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Dynamik statt Kafka

Von Alexander Maurer

Politik

Mariana Mazzucato betonte am Wiener Städtetag die aktive Rolle der öffentlichen Hand gegenüber privaten Organisationen.


Wien. "Die Art und Weise, wie wir momentan über die Rolle der öffentlichen Hand reden, ist ziemlich dürftig." Mariana Mazzucato definiert die Rolle des Staats in der Wirtschaft neu. Die Ökonomin eröffnete am Mittwochabend den 65. Österreichischen Städtetag im Wiener Rathaus.

Cool versus Kafka

Mazzucato ist der Ansicht, dass hinter jeder technischen Innovation, die zu einem wirtschaftlichen Aufschwung geführt hat, ein starker und aktiver öffentlicher Sektor stand. GPS, Luftfahrt, Nanotechnologie, Internet - all dies wäre ohne massive staatliche Finanzierung öffentlicher Institutionen wie der Nasa oder dem US-Verteidigungsministerium nicht möglich gewesen. Auch Erfolgsprodukte des privaten Sektors wie das iPhone funktionieren nicht ohne Technologien, die erst durch staatliche Förderungen Reife und Verbreitung erlangten. Öffentliche Organisationen sind nicht bloße Problemlöser für Marktversagen. Im Gegenteil: Sie schaffen und formen aktiv Märkte.

Diese aktive Rolle wird dem Staat aber von vielen abgesprochen, er wird zum Regulator degradiert. Woran liegt das? Ein großes Problem sieht die Wissenschafterin in den Begrifflichkeiten und Annahmen, die heutzutage mit privaten und öffentlichen Organisationen assoziiert werden. "Mit privaten Organisationen verbindet man lauter cooles Zeug wie Dynamik und Über-den-Tellerrand-sehen. Dem gegenüber steht das Bild kafkaesker Bürokraten in öffentlichen Organisationen. Damit schaffen Sie es nicht, junge Potenziale dafür zu begeistern, im öffentlichen Sektor zu arbeiten."

Öffentliche Organisationen sind jedoch auf Top-Leute angewiesen. Mazzucato betont, dass Flexibilität und Risikofreude für diese Institutionen essenziell sind, um effizient Innovationen zu fördern, die dann sowohl öffentlichem als auch privatem Sektor nutzen. Besonderen Wert legt die Ökonomin darauf, dass die Organisationen missionsorientiert handeln, also auf klar definierte Ziele wie den Ausbau erneuerbarer Energien hinarbeiten. Auch solle man die Finanzierung von Forschung und Entwicklung nicht als Staatsausgaben, sondern langfristige Investitionen ansehen.

Wer kann es besser?

Die Frage nach der besten Eignung für derartige Vorhaben beantworten alle öffentlichen Ebenen mit "ich". Sowohl Anna Lisa Boni, Generalsekretärin von Eurocities als auch der Amsterdamer Bürgermeister Eberhard van der Laan sprachen sich gegen Ende April gegenüber der "Wiener Zeitung" deutlich für die Städte aus. Sie sehen die übergeordneten Staaten als ineffizienter an, wenn es darum geht, Probleme wie hohe Arbeitslosenquoten zu lösen. Boni sprach davon, dass die Strategien der Mitgliedsstaaten im Bereich Beschäftigung meist wirkungslos seien, da sie die falschen Menschen träfen. Anstatt den falschen Weg zu beschreiten, Strategien für ganze Länder zu entwickeln, müsse man die lokalen Arbeitsmärkte berücksichtigen - und dies können die Städte besser. Die Eurocities-Chefin betonte auch, dass Städte viel kooperativer als die EU-Mitgliedsstaaten seien, die oft um den Verlust von Macht und Einfluss fürchteten. Mariana Mazzucato kann diesen Argumenten wenig abgewinnen. "Ich unterscheide nicht zwischen Staat, Region oder Stadt - ich spreche immer von Organisationen des öffentlichen Sektors. Aus meinen persönlichen Erfahrungen heraus sehe ich keinen Grund, zu glauben, dass städtische oder lokale Organisationen besser oder schlechter als nationale sind." Für die Ökonomin zählt mehr, wie diese Organisationen ausgestaltet und aufgestellt sind. "Es gibt sowohl auf städtischer, regionaler als auch nationalstaatlicher Ebene viele wirklich schlechte Fälle. Auch im Bezug auf politische Maßnahmen gibt es auf allen Ebenen viele Fehlschläge", meint sie. Damit Investitionen in Innovation und damit Wachstum gelingen, bedarf es einer Zusammenarbeit der verschiedenen Ebenen, keines Konkurrenzkampfes. Dänemark hat sich durch missionsorientierte öffentliche Investitionen in nachhaltige Technologien zum weltgrößten Versorger des aufstrebenden grünen Wirtschaftszweigs in China gemausert - und so Unmengen an Arbeitsplätzen in seinen Regionen geschaffen.

Tod durch Nulldefizit

Dass in Europa insgesamt in ausreichendem Maß in missionsorientierte öffentliche Unternehmen investiert wird, bezweifelt Mazzucato angesichts der europäischen Haushaltsrichtlinien. "Europa ist in einem kompletten Durcheinander. Europäische Staaten arbeiten auf Nulldefizite hin und sind noch stolz darauf. Aber Teil des Problems ist, dass wir so jahrzehntelang wirtschaftliche Flaute haben werden." Sie sieht im krampfhaften Streben nach einer ausgeglichenen Haushaltsbilanz die europäische Wettbewerbsfähigkeit gefährdet. "Sie werden sterben. Nulldefizite sind das Ende von Europa. Kein Land hat auf lange Sicht ohne Investitionen und Staatsausgaben überlebt", formuliert Mazzucato ihre Bedenken drastisch.

Damit sich Staaten aus der Wirtschaftskrise erheben und wieder wachsen können, müssen sie auf eine aktive öffentliche Hand setzen, die Forschung und Innovation fördert und finanziert. "Die wenigen Länder auf der Welt, die wirklich intelligentes, innovationsgeleitetes Wachstum erreicht haben, hatten sehr aktive, strategische und innovationsgeleitete öffentliche Unternehmen, die Märkte erschaffen und geformt haben, anstatt sie nur zu reparieren", betont die Ökonomin. Als Beispiel nennt sie das wiedervereinigte Deutschland. "Neben umstrittenen Reformen zur Arbeitsplatzbeschaffung wurde stark in Innovationen wie erneuerbare Energien sowie in Bildung und Forschung investiert, um wettbewerbstauglich zu blieben." So führt sie in ihrer Rede einige Lektionen an, die das gebeutelte Griechenland von Deutschland lernen kann. Dazu gehören geduldige Langzeitfinanzierung, eine starke und gut finanzierte Forschungsindustrie sowie die Stärkung von mittelständischen Unternehmen. Auch missionsgeleitete Forschung wie die in Deutschland angestrebte Energiewende schafft Wachstum.

Der Kern-Peripherie-Mythos

Politik und Wirtschaft schlagen hier gänzlich andere Töne an. Berlin drängt Athen zu weiteren Sparmaßnahmen und die Ratingagentur Standard & Poors stufte Griechenland am Mittwoch auf Ramschniveau herab. Für Mazzucato gründet dieses Vorgehen auf einer fehlgeleiteten Sichtweise - einer falschen Gegensätzlichkeit, ähnlich jener von "öffentlicher versus privater Sektor". "Der Mythos von Kern gegen Peripherie und dass der Kern den Gürtel enger geschnallt hat, ist falsch. Es waren die schwächeren Staaten, die zu wenig in Innovation investiert habe. Deshalb sind sie im Gegensatz zu den stärkeren Staaten, die dies massiv betrieben haben, nicht gewachsen. Trotzdem trichtern wir Varoufakis, Tsipras und Konsorten ein, dass sie weniger und weniger ausgeben sollen. Wenn sie das tun, werden sie nie wie Deutschland."

Mariana Mazzucato
Die Ökonomin mit italienischer sowie amerikanischer Staatsbürgerschaft lehrt als R.M. Philips Professor in Science and Technology an der Universität Sussex. Sie ist Vorstand des renommierten britischen Umwelt-Thinktanks Green Alliance und berät die Europäische Kommission zu Fragen wirtschaftlichen Wachstums.