"Wie düstere Spelunkengegend
in einem Horrorfilm"
Auch Anette F. kennt "das Westbahn-Kaiser-Viertel", wie sie es gern nennt, sehr gut. Immerhin wohnt sie seit vielen Jahrzehnten hier. "Ja, es gab und gibt Probleme. Gehen Sie einmal als Frau nach 22 Uhr die Kaiserstraße vom ehemaligen Kaufhaus Stafa entlang bis zur Westbahnstraße. Durch die Kirche und das Spital fühlt es sich an, als ob Sie sich in einer düsteren Spelunkengegend in einem Horrorfilm befinden", erklärt sie. "Doch seit einiger Zeit merke ich, dass Bewegung in den Bezirk kommt." Ihrer Meinung nach punkten die ansässigen Geschäfte durch Extravaganz, und die meist gut betuchten Kunden sind gern bereit, ein paar Euro mehr zu bezahlen, wenn sie dafür qualitativ hochwertige Ware bekommen, die optimalerweise auch noch fair hergestellt wurde. Denn das Publikum im 7. Bezirk gilt als sehr intellektuell-wählerisch, immer auf der Suche nah Besonderheiten.
Der Student Christian F., ebenfalls in Neubau daheim, stimmt dem voll zu. "Wir sind ein wenig verrückt hier in Neubau. Wir sind umweltbewusst, weltoffen und lieben Schmankerl", so seine Beschreibung, die er aber nicht verallgemeinert verstanden wissen will. Sein Favorit im Grätzel ist die Bäckerei "Felzl" an der Ecke Kaiserstraße/Westbahnstraße. Sie repräsentiert seiner Meinung nach das moderne Neubau: Frisch, knackig und Bio.
Zu einem Gutteil zu verdanken ist der jüngste Umbruch dem grünen Bezirksvorsteher Thomas Blimlinger, der sich im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" euphorisch zeigt und noch viel mehr vorhat: "Die Westbahnstraße ist aus meiner Sicht der Gewinner der vergangenen Jahre, weil dort viel Neues entstanden ist. Kleine Läden, Nischengeschäfte abseits des Mainstreams, das ist das Markenzeichen. Die Kaiserstraße hingegen war immer ein Sorgenkind. Da sind wir nun dran. Der große Nachteil ist, dass sie durch Kirche und Spital unterbrochen ist."
Das könnte sich aber ändern, weil sich das Sophienspital Ende 2016 verabschieden wird und Blimlinger dort neue Dinge entstehen lassen will. "Ich habe schon vor zehn Jahren versucht, den Bezirksteil Neubau-West aufzuwerten, weil dieser Bereich weniger Beachtung hatte. Durch die vielen neuen Geschäfte kommt neues Leben in den Bezirk. Wichtig ist es nun, die Erdgeschoßzonen zu beleben, das bekommt eine starke Unterstützung durch die Bezirksvorstehung", unterstreicht der Bezirkschef.
Mit "Kunstfrischmarkt" weg vom Schluderimage
Um die Gegend einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, wurde vergangenen Donnerstag um 13 Uhr im Amtshaus in der Hermanngasse 24-26 der "Kunstfrischmarkt Neubau 2015" eröffnet. Er soll eine Visitenkarte für Neubau sein. Das ganze Amtshaus wird dabei temporär in eine frische Galerie umgewandelt - in allen Stockwerken des Gebäudes können sich die Besucher einen guten Überblick zu allen Ausstellern verschaffen: von jeder Künstlerin und jedem Künstler wird ein Werk ausgestellt.
Parallel dazu gibt es in dieser Woche Führungen durch die verschiedenen Grätzel in Neubau. Dort kann man bei den einzelnen Stationen des Kunstfrischmarktes mehr über die Künstler und die Geschäfte erfahren. Eine Führung dauert etwa 70 Minuten, die Teilnahme ist kostenlos. Rund zehn Stationen in einem Grätzel werden besucht.