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Der stolze Parteisoldat

Von Bernd Vasari

Politik

Monologe über die Vergangenheit und Pragmatismus sind Karlheinz Horas Spezialität.


Wien. Karlheinz Hora spricht mit Pinguinen. Regungslos sitzen die drei Tiere aus Plastik mit dem SPÖ-Bezirksvorsteher in seinem Büro. Auf dem Tisch vor ihnen wurden Kaffeetassen, Leitungswasser und ein Zuckerstreuer drapiert. Hora, struppiges Kurzhaar, Vollbart, rot gestreifte Krawatte auf grauem Hemd, stützt seinen mächtigen Bauch an der Tischkante ab. Er redet bedächtig und langsam. So, als wären es echte Menschen, wechselt sein Blick stets zwischen den drei Pinguinen. "Meine Herren, Sie interessieren sich ja für die Leopoldstadt", spricht er sie an.

Knapp vier Minuten dauert der Monolog des Bezirksvorstehers, der auf YouTube zu sehen ist. Lang und breit erklärt er die Welt der Leopoldstadt aus seinem Blickwinkel. Dabei driftet er immer wieder in die Vergangenheit ab. Wie ein fleischgewordener Wikipedia-Eintrag erzählt er den Pinguinen, wie es damals war.

Der langwierige Blick zurück ist typisch für den Bezirksvorsteher der Leopoldstadt, den alle Charly nennen. Hier können ihm weder Pinguine noch Menschen widersprechen. Auf diesem Terrain behält der 59-Jährige die Oberhand.

Bei hitzigen Politdiskussionen dient der Blick zurück sogar als Manöver, um seinen Kontrahenten auszuweichen und ihm den entscheidenden K.o.-Schlag zu verpassen. Selbst unschlagbare Argumente und wissenschaftliche Studien pulverisiert er damit im Handumdrehen. Es sind die immer gleichen zwei Sätze, die Hora einsetzt, um sich über den nichts ahnenden Gegner zu stellen. "Ich wohne seit 37 Jahren in diesem Bezirk und bin seit 44 Jahren in der Leopoldstadt politisch tätig. Durch meine lange Tätigkeit weiß ich, wie das alles entstanden ist." Dann erzählt er wieder, wie es damals war.

Die Argumente seines Gegenübers sind schnell vergessen und Hora hat einmal mehr klargestellt, dass durch seine über Jahrzehnte dauernde Tätigkeit im Bezirk niemand die Welt der Leopoldstadt besser verstehen kann als er.

Seit 2013 ist Karlheinz Hora Bezirksvorsteher der 103.000 Einwohner großen Leopoldstadt. Bei seiner einzigen Bezirksvertretungswahl vor einem Jahr konnte er die SPÖ mit 38,64 Prozent auf Platz 1 führen. Aufgrund eines Fehlers bei der Auszählung der Wahlkarten muss die Wahl jedoch am Sonntag wiederholt werden.

Für Hora ein unsicheres Terrain, wie er zugibt. Dass er die Wahl vor einem Jahr mit einem Vorsprung von 16 Prozent gewinnen konnte, beruhigt ihn nicht. Denn damals fanden die Bezirkswahlen im Schatten der Gemeinderatswahlen statt. "Das Bezirksergebnis unterscheidet sich nicht wesentlich vom wienweiten Stimmverhalten", sagt der Bezirksvorsteher.

Aber nun ist er auf sich allein gestellt. "Es kann alles passieren. Es geht um den ersten Platz im Bezirk", sagt Hora. Er wirkt unsicher, denn auf seine Erfahrung kann er dieses Mal nicht zurückgreifen: "Das hat es noch nie gegeben, dass in einem Bezirk nicht im Zuge der Gemeinderatswahlen gewählt wird." Auch nicht in den 44 Jahren, in denen er politisch in dem Bezirk tätig ist.

Karlheinz Hora ist in der Leopoldstadt aufgewachsen. Auf diese Formulierung besteht der Bezirksvorsteher, obwohl sie ungenau ist. Die ersten sechs Jahre seines Lebens wohnte er zwar in der Leopoldstadt, dann zog er allerdings mit seinen Eltern ins noble Währing. Er ging dort in die Schule und kehrte erst mit 22 Jahren zurück. An den Wochenenden sei er jedoch immer bei seinem in der Leopoldstadt wohnenden, älteren Bruder gewesen, rechtfertigt Hora seinen lebenslangen Bezug zu dem Bezirk.

Sein Bruder war es auch, der den damaligen Teenager zu den Genossen mitnahm. "Anfang der 70er Jahre, da war noch eine Aufbruchstimmung vorhanden", erinnert sich Hora. "Bruno Kreisky ist gerade Kanzler geworden. Damit ging es für die Arbeiter und Angestellten bergauf."

Loyalität und Aufbau von Seilschaften

Hora wurde von dieser Stimmung mitgerissen. Bereits mit 16 Jahren trat er der SPÖ Leopoldstadt bei. Als Parteimitglied war er zuständig für die Jugendorganisationen, lernte politisches Taktieren und verinnerlichte den roten Machtstil. Nur nicht zu weit rauslehnen, Loyalität und den Aufbau von Seilschaften innerhalb des Parteiapparates. Er war Stellvertreter der Leopoldstädter Sozialistischen Jugend, der Sektion 9 und der Kinderfreunde.

Neben seiner Tätigkeit in der SPÖ begann er nach der Handelsschule die Lehre zum Bürokaufmann und ließ ich als Sparkassenkaufmann ausbilden. Später arbeitete er bei der Zentralsparkasse, der Stadthalle und beim Wiener Veranstaltungsservice.

Der Politiker sei ihm dann passiert, sagt Hora. Er rutschte nach, wenn höhergestellte Genossen abtraten. Zwei Jahrzehnte nach dem Eintritt in die SPÖ erreichte er schließlich die erste Spitzenposition. 1993 wurde Hora Chef in der Sektion 9 und drei Jahre später auch Bezirksrat. Bis zum Gemeinderat und Sprecher für Verkehr und Stadtplanung der Wiener SPÖ hat er sich hinaufgehantelt.

Sein Aufstieg endet mit der 2010 vereinbarten rot-grünen Koalition. In den autoaffinen 1970er Jahren sozialisiert, wehrt sich Hora gegen die grüne Verkehrspolitik der Parkpickerl, Fahrradwege und 30er Zonen. "Es kann nicht sein, dass die Sozialdemokratie immer alles nachlässt und nichts gewinnt", sagt er. Er ist anscheinend so entnervt, dass er das Einmaleins des roten Machtstils missachtet. Hora lehnt sich zu weit raus und fordert wie die FPÖ eine Bürgerbefragung zum Thema Parkpickerl.

SPÖ-Chef Michael Häupl pfeift daraufhin auf die rote Loyalität und stutzt Hora in aller Öffentlichkeit zusammen: "Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ein Parteitag der Wiener SPÖ stattgefunden hätte, wo der Herr Hora zum Vorsitzenden gewählt wurde. Für die SPÖ spreche allemal noch ich."

Die Karriere Horas im Rathaus war damit vorbei. Er tauschte mit Bezirksvorsteher Gerhard Kubik die Posten und kehrte zurück in die Leopoldstadt.

Doch auch in seinem viel geliebten Bezirk verspürt er Gegenwind. In den vergangenen zehn Jahren zog eine Vielzahl an Jungakademikern, Kreativen und Freischaffenden in die Leopoldstadt. Sie wählen die Grünen und die Neos, sind aktiv und wollen mitgestalten. Hora steht ihnen misstrauisch gegenüber. Auch, weil ihre Bürgerinitiativen und lautstark kommunizierten Anliegen sich oftmals gegen ihn und seinen Stil des Politikmachens richten.

Gefällte Bäume für mehr Arbeitsplätze

Für Hora muss es funktional sein. Wie es aussieht, ist oftmals nebensächlich. Gibt es zu wenige Arbeitsplätze, können schon einmal ein paar Bäume gefällt werden und Grünflächen als Fläche für Schlagerparaden dienen.

Der Unmut der neuen Leopoldstädter ist ihm dann jedoch gewiss. Projekte wie die Kommerzialisierung der Kaiserwiese vor dem Riesenrad oder das von ihm geforderte Gastronomie-Großprojekt auf einem konsumfreien Grünstreifen am Donaukanal steigern ihr Unbehagen gegenüber dem Bezirksvorsteher. Er sei ein Parteisoldat aus längst vergangenen Zeiten, klagen sie dann.

Hora stört diese Zuschreibung jedoch nicht. Er selbst bezeichnet sich als Parteisoldat. "Es zeigt, dass ich meiner Ideologie stets treu geblieben bin", sagt er.

In der SPÖ ist man über dieses Image nicht glücklich. Damit es nicht zu stark auf die Partei abfärbt, stellt man ihm im Wahlkampf seine Stellvertreterin Astrid Rompolt an die Seite. Sie ist neben Hora auf den Plakaten zu sehen. "Wir wollen mit ihr auch die jungen und gebildeten Personen im Bezirk ansprechen", rechtfertigt Parteimanagerin Sybille Straubinger diesen Schritt. Mit Hora ist dies anscheinend nicht möglich.

Doch auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums hat sich eine Front gebildet, gegen die Hora ankämpfen muss. Denn in den Gemeindebauten und Schrebergärten des Bezirks wählen die Leopoldstädter immer häufiger die FPÖ.

Um beide Seiten ins Boot zu holen, versucht es Hora mit Pragmatismus. So zeigt er sich einmal als Hardliner in Verkehrsfragen und zieht über rücksichtslose Radfahrer her, um bei den blauen Abtrünnigen zu punkten. Ein anderes Mal bewirbt er die grüne Mitte am Nordbahnhof, eine Art Stadtwildnis, die 12 Hektar groß ist, um die grünaffineren Wähler anzusprechen. In Zeiten des grün-blauen Dauerpräsidentschaftswahlkampfes eine gefährliche Strategie.

Klar positioniert hat er sich jedoch, was seine eigene Zukunft betrifft. Sollte er tatsächlich die 16 Prozent Vorsprung aus dem Vorjahr einbüßen, wird er in Pension gehen.

Seine Monologe über die Leopoldstadt von damals wird er dann nur noch im privaten Rahmen schwingen. Oder vor Pinguinen. Die schweigen weiterhin widerstandslos.