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"Alles Gute für die Demo, Herr Doktor"

Von Ina Weber und Bernd Vasari

Politik

2000 Ärzte gehen erstmals auf die Straße - Patienten sehen Streik gerechtfertigt - in Spitälern verlief es ruhig.


Wien. Erich B. steht vor der Notfallambulanz im Wilhelminenspital und genießt seine Zigarette. Über den Streik der Ärzte an diesem Tag ist er informiert und er hat Verständnis: "Was sich da abspielt, was die Ärzte mitmachen, das geht nicht", sagt er zur "Wiener Zeitung". "Einsparen, einsparen heißt es immer nur." Ein junger Mann mit einem weißen Kittel in der Hand kommt den Weg hinunter. "Alles Gute für die Demo, Herr Doktor", ruft Erich B. ihm nach. Der Arzt dreht sich um und bedankt sich, dann schreitet er hinunter zu jenem Bus, der bereits auf die streikenden Ärzte wartet.

Das Wetter spielt der Ärzteschaft an diesem Montag in die Hände. Bei strahlendem Sonnenschein treffen sich rund 2000 Ärzte auf dem Dr.-Karl-Lueger-Platz, um gegen die Maßnahmen des Krankenanstaltenverbundes (KAV) vorzugehen. Wiens Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres fasste zuvor nochmals die Forderungen zusammen: keine weiteren Nachtdienstreduktionen vor Fertigstellung der Zentralen Notaufnahmen, keine flächendeckenden 12,5-Stunden-Schichtdienste, Bekenntnis zur Ausbildung.

"In der Nacht viel weniger Ärzte vorhanden"

Um zehn Uhr startet der Demonstrationszug. Ausgestattet mit weißen Pfeifen und Ratschen schlendern tausende Ärzte begleitet von lauter Musik durch die Stadt. Die Stimmung ist gut. Die Streik-Organisatoren sind zufrieden. "Ein historischer Tag" hört man Ärzte sagen. Für eine Turnusärztin vom SMZ Ost ist der Hauptgrund für ihr Kommen, die Nachtdienstreduktionen. "Es sind jetzt in der Nacht viel weniger Ärzte vorhanden", sagt sie. Das sei nicht so vereinbart gewesen. Die Reduktion finde ja schon seit Jahren statt und nehme nun ein gefährliches Ausmaß an. Zu ihrer Arzt-Ausbildung sagt sie: "Die Ausbildung findet nicht mehr statt."

Andere Spitäler, die die Umstellung auf das Ärztearbeitszeitgesetz (40- bis 48-Stunden-Woche) bereits vollzogen haben, nehmen aus solidarischen Gründen teil. Ein Arzt vom St. Anna Kinderspital will seine Kollegen unterstützen. Warum hat es dort geklappt und beim KAV nicht? "Das ist eine Frage der Umsetzung, will man das im Konsens oder nicht", sagt er. Beim Kinderspital gebe es etwa die sogenannte Opt-out-Lösung (mehr Stunden erlaubt), "weil wir so wenig sind". "Beim KAV wird das derzeit nicht eingesetzt, weil das Geld kostet."

Ein weiterer Arzt sagt: "Ich streike, weil ich ein Patient von morgen bin und dieses System irgendwann einmal brauchen werde. Ich habe Sorge, dass das dann nicht mehr funktioniert, wenn das so weitergeht", sagt er.

Als die Demonstration um elf Uhr am Wiener Stephansplatz ankommt, ist dieser voll von weißen Mänteln. Der eine oder andere Tourist bleibt staunend stehen. Das, was die Ärzte sehr ärgert, ist die Aussage von KAV-Generaldirektor Udo Janßen, dass ein Arzt, der streikt, unmoralisch und unethisch handeln würde. Der KAV habe starken Druck auf seine Mitarbeiter ausgeübt, tönt es aus den Lautsprechern. "Bedrohung der persönlichen Karriere miteingeschlossen." Dies habe jedoch nur noch mehr zu einer Solidarität unter den Ärzten geführt. "Wenn der KAV seine Pläne durchführt, dann bricht meine Abteilung zusammen", empört sich ein Arzt vom Krankenhaus Hietzing auf der Bühne. "Wo ist die Patientenanwältin, wo ist die Gewerkschaft?", wird provokant gerufen. "Wir kämpfen für die Rechte der Patienten und der Ärzte."

Stadt signalisiert Gesprächsbereitschaft

Wolfgang Weismüller ist Ärzte-Personalvertreter an den KAV-Spitälern. Er bemängelt, dass es seitens des KAV schon lange keine Gespräche mehr mit ihm stattgefunden hätten. Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) hat noch vergangene Woche Kommunikationsfehler seitens des KAV eingeräumt und für vergangenen Freitag einen Termin mit den Ärztevertretern vorgeschlagen. Dieser wurde allerdings von der Ärztekammer ausgeschlagen. Nun versucht es der KAV erneut. "Ungeachtet dessen ist unser Gesprächsangebot an die gewählten Vertreter der Ärzte weiterhin aufrecht. Eine neuerliche Einladung für kommenden Mittwoch, den 14. September, wurde heute ausgesprochen", so Janßen. Und auch Wehsely appelliert an die geladenen Ärztevertreter, diese Einladung auch wahrzunehmen. Weiters ersuchte sie die Mediziner "ein weiteres Mal, gerne auch mir zu übermitteln, in welchen Fällen hier welche Sorge besteht".

Unterdessen verläuft der Vormittag ruhig an Wiens Spitälern. Der KAV meldet gleich zu Mittag, dass der Notbetrieb gut funktioniere. Zu Problemen oder Engpässen sei es in den Spitälern nicht gekommen, teilt eine KAV-Sprecherin mit. Betroffen sind die Spitäler Otto-Wagner-Spital, Krankenhaus Hietzing, Rudolfstiftung, SMZ Floridsdorf, Donauspital, Kaiser-Franz-Josef-Spital und Wilhelminenspital. Geplante, nicht dringende OP- und Ambulanztermine sind verschoben worden. Der Notbetrieb wie am Wochenende oder Feiertagen findet statt.

Während ein Bub in einem Liegebett in die Notfallambulanz im Wilhelminenspital geschoben wird, steht Gabriele K. mit einer Krücke vor der Tür. "Ich bin nicht informiert worden, habe aber auch kein Fernsehen geschaut. Jetzt weiß ich nicht, wann ich drankomm’", sagt sie etwas verwundert. "Normalerweise ist hier alles voll", deutet sie zur Ambulanz. Jetzt sitzen lediglich eine Handvoll Wartende im Raum. Erbost ist sie dennoch nicht, im Gegenteil: "Für das Gesundheitswesen sollte vorrangig das Geld da sein und nicht für die Schönheit der Stadt wie für die Mariahilfer Straße", sagt sie. "Ich habe keine Lust, dass wir unsere Ärzte auch noch verlieren."

Bei den Streiks stark vertreten sind die Ärzte des Donauspitals. Zwei Drittel der Belegschaft nehmen an den Protesten teil. Doch, obwohl das Spital nur in Mindestbesetzung geführt wird, ist der Engpass vor Ort nicht zu spüren. Ein Patient, der mit frischem Gips in der Kantine an einer Wurstsemmel kaut, musste keine langen Wartezeiten in Kauf nehmen. "Ich war kurz vor neun Uhr in der Ambulanz und bin gleich drangekommen." Auch andere Patienten bemerken nichts von der streikbedingten Mindestbesetzung. "Mit zwei Stunden muss man immer rechnen, bis man an der Reihe ist. Das war heute nicht anders", sagt eine Patientin, die einen Kontrolltermin hatte.

Nicht in Streikstimmung war der ärztliche Direktor des Donauspitals, Lothar Mayerhofer. Er gilt als Befürworter der geplanten Maßnahmen, gegen die sich der Großteil seines Teams auflehnt. Dass es zu den Protesten kommen wird, habe er nicht erwartet, sagt Mayerhofer. Der Direktor spricht sich dagegen aus: "Ein Streik zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht das richtige Mittel", kritisiert er.

Für das Donauspital gebe es einen Entwicklungsplan, der neue Umstrukturierungen vorsieht. Die Details würden aber noch ausverhandelt werden. Was zentrale Notfallambulanzen betrifft, werde jedenfalls kein Dienstrad gekürzt, versichert er. "Es wird nicht weniger Internisten geben. Bei der Urologie werden wir aber schon einsparen." Statt zwei soll es in Zukunft nur 1,5 Ärzte pro Nachtschicht geben. Dem Oberarzt werde dann ein Nichtoberarzt zur Seite stehen, der auch für eine andere Abteilung zuständig sein wird.

Das alte Modell hält er für überholt. "Im Nachtdienst gibt es nicht viel Arbeit. Wir brauchen daher nicht so viele Ärzte." Man bezahle sie für das Schlafen, denn heimschicken könne man sie nach den aktuellen Bestimmungen nicht.

Dienstgeber bestimmt erstmals Bedingungen am Arbeitsplatz

Dass sich nun viele Ärzte vom KAV und der Stadträtin bevormundet fühlen, beklagt er nicht. "Es stimmt, zum ersten Mal definiert der Dienstgeber die Bestimmungen am Arbeitsplatz." Zuvor durften die Ärzte in geheimen Abstimmungen darüber entscheiden. "Dabei kam zumeist nichts raus", sagt Mayerhofer. "Wir können nicht darüber abstimmen, dass sich nichts verändert." Der Vorstand und Wehsely müssen über die Bedingungen entscheiden dürfen.

Der Direktor verweist auf Konsequenzen, wenn sich die streikenden Ärzte durchsetzen würden. "Mit den derzeitigen Bestimmungen wäre der KAV wirtschaftlich nicht führbar", sagt er. Außerdem würde das Geld dann an anderer Stelle fehlen. "Mit schlechteren Bedingungen, wird es der Markt regeln und die Ärzte werden woanders hingehen."

Herbert Kurz vom Donauspital.

In der Kinderchirurgie des Donauspitals läuft ebenso der Notbetrieb. Auch hier ist die Anzahl der Patienten überschaubar. Vorstand Herbert Kurz: "Bei uns ist nicht viel los." Warum, weiß er allerdings nicht. Es könne am Streik oder etwa auch am Wetter liegen. Sollte es doch zu einem Ansturm von kranken Kindern kommen, würden die streikenden Ärzte in die Station kommen. Kurz bezieht keine Position zu dem Streit. "Ich bin ein Mensch des Ausgleichs und des Verhandelns", sagt er. Es gebe aber die Notwendigkeit einer Umstrukturierung.

In seiner Abteilung wird diese ab Oktober spürbar. Dann soll es einen Turnusarzt pro Nacht weniger geben. Ob es dabei bleibt, werde sich zeigen. "Über den Winter werden wir das evaluieren und schauen, ob es sich ausgeht."

Zuerst probieren und dann entscheiden. Das klingt nach einer Lösung, von der die Streitparteien derzeit weit entfernt sind.

Weniger Patienten als sonst kamen am Montag ins Donauspital.
© Vasari