Wien. Robert Streibel sei "quasi ein Terrier unter den Historikern", würdigte Gerhard Baumgartner, wissenschaftlicher Leiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands (DÖW) Montag Abend im Rittersaal des Rathauskellers seinen Kollegen, denn er verbeiße sich in Themen und recherchiere alles bis zum Exzess aus. Was seine Arbeit zudem auszeichne: Er erzähle immer Geschichten von konkreten Menschen an konkreten Orten.
Für seine umfangreiche Gedenk- und Erinnerungsarbeit wurde der Leiter der Volkshochschule Hietzing nun mit dem heuer zum dritten Mal vergebenen Leon-Zelman-Preis ausgezeichnet. Die Ehrung wurde von Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny initiiert, erinnert an den Holocaust-Überlebenden und Begründer des Jewish Welcome Service, Leon Zelman (1928-2007), ist mit 5000 Euro dotiert und zeichnet Personen, Projekte oder Organisationen aus, die sich für Dialog, Erinnern sowie gegen Rassismus und Antisemitismus engagieren.
Im Zentrum der Arbeit von Robert Streibl (56) steht die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit: lange war dabei seine Heimatstadt Krems im Fokus, wie Baumgartner in seiner Laudatio betonte. Die Stadt war auch Thema seines ersten, 1988 erschienen Buches. Inzwischen hat der Erwachsenenbildner elf Bücher, weitere vier als Mitherausgeber, über 50 Fachbeiträge sowie zahlreiche journalistische Artikel veröffentlicht. Dazu kommen viele Gedenkprojekte und -initiativen.
Auch Selbstreflexion
Montag Abend gab es hier bereits einen kurzen Ausblick auf ein solches, für 2016 geplantes Projekt, eine Kooperation zwischen VHS Hietzing und dem Gymnasium Fichtnergasse. Hans Georg Friedmann, der die Schule aufgrund der NS-Rassengesetze nicht mehr besuchen konnte, verfasste vor seiner Deportation nach Theresienstadt 13 Kriminalromane. Ihm soll sowohl eine Ausstellung, eine Lesung als auch eine Gedenktafel gewidmet werden. Mit erstickter Stimme kündigte Streibel in seiner Danksagung den Schüler Johannes Erath an, der eine kurze Passage aus einem der Romane Friedmanns las. Erath wohnt heute in jenem Haus in der St. Veitgasse in Hietzing, in dem auch Hans Georg Friedmann gelebt hatte.
Streibel erging sich aber durchaus auch in Selbstreflexion: Historiker befassten sich naturgemäß mit der Vergangenheit. "Manchmal denke ich mir, vielleicht sollten wir uns mehr mit der Gegenwart befassen. Denn die Gegenwart ist die Vergangenheit von morgen. Und wir müssen alles dazu tun, dass diese Gegenwart eine gute Vergangenheit wird." Derzeit werde in den sozialen Netzwerken oft ein Zitat von Karl Kraus bemüht: "Österreich ist das einzige Land, das durch Erfahrung dümmer wird." Karl Kraus irre hier aber, denn: Das sei kein österreichisches Phänomen, sondern ein europäisches, ein globales Problem. Obwohl Streibel weder das Burgenland noch die dortige neue Koalition zwischen SPÖ und FPÖ ansprach, war im Saal klar, wovon er sprach.
Glaubwürdige SPÖ?
Mailath, der Streibel als "Volksbildner im besten Sinn" würdigte, "der viel Energie darin investiert, die dunklen Kapitel unserer Geschichte für kommende Generationen zu beleuchten", nützte den Festakt wiederum, um einmal mehr die seiner Ansicht nach menschenverachtende Politik der Freiheitlichen anzuprangern. Dass sich diese mit Tafeln vor ein Asylzentrum stelle, in dem auch traumatisierte Kinder untergebracht seien, "können wir nicht akzeptieren". Asyl zu gewähren sei keine gönnerhafte Geste, sondern Recht, verankert in der Menschenrechtskonvention. Und Menschenrechte seien nicht teilbar, sondern "gelten für jede und jeden auf der Welt".
Die SPÖ-FPÖ-Koalition im Burgenland sprach Mailath-Pokorny dagegen mit keinem Wort an - was bei dem an die Verleihung anschließenden Empfang für Gesprächsthema sorgte. Die SPÖ und ihre Glaubwürdigkeit war beim inoffiziellen Teil beherrschendes Thema. Extra angereist waren heuer alle Kinder und Enkel Leon Zelmans. Eine heute 15-jährige Enkelin, die sieben Jahre alt war, als ihr Großvater starb, meinte, der Festakt im Rathaus habe sie "sehr berührt".