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Versteckte Streikkultur

Von Alexander Maurer

Politik
Österreich ist nicht gerade für seine Streikkultur bekannt. Trotzdem wurden viele Konflikte der jüngeren Vergangenheit auf der Straße ausgetragen.
© Wienwoche/Michael Krebs

Das Audiotheater "Den Betrieb stören" soll auf Österreichs Arbeitergeschichte aufmerksam machen - wie die Oktoberstreiks 1950.


Wien. "Vor allem jüngere Arbeitergeschichte ist kein Teil offizieller Geschichte mehr", bemängelt Kübra Atasoy-Özoglu. Sie ist gemeinsam mit Ozan Özoglu Mitglied des Vereins "Maloche", der die Arbeiter und ihre Rolle in der österreichischen Gesellschaft sichtbarer machen will. Dafür haben sie im Rahmen der Wienwoche und der Audioklasse des Brigittenauer Gymnasiums Karajangasse das Audiotheaterstück "Den Betrieb stören" erarbeitet. "Durch den Schwerpunkt auf das Erzählerische kann sich das Publikum besser in die Situation hineinversetzen und sich darauf konzentrieren - sogar mit geschlossenen Augen", meint Atasoy-Özoglu scherzend.

Im Audiotheaterstück werden einige Meilensteine der österreichischen Arbeitergeschichte behandelt, auf die im selten streikenden Österreich oft vergessen wird. Besonderes Augenmerk liegt auf den Oktoberstreiks von 1950. Arbeits- und Sozialkonflikte wurden im Nachkriegsösterreich auf der Straße ausgetragen. Streikanstöße waren vor allem die Ende der 1940er und Beginn der 1950er Jahre insgesamt fünf Lohn-Preis-Abkommen. Sie stellten die ersten Gehversuche einer Sozialpartnerschaft in Österreich dar. Das erste dieser Abkommen wurde zwischen Arbeiterkammer und ÖGB auf sozialdemokratischer Seite sowie Bundeswirtschaftskammer und Landwirtschaftskammer auf christdemokratischer Seite 1947 unter Billigung der Bundesregierung ausverhandelt. Diese umstrittenen Maßnahmen der Inflationsdämpfung bedeuteten für die Arbeiterschaft meist empfindliche Reallohnsenkungen. Das zweite Lohn-Preis-Abkommen 1948 etwa führte zu einem Aufmarsch von 20.000 Arbeitern in Linz, das Rathaus wurde gestürmt.

Im Herbst 1950 erreichten diese Konflikte mit dem vierten Lohn-Preis-Abkommen ihren Höhepunkt. Fünf Jahre nach Kriegsende war die Kaufkraft im besetzten Österreich immer noch gering. Die Reallöhne befanden sich trotz stark steigender Produktion unter Vorkriegsniveau. Während die Arbeiterschaft Lohnerhöhungen forderte, um Kaufkraft und Konsum anzukurbeln, wollten Regierung und private sowie staatliche Betriebe die Lohnniveaus weiterhin gering halten. Das erhöhte die abschöpfbaren Gewinne, die u.a. für Investitionen und einer Ankurbelung des Wiederaufbaus genutzt werden sollten.

Streik oder Putschversuch?

Nicht nur in Linz stand der öffentliche Verkehr am 26. September 1950 im Zuge der durch das Abkommen ausgelösten Proteststreiks still. In Wien wurden Straßenbahnweichen mit Beton ausgegossen. Straßenbahnremisen und Elektrizitätswerke wurden gestürmt. Die Streikenden gerieten auch mit der Polizei aneinander. Der damalige Vorsitzende der Bauarbeitergewerkschaft und späterer ÖGB-Präsident Franz Olah stellt sich mit seinen Leuten den Protestierenden entgegen, erhält Unterstützung von sozialistischer Jugend und katholischen Studenten. Am 28. September wird der Streik vorerst von der KPÖ abgebrochen, zwei Tage später wird der Regierung mit Generalstreik gedroht, sollte das Preis-Lohn-Abkommen nicht zurückgenommen werden.

Der Ministerrat lehnt das Ultimatum am 3. Oktober ab, bezeichnet es sogar als "verbrecherischen Anschlag". Tags darauf flammt die Streikbewegung erneut auf, allein in Wien beteiligen sich 145 Betriebe. Straßen und Plätze werden blockiert, Gleisanlagen mit Sand- und Schotterfuhren zugeschüttet. Es kommt zu erneuten Auseinandersetzungen der Streikenden mit Franz Olahs Streikbrechern, am 6. Oktober werden die Proteste eingestellt. "Das wurde mit dem Argument verteidigt, man hätte die Republik gerettet - mit Schlagstöcken. Die Republik wurde zum Feigenblatt für Privatinteressen", merkt Ozan Özoglu an.

Als die Streikwelle losbrach, wurde sie von Regierung und Medien umgehend als kommunistischer Putschversuch und Gefährdung des Wiederaufbaus interpretiert. Dass die Streiks in Wien größtenteils von KPÖ-Betriebsräten aus den damals unter sowjetischer Kontrolle stehenden USIA-Betrieben organisiert wurden, fütterte diese Behauptungen. Nicht nur die KPÖ dementierte dies heftig, auch Historiker rehabilitieren die Partei, die damals einen Stimmanteil von nur fünf Prozent aufwies, mittlerweile weitestgehend. "Die Arbeiter stellten rein wirtschaftliche und auch keine übertriebenen Forderungen. Natürlich hat die KPÖ an den Streiks teilgenommen - genauso wie Teile der SPÖ oder des VdU (Vorgängerpartei der FPÖ, Anm.). Außerdem begannen die Streiks in Linz, was außerhalb der Sowjetzone lag", sagt Kübra Atasoy-Özoglu.

Bei Streik droht Abschiebung

Bis zum "Streikjahr" 2003, in dem sich fast 800.000 Arbeitnehmer an Protesten und Arbeitsniederlegung beteiligten, blieb es in Österreich eher ruhig. 1962 forderten die Metallarbeiter die Abschaffung der niedrigeren Frauenlohngruppen. "Allerdings haben sich die Arbeitgeber nicht bewegt und es ist an verschiedenen Orten gestreikt worden, bis die Sozialpartnerschaft nicht mehr wegschauen konnte und unterstützen musste", betont Kübra Atasoy-Özoglu. "Der ÖGB hatte sich die Forderung nach Abschaffung der Frauenlohngruppen schnell zu eigen gemacht. Auf dem Papier klang die Durchsetzung auch gut, aber in der Realität wurden die Frauen dann einfach als Hilfsarbeiterinnen eingestuft, was an ihrem sozioökonomischen Status nichts geändert hat."

Das Projekt soll aber nicht als bloße Kritik an der Sozialpartnerschaft gesehen werden. Es geht vielmehr um das Aufzeigen von Widersprüchen und Missständen, meinen die Organisatoren. "Beispielsweise haben wir auf der einen Seite österreichische Arbeiter, die streiken, auf der anderen Seite aber Gastarbeiter, die nicht streiken dürfen, weil sie sonst abgeschoben werden", meint Kübra Atasoy-Özoglu. Ähnliches gilt für das Arbeitsverbot von Flüchtlingen, das ebenfalls im Stück behandelt wird. "Flüchtlinge arbeiten trotzdem hier, weil sie müssen. Machen wir uns da nichts vor, die sind alle in der Schwarzarbeit oder Saisonarbeit beschäftigt. Daraus wird viel Profit geschlagen. Wir arbeiten das auch mit dem Nichtvorhandensein von Dokumenten auf. Beispielsweise gibt es zu der Thematik keinen einzigen offiziellen O-Ton vom ehemaligen ÖGB-Chef und jetzigen Sozialminister Hundstorfer", merkt sie an.

Das mehrsprachige Live-Audiotheater "Den Betrieb stören" wird am 1. Oktober um 18.30 Uhr im Festsaal des Brigittenauer Gymnasiums in der Karajangase 14 aufgeführt. Ab 19 Uhr wird das Stück auf Radio Orange übertragen.