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Die Uni durch die Ohren betrachten

Von Isabella Lechner

Politik
Die Teilnehmer können sich die Hörbeiträge auf mp3-Player oder Smartphone herunterladen.
© Gehörgänge

Im Zuge der Wienwoche starten die "Gehörgänge" ihren dritten gesellschaftskritischen Audiostadtspaziergang.


Wien. Noch hat das neue Semester nicht begonnen, doch schon jetzt tummelt sich eine Vielzahl an Menschen auf den Gängen und Stiegen der Universität Wien. Neben dem Hauptportal prangt ein großes Plakat zu deren heurigem runden Geburtstag. 650 Jahre ist die Uni alt. Und kein bisschen weise? "Wie gut erfüllt die wichtigste staatliche Bildungseinrichtung in Österreich ihre Aufgaben tatsächlich?", fragt sich anlässlich der Jubiläumsfeiern das Team von "Gehörgänge", eine Gruppe politisch engagierter Menschen aus Wissenschaft und Kunst, in Hör-Spaziergängen rund um die Uni Wien.

Der Uni-"Prekärparcours" entstand im Rahmen der Wienwoche und ist bereits der dritte gesellschaftskritische Audiostadtspaziergang, den "Gehörgänge" entworfen haben. "Die bisherigen zwei befassten sich mit den Themen Demokratie sowie Arbeit und Migration. Alle drei führen an Orte in Wien, die symbolhaft für emanzipatorische Kämpfe um Anerkennung, Sicherheit und gleiche Rechte stehen", so Julia Wiegele vom "Gehörgänge"-Team und Dissertantin in Theater-, Film- und Medienwissenschaft.

Die sechs Stationen des "Prekärparcours" setzen die bisherigen numerisch fort, sodass sich ein Stationennetz an "Orten politischer Selbstberechtigung" quer durch die Stadt ergibt: von der Pankahyttn in der Johnstraße über das AKH oder die Rosa Lila Villa an der Linken Wienzeile, das Stuwerviertel oder den Obersten Gerichtshof am Schmerlingplatz bis zum Polizeianhaltezentrum Roßauer Lände, das Sozialministerium am Stubenring oder, aktuell, Hauptuni, Campus und Neues Institutsgebäude beim Schottentor.

"Die Stationen können alleine besucht werden oder mit einer von uns organisierten Tour, bei der auch ExpertInnen aus den gehörten Interviews anwesend sind", erklärt Julia Wiegele. Via Facebook und Website können sich die Teilnehmer den Audioguide und die Hörbeiträge auf mp3-Player oder Smartphone herunterladen; die Beiträge gibt es auch in einer Videoversion in Österreichischer Gebärdensprache. Und dann heißt es: "Ohrstöpsel rein, Kopfhörer auf und los!"

Prekäre Zustände

Beim "Prekärparcours" durch die Uni Wien dreht sich alles um die aktuellen Bedingungen und prekären Zustände von Arbeit, Lehre und Wissensproduktion an der Alma Mater Rudolphina: "Wie unabhängig sind Forschung und Lehre? Verkauft sich die Uni an die Wirtschaft? Wer entscheidet, woran geforscht wird, und wie steht es um Mitbestimmung und Demokratie? Und wer profitiert letztendlich von der immer größer werdenden Zahl an prekär Beschäftigten, externen LektorInnen und zeitlich befristeten Drittmittelfinanzierten?" - Das und mehr hinterfragen "Gehörgänge" in den jeweils rund siebenminütigen Hörbeiträgen an sechs Stationen.

Mit sichtbaren und unsichtbaren Barrieren beschäftigt sich Station zwei, "Freier Zugang für alle!", beim Aufzug in Hof IV. Hier geht es sowohl um barrierefreie Zugänge und bürokratische Hürden als auch um "Grenzen in den Köpfen, die manchen Menschen ein Studium oder die Lehre an der Universität erschweren", so die "Gehörgänge".

Die gläserne Decke für Frauen in der Wissenschaft kommt dabei im Interview mit Maria Mesner, wissenschaftliche Leiterin des Referats für Genderforschung, ebenso zur Sprache wie Benachteiligungen für Menschen mit Behinderung. "Deren Gleichstellung ist im Unigesetz zwar festgeschrieben, wird aber im Alltag nicht immer umgesetzt - zum Beispiel wenn es keine Möglichkeit zur mündlichen Prüfung gibt, die betroffene Person aber aufgrund ihrer Behinderung nicht schreiben kann", sagt Julia Wiegele.

Wichtiges Thema sind auch die verschiedenen Formen von Protest an der Uni Wien. Station drei, "Reiche Eltern für alle?", beispielsweise ist der Protestkultur gewidmet. Neben "unibrennt", dem Motto der Studierendenproteste 2009, werden vor dem Schauplatz Audi Max drei Jahrzehnte Besetzungen, Protest- und Solidarisierungsaktionen anhand von Interviews mit ProtagonistInnen aufgerollt.

"Wir thematisieren aber quer durch die Stationen auch den aktuellen, alltäglichen Protest gegen jegliche Ausschlussfaktoren an der Uni und wie man sich diesen akademisch und aktivistisch nähert", sagt Gerd Valchars, "Gehörgänge"-Mitglied, Politikwissenschafter und Lektor an Uni Wien und Alpen Adria Universität Klagenfurt.

"Dabei geht es nicht darum, nur Probleme aufzuzeigen und zu jammern, sondern auch Erfolge zu zeigen und zu demonstrieren, dass man viel erreichen kann, wenn man sich engagiert und aktiv wird."

Wenig Raum wird in den Beiträgen den Interessensvertretern der Universität gegeben. Ganz bewusst, sagt Gerd Valchars, denn: "Die Uni hat Wege, um zu kommunizieren. Wir wollten jenen eine Plattform bieten, die sich sonst keine Stimme verschaffen können oder nicht gehört werden, und jene zum Gespräch bitten, die sich aktiv engagiert haben, damit die Beiträge authentisch sind."

Die Kritik richte sich nicht an die Universität als solches, sondern an die Uni als Institution, so Valchars: "Die Universität ist ein Abbild der Gesellschaft; die Kritik an ihr spiegelt die Kritik an der Gesellschaft wider. Die Position der Uni ist es, Dinge zu beleuchten - dabei ist sie aber selbst nicht gefeit vor Problemen des Systems wie Präkarisierung, Sexismus, Diskriminierung."

Hemmschwelle abbauen

Zu den Audiospaziergängen durch die Uni sind besonders auch Menschen eingeladen, die sonst nichts mit dem Universitätsleben zu tun haben, sagt Julia Wiegele: "Viele Menschen wissen nicht, warum Studierende zum Beispiel protestieren und um welche Probleme es dabei geht oder haben die Uni noch nie von innen gesehen. Die hörbaren Spaziergänge laden dazu ein, diese Institution ohne Berührungsängste kennenzulernen."

Das könne auch dazu beitragen, die öffentlichen Debatten rund um die Universitäten nicht als "Elitediskussion" abzutun, so Wiegele: "Unis haben eine gesellschaftliche und darum auch eine politische Relevanz. Sie sind genauso wichtig wie Schulen, weil viele Leute von dort aus kritische Fragen stellen."

Prekärparcours – Audiospaziergänge durch die Uni Wien. Organisierte Touren im Rahmen der Wienwoche:
24. 9. und 1. 10., 14 bis 16 Uhr. Treffpunkt: Universität Wien, Haupteingang
Infos, Audio- und Videodownload:
www.gehoergaenge.atwww.facebook.com/gehoergaengewww.wienwoche.org