsamkeit, die enge Gasse zu einem Tatort, die ausrangierte Hotelbar zu einem edlen Kaffeehaus aus der Jahrhundertwende. Ob die Requisiteure von Jessica Hausners "Amour Fou" oder jene von "Soko Donau", sie alle haben in der Halle am Frachtenbahnhof gestöbert. Keine heimische Produktion kam bisher ohne diesen Fundus aus. Doch das wird sich bald ändern. Die ÖBB, die Eigentümerin des Bahnhofareals, und die Stadt Wien haben viel vor mit dem Grundstück. Dafür muss der Bahnhof weg. Bis Ende 2016 soll er nach Inzersdorf umsiedeln und so Platz schaffen für ein neues Stadtviertel. Die Vision: Bis 2025 sollen hier 10.000 Wohnungen, Büros, Cafés und einer "Grüne Mitte" entstehen. Platz für ein Requisitenlager gibt es dann keinen mehr. Im Oktober läuft der Mietvertrag aus. Nun suchen die Betreiber fieberhaft nach einem neuen Standort. Denn die Zeit drängt.
Jeder Schritt katapultiert in eine Welt

Ideal sei die Lagerhalle gewesen, brummt Thomas Vögel. Vor zehn Jahren hat er gemeinsam mit ein paar Requisiteuren den Verein "props co" gegründet und die Halle gemietet. Groß, gut öffentlich zugänglich und mit Charakter, beschreibt er sie. Kein seelenloser Betonbunker, sondern ein Ort, wo noch ein Hauch Industrie spürbar ist, mit hohen Decken, gewölbter Kellerdecke und echten Ziegelsteinen - fast schon selbst eine Kulisse. Außerhalb der Filmbranche kennt kaum jemand Vögels Arbeitsplatz. Laien irren hilflos auf dem menschenleeren ÖBB-Gelände umher, bis sie die Ladestraße 3 entdecken und von Weitem die Rampe sehen, auf der ausgestopfte Fabelwesen und glatzköpfige Schaufensterpuppen darauf warten, abgeholt zu werden.
Während draußen Kräne Gütercontainer von den Lkw verladen, führt Vögel drinnen gemeinsam mit seiner Frau und Assistentin Gesche Glöyer durch die Halle. Am Wochenende hat er in seiner Werkstatt noch ein paar Ausstattern beim Patinieren beigebracht, Neues alt aussehen zu lassen, erzählt er. "Noch eine schöne Schrift darauf, dann sieht es aus wie echt", sagt der gebürtige Vorarlberger und zeigt auf eine angeschwärzte Buchattrappe. In der Welt der Illusion kennt sich der Szenenbildner aus. Seit 40 Jahren ist er in ihr beheimatet, er, der Junge aus dem Bregenzerwald, wo mit Bergkäse und Kühen der Lebensunterhalt bestritten wird, und nicht mit der Ausstattung von Filmen wie "Hinterholz 8" oder "Nordwand."
Und Thomas Vögel gewährt Einlass in diese Welt. Ehrfürchtig folgt man ihm durch den dunklen Gang ins Erdgeschoß. Überall sind kleine Kostbarkeiten gestapelt. Jeder Schritt katapultiert seinen Besucher in eine andere Zeit, an einen anderen Ort, in einen anderen Film. Einen Moment lang ist man in der geschäftigen Mad-Men-Bürowelt mit tausenden Telefonen aus unterschiedlichen Jahrzehnten, im nächsten steht man mit den traurigen abgetragenen Lederkoffern in der Hand an einem Bahnhof und winkt seiner Familie zum Abschied. Kalt ist es hier. Und surreal, fast so, als würde man dem Weihnachtsmann bei der Arbeit in der Geschenkefabrik ertappen.
Drei Stockwerke umfasst diese Welt, mit einem Keller mit edlen Tafelsilber, einem Erdgeschoß mit meterhohen Regalen voller Telefonen, Radios und Nippes und einem Dachboden mit der kleinen verschlossenen Kammer, deren Requisiten Vögel und seine Kollegen nur ungern verwenden. "Manchmal braucht man sie eben", sagt er und schaut auf den goldfarbenen Wandschmuck mit dem Konterfei von Adolf Hitler, bevor er rasch wieder absperrt und einen antiken Rollstuhl mit grünem Samtüberzug hervorholt - das Stück ist ihm eindeutig lieber.
Millionen Requisiten haben Vögel und sein Team hier gesammelt. Sie stammen von Filmsets, Flohmärkten, vergessenen Dachböden. Und wie alle Requisiten haben sie die eine oder andere Karriere hinter sich. Sie sind die stillen Stars auf der Bühne und vor der Kamera. Erst sie perfektionieren jede Illusion, lassen den Zuschauer die Angst in einer kalten Dorfkirche spüren, die Dekadenz eines reich geschmückten Grafenzimmers mit seinen vergoldeten Wandspiegeln oder die Gewissensbisse eines Halunken, der doch nur zu gern der fromme Schäfer wäre, den er auf dem Bild sieht. "Einen Raum zu gestalten, ist wie eine weitere Spielfigur im Film zu erschaffen", erklärt Vögel. Pingelig muss man bei dieser Gestaltung sein, auf jedes Detail achten, akribisch recherchieren, welches Design noch in das Jahr passt und welches eigentlich schon überholt ist. Bis zu fünf Monate arbeiten die Ausstatter schon einmal an einem Kinofilm, beim Fernsehen sind es fünf bis sechs Wochen. In der Regel bekommen sie das Drehbuch von den Regisseuren, sprechen sich mit ihnen ab und suchen dann die notwendigen Requisiten zusammen. Und wenn das Budget knapp wird, gilt es zu improvisieren. Das Szenebild auf eine einzige Ecke zu reduzieren, um so die Qualität zu halten, denn "es nützt uns nicht, Wahnsinnssäle zu gestalten, wofür wir das Geld nicht haben und das schaut dann mickrig und blöd aus", meint Vögel. Digital lasse sich Einiges tricksen, vor allem im Hintergrund, "aber du brauchst immer noch einen Vordergrund. Solange lebende Menschen im Bild sind, braucht es immer noch echte Tassen, aus denen sie trinken können", sagt er.