
Der Volksentscheid Fahrrad soll die Politik dazu zwingen, das Radfahren angenehmer und sicherer zu machen. Der Initiator der Bewegung fuhr im TV-Radl von "Wiener Zeitung" und W24 mit.
Berlin-Neukölln. Die deutsche Hauptstadt hat sich in den vergangenen Jahren zur Fahrrad-Metropole entwickelt. Nicht nur dass die velophile Szene immer vielfältiger wird. Auch erhöht sich die Nutzung des Fahrrades. So stieg der Anteil des Radverkehrs an der Gesamtmobilität in den inneren Stadtteilen auf bis zu 20 Prozent. Der Autoverkehr dominiert allerdings genau wie in Wien weiterhin das Straßenbild und das Denken der Stadtplaner. Dementsprechend unangenehm kann es werden, in der weitläufigen 3,5-Millionen-Einwohner-Stadt Rad zu fahren. Eine Gruppe von Fahrrad-Aktivisten will sich mit dieser Situation nicht abfinden: Instrumente der direkten Demokratie sollen das Radfahren angenehmer machen. Die "Wiener Zeitung" traf die Fahrrad-Aktivistin Saskia Ellenbeck vom Netzwerk fahradfreundlches Neukölln und Heinrich Strößenreuther, den Initiator des Volksentscheides Fahrrad.
"Wiener Zeitung": Wie ist es, in Berlin Rad zu fahren?
SaskiaEllenbeck: Asphaltierte Radwege, die getrennt von der Straße verlaufen, die breit genug und sicher sind, muss man in Berlin mit der Lupe suchen. In Neukölln, dem Bezirk, wo ich lebe, gibt es kaum Radinfrastrukur. Mit meinem Sohn auf dem Kindersitz würde ich auf bestimmten Kreuzungen nicht fahren.
Heinrich Strößenreuther: Oft sind keine Radwege da, dann ist es wieder unübersichtlich. In Berlin sind jedes Jahr 17.000 Kraftfahrzeuge mehr unterwegs. Die stinken nicht nur, sie parken auch alle irgendwo: oft in zweiter Spur oder auf Radwegen. Und wir Radfahrer müssen uns daran vorbei bewegen. Das ist gefährlich und man fühlt sich diskriminiert.
Dieser Diskriminierung - wie Sie das nennen - begegnen Sie mit Instrumenten der direkten Demokratie. Wie soll das funktionieren?
Strößenreuther: Wir wollen ein Berliner Radverkehrsgesetz erreichen, das zwei Meter breite Radwege entlang der Hauptstraßen festlegt, das 350 Kilometer Langstreckenradwege und grüne Wellen für Radfahrer entlang wichtiger Radverkehrsrouten vorschreibt. Das sind zehn Punkte, die es den Radfahrern leichter machen sollen und die von der Berliner Stadtverwaltung umgesetzt werden könnten. Alles angemessen, keine Utopien, so, dass der Autofahrer direkt aus dem Auto rausfällt. Wir sagen: Wir haben im innerstädtischen Bereich 20 Prozent Radverkehrsanteil. In diesem Ausmaß wollen wir auch Fläche für den Radverkehr haben. Und nicht bloß drei Prozent.
Ellenbeck: Wir haben in Neukölln 500 Unterschriften für eine Petition gesammelt, die seitens der Verwaltung weitgehend ignoriert wurde. In einem zweiten Schritt haben wir ein Netzwerk für ein fahrradfreundliches Neukölln ins Leben gerufen, an dem sich ganz unterschiedliche Akteure beteiligen: Lokale, Gewerbebetriebe, Gastronomen, Kindergartenbetreiber und die Bewohner.
Sie beide haben wenig gemein mit dem Bild des Fahrrad-Aktivisten, der sich im Hinterhof sein Fahrrad zusammenschweißt und dann bei der Critical Mass demonstrieren geht. Sieht so das neue Gesicht des Fahrrad-Aktivismus so aus?
Strößenreuther:Radfahren hat heute die Mitte der Gesellschaft erreicht. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass wir heute hier sitzen. Wir alle haben Jobs und Familie. Und wir wollen eine Veränderung.
Ellenbeck: Unsere Forderungen sind nicht radikal. Aber es gibt immer noch viele Personen in der Stadtpolitik, denen es an Visionen für eine moderne Verkehrspolitik mangelt.
Strößenreuther: Ich bin zwar Geschäftsmann und sehe so aus. Aber ich kann schon auch aktionistisch sein. Ich habe mich schon mal zwischen parkende Autos auf die Straße geworfen, um auf das Problem sich öffnender Autotüren aufmerksam zu machen. Einmal haben wir im Nikolauskostüm Falschparker von Radwegen weggetragen. Und am internationalen Falschparkertag sind wir in zweiter Spur stehen geblieben und haben Cappuccino getrunken. Wenn Radfahrer an einem Tag das machen, was Autofahrer täglich tun, ist es ein Medienereignis.
In Wien ist Radfahren ein sehr polarisierendes Thema. Gerade die Gegner des Radfahrens bemühen gerne das Bild vom Rad-Rowdy. Ist das in Berlin auch so?
Strößenreuther:Ja, Fußgänger beschweren sich auch in Berlin. Eine unserer Forderungen im Volksentscheid ist eine Fahrradstaffel der Polizei, die uns Radfahrer von den Gehwegen scheucht. Hauptaufgabe der Fahrradstaffel muss aber dann sein, Falschparker von Radwegen zu entfernen. Für uns ist klar: Wenn die Rad-Infrastruktur einmal vernünftig ist, haben wir auf dem Bürgersteig nichts zu suchen.
Von Seiten der Stadt Wien gibt es viele Initiativen, den Verkehr zu beruhigen. Jeder derartige Versuch erzeugt allerdings Widerstand. Um jeden Parkplatz wird gekämpft.
Strößenreuther: Das ist völlig logisch, weil jeder Autofahrer für sich eine Lebensentscheidung getroffen hat. Arbeitsplatz, Wohnung und Automobilität. Wenn man ihm den Parkplatz wegnimmt, ist das ein Verlust für ihn. Aber genau diesen Konflikt müssen wir anstoßen, austragen und gewinnen. Es kann nicht sein, dass wir unsere Städte vergiften und uns weiter Lärm um die Ohren schlagen lassen. Wir wollen eine Stadt der Lebensqualität.
Ellenbeck: In Neukölln sagt der zuständige Verkehrsstadtrat immer wieder, dass es das Wichtigste sei, dass kein einziger Parkplatz verloren geht. Der Flächenkonflikt wird in der Regel zugunsten des Autofahrers entschieden.