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Vom Fleck weg

Von Ina Weber

Politik

Die SPÖ Wien gestaltet seit 65 Jahren Schule in Wien. Trotz der Vorgaben durch den Bund haben Wiens Schulen mehr Freiheiten, als man denkt - die nun von allen Parteien geforderte "Schulautonomie" gibt es in vielen Bereichen längst.


Wien. Die Schule - viel diskutiert, vieles nicht umgesetzt. Die Schule mit Rohrstab und Ohrenziehen ist zwar vorbei. Die Gräben sitzen aber seit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht unter Kaiserin Maria Theresia im 18. Jahrhundert tief. Österreichs Schulsystem ist nicht zuletzt aufgrund der verworrenen Zuständigkeiten zwischen Bund und Länder kompliziert und basiert auf der Gesetzgebung der 1960/70er Jahre, wo die Schulpflicht auf neun Jahre verlängert wurde.

In Wien gibt es öffentliche und private Schulen. Die Schulformen sind Volksschule, Neue Mittelschule (hat alle Hauptschulen und Kooperative Mittelschulen ersetzt) und Gymnasien. Vor allem in den 1970er Jahren entstanden auch Eltern geführte alternative Schulen. Man wollte den eigenen Kindern Bildung jenseits streng reglementierter und vollgestopfter Klassen zukommen lassen. Die Eltern suchten sich dazu ihre Lehrer selbst aus und ließen damit den Kindern Spielraum für ihre individuelle Entwicklung.

Die Reformpädagogik ist heute in allen Wiener Schulen gelandet. "Montessori" ist zum Schlagwort geworden, das Eltern, meist berufstätig, beruhigt. Auch wenn sie sich mit der Bildung ihrer Kinder in der Schule nicht wirklich auseinandersetzen können, so lässt es sie hoffen, dass das Kind mit seiner eigenen Persönlichkeit, mit seinen eigenen Fähigkeiten angenommen wird.

Die Erziehungsanstalt

Dass das Wohlergehen des Kindes an erster Stelle steht, dazu haben sich nun alle Parteien bekannt. Die Wiener SPÖ titelt in ihrem Wahlprogramm für die Wahl am 11. Oktober: "Weg von der Erziehungsanstalt hin zu einer Schule, die glücklich macht". So positiv das klingt, so bitter ist der Nachgeschmack: Sind Wiens Schulen noch immer eher Erziehungsanstalt, als dass sie die Kinder glücklich machen?

Die Schule neu zu denken wurde besonders durch die internationalen Pisa-Studien (seit 2000) in Österreich zur Herausforderung. Erstmals erhielt man einen Vergleich. Ein Viertel aller Kinder in Österreich können mit 15 Jahren nicht Sinn erfassend lesen. Der Schock saß tief. Was war da passiert?

Abgesehen davon, dass diese Tests und die daraus resultierende Standardisierung der Kinder infrage gestellt wurde und wird, bekamen alternative Lernmethoden im Zuge der Ursachenforschung enormen Aufwind. Die Schüler könnten nicht nach ihrem eigenen Lern-Tempo lernen und wer nicht mitkommt, hätte Pech gehabt, ist eine Erklärung. In den Klassen gebe es viel zu wenige Lehrer, ist eine andere. Oder: Die Eltern würden sich zu wenig um ihre Kinder kümmern. In Wien wurde das Bildungsthema nur allzu schnell zum Integrationsproblem gemacht. Der Diskurs über Deutsch-Kurse oder Dienstzeiten der Lehrer überlagerte die eigentliche Diskussion über das Wie - wie verbreitet man am besten Bildung, sodass möglichst viele davon profitieren können?

Das Wegschieben des Problems hat System, genauer gesagt, das österreichische Schulsystem. Und allen ist klar: Eine grundlegende Änderung der Schule müsste über den Bund - derzeit SPÖ und ÖVP - gesetzlich festgelegt werden. Und solange SPÖ und ÖVP keinen gemeinsamen Nenner finden, ist die Schule auf der langen Bank, das differenzierte Schulsystem im Gesetz verankert und damit die Trennung der Kinder nach der Volksschule und das strikte Unterrichten nach dem Lehrplan.

Der Lehrplan

In Wien hat die SPÖ seit Parteiengedenken das Bildungsressort in der Hand. Lediglich unter Landeshauptmann Theodor Körner (SPÖ) war die "Volksbildung" von der KPÖ geführt und davor von 1945 bis 1946 von der ÖVP. Das bedeutet, dass nach dem Zweiten Weltkrieg, seit rund 65 Jahren, die SPÖ in Wien Schule gestaltet.

Das System ist fix wie starr: Pflichtschulerhalter ist die Stadt, Pflichtschullehrer sprich Lehrer für Volksschule und Neue Mittelschule werden vom Magistrat bezahlt, die Höheren Schulen wie Gymnasien vom Bund. Die Stellenplanrichtlinien des Bundes legen fest, wie viele Lehrer für wie viele Kinder angestellt werden. Danach muss der Stadtschulrat vorgehen. Er teilt die Lehrer anschließend den Schulen zu. Derzeit gibt es mehr Lehrer in Wien als benötigt und daher eine Warteliste.

Dass sich die Schulen ihre Lehrer nicht aussuchen können, gerät immer mehr in Kritik. Allerdings gibt es laut Stadtschulratsbüro Spielräume. Wenn man etwa vier Mathe-Lehrer auf der Warteliste hat, dann könne der Direktor einer Schule auch wählen. Viel zu wenig der Freiheit, sagen derzeit alle Parteien. In jedem Wahlprogramm findet sich das Schlagwort Schulautonomie wieder. Was das genau heißt, beantwortet jedoch jede Partei unterschiedlich bis vage. Diskutiert wird über eine pädagogische Autonomie, d.h. Schulen können selbst darüber bestimmen wie, was, wann gelernt wird, und über eine Personalautonomie, wobei es bei den einen um die Auswahl der Lehrer und bei den anderen um eine unabhängige Bestellung der Direktoren geht. Dass aber jede Schule eine eigene Personal- und Budgetabteilung hat, halten viele in politischen Kreisen für nicht umsetzbar.

Die SPÖ hat in Wien mit der Zustimmung der Grünen und der ÖVP den Schulversuch Wiener Mittelschule eingeführt. Er ist eine Sonderform der Neuen Mittelschule, wie die Hauptschule nun bezeichnet wird. Derzeit gibt es 27 Wiener Mittelschulen und 90 Neue Mittelschulen in Wien. Der Unterschied ist, dass rund die Hälfte der Wiener Mittelschulen derzeit in einer AHS liegen, d.h. sie werden als Neue Mittelschulen mit AHS-Niveau angeboten.

In Wien soll bei allen neu entstehenden Gymnasien die Unterstufe als Wiener Mittelschule geführt werden. Die Hälfte der Kinder sollte Hauptschul-Niveau, die andere Hälfte AHS-Niveau haben. Das sei der Plan. Es ist einer von vielen Schulversuchen in Wien, der sich dem Ziel der Roten annähert: die gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen. Denn zahlreiche Beispiele würden zeigen, dass Schulsysteme mit einer gemeinsamen Beschulung der Kinder erfolgreicher sind. Das Wort "Gesamtschule" nehmen SPÖ und Grüne nicht mehr so gern in den Mund. Die SPÖ will weiters den Ausbau der Ganztagsschulen und die Ganztagsbetreuung forcieren.

Die FPÖ würde beim alten Modell Hauptschule oder AHS bleiben. Sie ist gegen die "Gesamtschule". Sie ist auch gegen eine Zentralmatura. Die Blauen würden demnach bereits Eingeführtes wieder rückgängig machen wollen. Vor allem aber legt die FPÖ ihr Augenmerk auf die deutsche Sprache. Deutsch sollte vor Schulbeginn in eigenen Klassen erworben werden und soll "Pausensprache" sein.

Die Grünen gehen noch einen Schritt weiter als die SPÖ. Sie wünschen sich eine gemeinsame Schule der 6- bis 14-Jährigen. Sie sprechen sich wie die SPÖ für einen Ganztagesbetrieb aus. Lernen und Hausaufgaben werden laut Wahlprogramm in der Schule erledigt, zu Hause bleibt noch genug Zeit für sonstige Freizeitaktivitäten. Weiters fordern sie längere Öffnungszeiten und eine Totalreform des Stadtschulrats. Dieser soll Dienstleistungszentrum für Lehrer, Schüler und Eltern sein.

Die ÖVP fordert den Erhalt und Ausbau der Gymnasien in Wien, spricht sich aber auch für die Weiterentwicklung der Wiener Mittelschule aus. Die Vorteile seien kleinere Gruppen mit mehr Lehrern. Die ÖVP würde "Brennpunktschulen" fördern.

Die Neos nehmen die Worte "Gemeinsame Schule" oder "Gesamtschule" nicht in den Mund, sondern fordern eine "mündige Schule". Konkret wollen sie aber ebenfalls keine Trennung mit zehn Jahren. Es soll eine Schule der 10- bis 14-Jährigen geben. Die Partei würde den Schulen volle pädagogische, finanzielle und personelle Autonomie zugestehen, den Stadtschulrat entpolitisieren und das Schulgeld streichen. Alle Schulen, auch konfessionelle oder private, sollten den Kindern kostenlos zur Verfügung stehen.

Das Umdenken

Während die einen reden, setzen andere um. Josef Reichmayr zum Beispiel führt mit der Lernwerkstätte Brigittenau eine Ganztagsvolksschule mit anschließender Neuen Mittelschule. Die Schule beginnt um 8.30 Uhr. Es gibt keine Jahrgangsklassen, die 6- bis 9-Jährigen, die 10- bis 13-Jährigen und die 13- bis 15-Jährigen sind zusammen. "Schulautonomie gibt es bereits, man muss es nur tun", so Reichmayr. Allerdings sei alles, so lange der Bund die Mittelstufe nicht löse, eine "Würgerei".

Schulversuche wie die Wiener Mittelschule sind laut Gesetz beschränkt. Sie können daher nicht flächendeckend in Wien eingeführt werden. Und jede inhaltliche Gestaltung beruht auf Freiwilligkeit und hängt am Engagement des Direktors und der Lehrer. So heißt es auch heute noch am Ende des Tages: Wer einen Dreier im Volksschulzeugnis hat, wird an einen Standort kommen, der früher einmal Hauptschule hieß. Wer lauter Einser hat, wird dort hineinmarschieren, wo AHS draufsteht.