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"Wir sind die True Economy"

Von Ina Weber

Politik
Der Salzburger Martin Herdinahat (li) sein Start-up FatFoogoo an Digital River verkauft. Seit 2010 ist er CEO von Wikitude. 2014 investierte Konica Minolta in das Start-up. Der Wiener Johannes Bischof (re. ) ist seit 2000 Geschäftsführer von Konica Minolta in Österreich. Seit 2012 leitet er Konica Minolta Business Solutions Deutschland GmbH.
© Ketchum Publico

Warum das 140-jährige Traditionsunternehmen Konica Minolta in das 3D-Start-up Wikitude investiert.


Wien. Ein Plakat, ein Handy, tausend Bilder - die App Wikitude hat sich weiterentwickelt und bietet heute ihre Leistungen im Bereich der Augmented-Reality (erweiterte Realität) internationalen Firmen an. Die wenigsten Start-ups schaffen es, Investoren an Bord zu holen. Bei Martin Herdina, Geschäftsführer von Wikitude, und Johannes Bischof, Präsident von Konica Minolta Business Solutions Deutschland, hat es im vergangenen Jahr gefunkt. Der internationale Konzern wurde strategischer Partner von Wikitude.

"Wiener Zeitung": Wir befinden uns hier in einem Raum in der Hofburg - mitten im Pioneers Festival, inmitten von tausenden Start-ups. Aber sind Sie überhaupt noch ein Start-up? Es heißt, nach 5 Jahren ist ein Start-up keines mehr, und Wikitude wurde 2009 gegründet.

Martin Herdina: Ich sehe uns schon noch als Start-up, obwohl wir per definitionem keines mehr sind. Ich möchte aber noch mit T-Shirt auf das Pioneers Festival gehen können. (lacht)

Johannes Bischof: Außerdem kann ein Start-up länger brauchen, um aus den Kinderschuhen zu kommen. Gerade in der Software-Entwicklung ist die Zeit danach wichtig, die zeigt, wie professionell man aufgestellt ist.

Kurz: Was ist Wikitude und wie hat es sich entwickelt?

Herdina: Wir sind ein Augmented-Reality-Technologieanbieter (Erweiterte Realität, Anm.). Wikitude wurde als App gestartet und wir haben uns auf den Endkunden konzentriert. Wir haben zwar eine Reichweite von fast 30 Millionen Personen aufgebaut, die die App auf ihren Telefonen hatten oder noch immer haben. Allerdings haben wir 2012 unsere Strategie adaptiert. Wir sind weg von den Endkunden (B2C, Business to Customer, Anm.) hin zu einem B2B (Business to Business, Anm.) orientierten Unternehmen, welches Grundlagentechnologien für eine erweiterte Realität bereitstellt. Konkret: Wir bauen unseren Baukasten, den wir an Firmen weitergeben, und die bauen dann ihre eigenen Anwendungen. Fox Entertainment zum Beispiel kann seine Kinoplakate zum Leben erwecken. Wenn man auf das Plakat "Eine Nacht im Museum" klickt, dann springen einem 3D-Bilder entgegen - dahinter stecken wir.

Warum haben Sie Ihre Strategie geändert?

Wir haben mit der App für den Kunden zu wenig Geld verdient. Außerdem war die Marktnachfrage groß. Im Jahr 2012 hatten wir die Olympischen Spiele als ersten großen Kunden. Mit der App waren wir auch nur auf eine Branche beschränkt. Sie verknüpft etwa den Stephansdom mit Wikipedia. Tourismus ist aber nur ein Marktsegment. Es gibt viel mehr. Und: Wir als Team sind zwar gute Techniker, gute Entwickler und gute Softwarelizenzverkäufer, wir sind aber keine guten Vermarkter. Seit wir diese Entscheidung getroffen haben, ging es bei uns steil bergauf.

Wikitude ist seit 2010 Venture-Capital-finanziert. 2014 konntet ihr Konica Minolta als strategischen Investor gewinnen. Wie sieht die Zusammenarbeit aus?

Bischof: Wir sind ein weltweites Technologieunternehmen mit 45.000 Mitarbeitern und hunderttausend Kunden in Europa. Viele dieser Kunden brauchen mehr und wollen die Partnerschaft ausweiten. Dafür haben wir uns Innovationspartner gesucht wie Wikitude und andere. Aufgrund unseres Engagements für das Pioneers Festival haben sich unsere Wege gekreuzt und so ist die Partnerschaft entstanden. Derzeit setzen wir gemeinsam Projekte mit großen Industrieunternehmen um. Es geht etwa um die visuelle Darstellung beim Zurechtfinden in Lagerhallen.

Wie ist die Partnerschaft zwischen Ihnen und dem Pioneers Festival zustande gekommen?

Bischof: Ich wurde von meinem Innovationsmanager, der Kontakt zu den Veranstaltern hatte, angesprochen. Wir haben damals den Vorläufer, das erste Start-up-Festival, unterstützt. Die Idee war, an die Start-up-Community anzudocken. Das Festival hat mit uns einen stabilen Partner und wir können in unserem Business Innovation Center in London sowohl mit Kunden als auch mit innovativen Start-ups arbeiten.

Martin Herdina, Sie sind ein erfolgreicher Gründer. Wie würden Sie sich selbst beschreiben?

Herdina: Ich bin durch und durch Unternehmer. Das war mir länger nicht bewusst. Begonnen habe ich als Angestellter bei einer Mobilfirma. Ich habe schon dort viele Projekte und Rollen übernommen, weil ich Visionen umsetzen wollte. 2007 hab’ ich dann meine erste Firma gegründet und am Ende des Tages gut verkauft.

Sie im T-Shirt, Herr Bischof im Anzug - Erfüllen Sie die Begriffe New und Old Economy?

Herdina: Ich würde nicht von Old und New Economy sprechen. Google ist New Economy und hat zehntausende Mitarbeiter. Ich finde es eher spannend, wie sich Unternehmen die schon lange am Markt sind, neu erfinden. Konica Minolta etwa gibt es schon lange. Sie wissen aber sehr gut, dass das bedruckte Papier nicht endlos am Markt sein wird.

Ist das dann die True Economy, von der jetzt auch gesprochen wird?

Bischof: Im Gegensatz zur Finanz-Economy sind wir die True Economy, weil wir noch etwas produzieren (lacht). Ich glaube, dass diese Begriffe schon überholt sind. Konica Minolta ist 140 Jahre alt - wir fühlen uns aber jung wie ein Start-up. Wir haben begonnen als Kamerahersteller, produzieren aber seit sieben Jahren keine einzige Kamera mehr. Wir haben damals schon erkannt, dass die Handys den Fotoapparat über weite Strecken ablösen werden.

Welche Rolle spielt Wien?

Herdina: Unser Start-up ist international, das heißt, meine Kunden sind weltweit, weniger in Österreich. Was ich in Wien aber toll finde, ist die Pioneers Bewegung. Ich kann mich erinnern, wir hatten 2007 einen Start-up-Stammtisch. Damals waren wir acht Leute und jetzt, acht Jahre später sind es Tausende.

Bischof: Im Technologiebereich ist Wien europaweit sicher vorne. Es gibt auch eine interessante Start-up-Szene in Berlin. Dort ist sie aber nicht so kompakt, weil das Flaggschiff Pioneers fehlt.

Das Pioneers Festival ist vor allem ein Motivations-Pusher. Erfindungen hat es aber schon immer gegeben - mit oder ohne Rahmenbedingungen. Was hat sich verändert?

Herdina: Eine Sache erfinden ist das eine, das andere ist, den Mut zu haben, damit hinaus zu gehen. Das ist der Grund, warum wir diesen Push hier brauchen. Dass etwa Erfindungen von Universitäten in Unternehmen eingeführt werden, das gibt es in Österreich zu wenig.

Bischof: Österreich ist kein typischer Venture-Capital-Markt. Das ist ein wesentliches Kriterium, dass hier Kapital und Innovation zusammengeführt werden. Hier wird die ökonomische und technologische Zukunft Österreichs und Europas geschrieben.

Wozu braucht es da noch eine Kultur des Scheiterns, die nun auch politisch gefordert wird?

Bischof: Wenn Sie in Österreich einen Konkurs hinter sich haben, sind Sie stigmatisiert. Wenn jemand seine Firma zusperrt, wird er zunächst einmal für den Mut, die Firma aufzumachen, komisch angesehen, wenn er dann auch noch scheitert, wird freudig in die Hände geklatscht, siehst jetzt hat es ihn aufgehaut. Der gesellschaftliche Respekt vor Pionieren muss gestärkt werden.

Herdina: In Amerika gilt ein Firmenkonkurs als guter Punkt auf der CV.

Wien plant einen Start-up-Campus. Was halten Sie davon?

Herdina: Man hat genug Gelegenheiten, wo man sich trifft. Ich würde mir nach wie vor lieber ein Büro im 7. Bezirk mieten als einen Platz auf einem Campus. Allerdings kann ein Campus in der Anfangsphase schon hilfreich sein. Wenn ich etablierter bin, dann muss ich aber nicht unbedingt in der Horde sitzen.