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"Juden, die schauen"

Von Alexia Weiss

Politik
Die Installation "Juden schauen" im Weltmuseum soll die Bilder im Kopf hinterfragen.
© KHM/Weltmuseum

Zwei Kunstprojekte hinterfragen im derzeit leeren Weltmuseum herkömmliche Darstellungen des Anderen.


Wien. "Hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, dass Sie wie Pocahontas aussehen?" Verena Melgarejo Weinandt kann nicht mehr sagen, wie oft ihr diese Frage bereits gestellt wurde. Oft jedenfalls. Sie mag es nicht mehr hören. Weinandts Vater stammt aus Bolivien, ihre Mutter ist Deutsche. Sie selbst ist in Berlin groß geworden, hat einige Jahre in Argentinien gelebt und studiert nun Kunst in Wien. Ihre indigenen Wurzeln sind Weinandt ins Gesicht geschrieben. Doch über die Disneyprinzessin und andere romantisierende Bilder gehe die Wahrnehmung indigener Menschen in Europa nicht hinaus, beklagt sie. Das Bild sei völlig verzerrt: Kaum etwas sei hier bekannt über die Lebensrealität in Lateinamerika, und es fehle auch das Interesse. Südamerika sei ganz weit weg.

Auch Barbara Staudinger kann etwas über schablonenhafte Bilder im Kopf erzählen. Die Wiener Kuratorin forscht seit vielen Jahren zu jüdischer Geschichte. Wenn man sich damit auseinandersetzt, wie Juden gesehen werden, ist man rasch mit Stereotypen konfrontiert. Das spiegelt sich zum Beispiel auch in den Fotos von Juden wider, die Ethnografen im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts aus aller Welt nach Österreich brachten. Darauf sind dann "typische Szenerien" zu sehen: der alte Mann etwa, der mit einem kleinen Buben über der Tora sitzt, oder romantische Darstellungen jüdischer Händler. Beliebt war auch "die schöne orientalische Jüdin".

Ethnografische Museen sind in den vergangenen Jahren zunehmend mit Fragen konfrontiert. Was stellt man aus? Wie stellt man Menschen, die vermeintlich anders sind, dar? Das Weltmuseum am Heldenplatz arbeitet aktuell an seiner Neukonzeption. Im Rahmen der Wienwoche hinterfragen nun zwei Kulturprojekte in den derzeit leeren Räumlichkeiten des Museums den Umgang mit ethnografischen Objekten und versuchen, Stereotype aufzubrechen.

"Juden schauen": So haben Staudinger und Co-Kurator Herbert Justnik ihre Installation benannt. Juden schauen: Das verbindet man sofort mit einer voyeuristischen Perspektive. Es könnte aber auch so gelesen werden: "Juden, die schauen", merkt Justnik an. Interessantes historisches Detail: Auch jüdische Ethnologen zogen im 19. Jahrhundert aus, um "das Typische" einzufangen, etwa in Galizien. Doch schon damals gab es auch dort eine assimilierte Oberschicht. Gefragt waren aber Bilder von Juden, die auch wie Juden aussahen. Ähnlich gestaltet sich heute auch die Herausforderung von Medien, Beiträge, die sich mit Juden oder jüdischen Themen befassen, zu illustrieren. Nicht immer sind aber die Fotos betender orthodoxer Juden an der Klagemauer in Jerusalem die wirklich passende Bebilderung.

Staudinger und Justnik wollen mit ihrer Installation, die auch mit Projektionen historischer ethnografischer Aufnahmen arbeitet, die Bilder im Kopf hinterfragen. Konterkariert werden die Fotos durch künstlerische Arbeiten, die sich auf ganz unterschiedliche Weise mit Klischees auseinandersetzen.

Die Außensicht habe ausgedient

Klischees sind auch Melgarejo Weinandt ein Gräuel. Gemeinsam mit anderen Künstlern aus Lateinamerika möchte sie im Rahmen des Projekts "Wer hat Angst vor dem Museum? Eine Ausgrabung der kolonialen Wunden" vor auf allem auf eines aufmerksam machen: Wenn es darum geht, wie Indigenität vermittelt wird, sollten das Menschen tun, die selbst indigen sind. Die Außensicht habe ausgedient - denn sie erfolge nie auf Augenhöhe. Die peruanische Künstlerin Imayna Caceres beklagt, dass es hier immer noch eine Hierarchie gibt. "Ich kenne in Lateinamerika kein Museum, das sich mit Menschen aus Europa aus einer ethnografischen Perspektive befasst." Die kolonialen Wunden, sie liegen tief, wenn man Melgarejo Weinandt und Caceres zuhört. Es beginnt damit, dass eine weiße Hautfarbe bis heute bei vielen, auch Betroffenen, als erstrebenswert gilt. Und es endet damit, dass die Eroberer und die Wissenschafter im Gefolge das, was sie vorfanden, als exotisch, gleichzeitig aber primitiv abstempelten. Übergestülpt wurden Europas Lebenskonzepte.

Beispiel Sexualität: Als normal galten sexuelle Beziehungen zwischen einem Mann und einer Frau und klare Rollenbilder. In vielen indigenen Völkern habe man hier aber ganz andere Konzeptionen gehabt. Da gab es seit jeher zum Beispiel Männer, die sich als Frau fühlten und sich auch als solche kleideten. "Sie waren, und sind teils bis heute, ganz besondere Menschen: Heilerinnen zum Beispiel." Neben Performances, unter anderem auch von einem Transkünstler, wird das Kuratorenteam (Verena Melgarejo Weinandt, Imayna Caceres, Pedra Costa, und Marissa Lôbo) auch Filmbeiträge zeigen - von den 1990ern bis heute.

Gezeigt werden in diesen Aspekte heutigen Lebens in Südamerika, aktuelle Lebensrealitäten von indigenen Menschen, wobei die beiden Kuratorinnen anmerken: Das Gros der Menschen habe heute sowohl indigene als auch europäische Vorfahren, sie seien also Mestizos. Ob der Begriff, der von den Spaniern stammt, als diskriminierend oder nicht wahrgenommen wird, sei unterschiedlich. Er sei aber jedenfalls gängig. Nicht übersehen dürfe man auch die Menschen, deren Vorfahren als Sklaven aus Afrika kamen. Auch hier gebe es inzwischen eine starke Vermischung. Es gebe daher auch eine Strömung, die den Begriff Mestizos sogar befürwortet, etwa in Mexiko - weil er Gleichheit schaffe. So würden Unterschiede ausgeblendet. Alle seien im Grund Mestizos, so Caceres. "Es gibt nicht so etwas wie eine reine Rasse."

Was die Lebensrealitäten betrifft: Da gehe es zum Beispiel um die Unterdrückung durch Großkonzerne. Um den Kampf um die Natur. Es gehe darum, dass viele die Sprache ihrer Vorfahren nicht mehr sprechen würden. Dass einige das Brauchtum pflegen, aber andere immer noch lieber europäisch und nicht indigen wären und keinen Stolz auf ihre Herkunft entwickelt hätten. Das seien die Auswirkungen des Kolonialismus, der immer noch nicht überwunden sei. Es sind diese Perspektiven und nicht das Bild von Pocahontas, welche die Künstlerinnen im Weltmuseum in den Mittelpunkt rücken möchten. Und was die Zukunft des Museums betrifft: Hier wünschen sie sich ein Überdenken des Umgangs mit Objekten. Das berühmteste ist der Penacho de Moctezuma - die Federkrone des Moctezuma. Diese gehöre, wie so vieles andere, unbedingt zurückgegeben.