Als Erinnerung: Im Juli 2015 hat ein junger Mann seinen Lehrplatz bei einem Autohersteller verloren, weil er auf der Facebook-Seite eines Radiosenders ein solches Hass-Posting verfasst hatte. Im Jänner dieses Jahres musste ein Administrator der FPÖ-Diersbach Grünen-Chefin Eva Glawischnig aufgrund der Zuschreibung eines erfundenen Zitates auf der parteieigenen Facebook-Seite mehrere tausend Euro in einem Vergleich zahlen. Diese Liste ließe sich noch weiter fortsetzen, sie führt aber allgemein auf einen bemerkenswerten und problematischen Umstand zurück: der Sorglosigkeit im Netz. Wer davon spricht, dass diese Art des Umgangs mit dem Internet nichts Neues darstellt und - weil "nur" im Netz - außer Acht gelassen werden kann, lässt dabei jene Dynamik außen vor, die sich seit dem Erfolg von Facebook rasant entwickelt hat. Die Nutzerzahlen sprechen eine deutliche Sprache; auch die Wirkung des "offline Postings" auf das reale Leben, ist, wie Götzenbrucker erkennt, doch stark gegeben. "Natürlich wirkt jede Meinung, die im Netz geäußert wird und verschwindet, nicht mehr. Viele Nutzer sagen, dass sie ein möglicher Diskurs zu diesem Thema gar nicht interessiert. Am Ende landen alle bei: ‚Irgendjemand ist schuld‘. Die Frage ist aber, wie viel Aufmerksamkeit kann so eine Meinung generieren und wie wird sie ausgenutzt."

Wenn Politiker, auf ihren Seiten bestimmte Kommentare sammeln und diese als Bestätigung verwenden, um eine gewisse Politik durchzusetzen, dann sei das hochproblematisch. "Man kann nicht von einer repräsentativen Meinung ausgehen, wenn jemand vor dem PC sitzt und in der Minute drei solche Botschaften abgibt, während ein qualifizierter Poster sich womöglich alle paar Wochen mal online meldet", so Götzenbrucker. Was aber bleibe, sei die Frage danach, was nach oben gespült wird und was nicht. "Es sind Schimpftiraden und Beleidigungen, die aufgrund ihrer Originalität die meiste Aufmerksamkeit nach sich ziehen."

Ohne Smartphone erledigt

Götzenbrucker spricht von der heutigen Unverzichtbarkeit dieser Technologie im Leben der "User", aus der sich diese Sorglosigkeit im Umgang mit sozialen Medien ergibt. "Nimmt man Jugendlichen das Smartphone weg, sind sie erledigt. Das ist nicht überspitzt formuliert, sondern es geht wirklich um Leben und Tod. Sie sind aus allen relevanten Darstellungsmedien und aus den Communities ausgeschlossen." Meinungen werden hauptsächlich innerhalb dieser Peer-Groups, also jugendlicher Bezugsgruppen, verhandelt. "Da gibt es eine hegemoniale Meinung, die eine Mehrheitsmeinung ist; Gegenläufiges und Subkulturen kommen da kaum vor. In der Wissenschaft bezeichnet man die meisten der User, die sich ,überanpassen‘ und ja nichts Falsches sagen wollen, als ‚Normopathen‘. Daher kommt die Sorglosigkeit bezüglich der Meinungsbildung, da sich niemand aus dem Fenster lehnen will."

Aufmerksamkeitsgelüste

Abseits von der unkritischen Übernahme von Information innerhalb seiner eigens erstellten "Infoblase" fiel in letzter Zeit im "sozialen Netz" die steigende Anzahl der "Hassposter" auf. Götzenbrucker nennt jene in diesem Zusammenhang "psychopathisch veranlagt", die sich unter dem Schutzmantel der Anonymisierung und einer Enthemmung vor dem PC kein Blatt vor dem Mund nehmen. "Im sozialen Leben sind sie nicht so auffällig und verhalten sich normal, aber sobald sie vor dem Schirm sitzen und ein Thema sehen, für das sie sich interessieren oder bei dem sie etwas bewirken wollen, suchen sie relativ kreativ nach Beleidigungsformen. Denn sie wollen ja Aufmerksamkeit erregen." Der Unterschied zwischen der "Verhaltens-Normalität des Alltags" und diesem emotional aufgeladenen Agieren im Netz ist die Angst vor der direkten Konfrontation. "Im realen Leben ist man angreifbar und kann verklagt werden. Was viele, vor allem Jugendliche allerdings nicht wissen: Soziale Netzwerke sind keine rechtsfreien Räume. Das muss man ihnen immer wieder klarmachen. Es hängt auch stark vom sozialen Milieu, Wissen und Bildung ab, wie gut oder schlecht man mit Technologien umgehen kann. ‚Cybermobbing‘ taucht ja zum Beispiel verstärkt unter bildungsfernen Schichten auf", weiß Götzenbrucker. Dass nicht so sehr die Unwissenheit über das, was sich in sozialen Medien abspielt, ein Mittel des Selbstschutzes ist, als vielmehr die "qualifizierte Nichtbeachtung", muss erst einmal gelernt und verstanden werden.

"Es ist ein ‚sich bewusstes Herausnehmen‘ aus einer Diskussion. Man muss ja nicht überall mitlesen und mitdiskutieren. Es gibt Foren und Formate, wie zum Beispiel ‚netzpolitik.org‘, wo man sich ganz anders unterhalten kann. Aber, auch wenn das Herr Zuckerberg nicht gerne hört, es war ja klar, dass Facebook irgendwann einmal zu einem riesigen ‚Müllküberl‘ wird. Es ist irgendwie wie ein Zauber, den man losgetreten hat und den man jetzt nicht mehr so schnell einfangen kann", so die Wissenschafterin. "Soziale Medien werden asozial. Das ‚echte‘ Internet ist ja von vielen ehemaligen Protagonisten der Szene schon totgesagt. Es ist nur mehr ein Spielraum der Werbewirtschaft, denn das ‚hochintelligente‘ Netz, das sich viele gewünscht haben, ist in den letzten Jahren zerstört worden."

Laut der Social-Media-Agentur "Socialbakers" sind zahlenmäßig - im Segment "Brands" Hofer Österreich mit mehr als 470.000 österreichischen Fans (global über 608.000) und das Online Versandhaus Amazon mit mehr als 455.000 Fans hierzulande auf Facebook am erfolgreichsten. In der Sparte "Entertainment" folgt die US-Sitcom "Mein cooler Onkel Charlie " mit mehr als 430.000 einheimischen von weltweit mehr als 28 Millionen "Likes". Bei den "Celebrities" führt in Österreich indes Ski-Star Marcel Hirscher (350.000 von insgesamt 520.000), vor dem Musiker "David Guetta" (346.000 von insgesamt 55 Millionen) und vor Anna Fenninger, die über 344.000 österreichische Fans (total über 650.000) ihr "eigen" nennen darf. Zu den erfolgreichsten Wiener "Facebook-Pages" zählen unter anderem die Seite des Wien Tourismus "wien.info" mit 290.000, Fans die "Zeit im Bild - Page" mit 180.000, die Lifestyle-Seite "1000 things to do in Vienna" mit 120.000, das Museumsquartier mit 94.000 und die Wiener Linien mit 61.000 Usern. Unter den Wiener Spitzenpolitikern führt FP-Vizebürgermeister Johann Gudenus mit knapp 50.000 "Likes" vor der Vorsitzenden der Neos-Wien Beate Meinl-Reisinger (13.000). Die Grünen-Stadträtin Maria Vassilakou (11.000) und der Wien-ÖVP-Chef Gernot Blümel (rund 8500) liegen dahinter. Bürgermeister Michael Häupl ist offiziell nicht auf Facebook vertreten (wobei die SPÖ Wien Seite 26.000 "Likes" sammeln konnte). Österreichweit führt FPÖ-Klubobmann Heinz Christian Strache mit mehr als 327.000 die Liste der landesweiten Spitzenpolitiker klar an. ÖVP-Außenminister Sebastian Kurz hat es indes auf 121.000 Fans auf seiner Facebook-Seite gebracht.

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