Paul Felix Halperns Eltern wurden um eine "astronomische Summe" seinem Großvater von den Nazis zum Kauf angeboten. - © Stanislav Jenis
Paul Felix Halperns Eltern wurden um eine "astronomische Summe" seinem Großvater von den Nazis zum Kauf angeboten. - © Stanislav Jenis

Wien. Es gibt Holocaust-Überlebende, die wollen niemals ins Land der Täter zurückkehren. Es gibt Emigranten, die fahren nach Jahrzehnten doch in ihre ehemalige Heimat zurück und sind dort überwältigt von ihren Erinnerungen. Diese Woche ist Paul Felix Halpern auf Einladung des Jewish Welcome Service auf Wien-Besuch.

Halpern, geboren 1932 in Wien, sieht die Dinge eher nüchtern. Viele seiner Freunde hätten Bücher veröffentlicht, erzählt er im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", doch er habe das nicht getan. "Ich war ein Kind, als die Nazis einmarschierten, da war ich fünf Jahre alt. Man kann sich an einzelne Momente erinnern. Aber nicht an mehr." Einer dieser Momente ist die Verhaftung seiner Mutter durch die Nationalsozialisten. Halpern stammt aus vermögender Familie, man wohnte in einer Elf-Zimmer-Wohnung in der Elisabethstraße in der Wiener Innenstadt. Primäre Bezugsperson war sein Kindermädchen Resi.

Über England in die USA

Als die Nazis die Wohnung stürmten, da war jedoch gerade seine Mutter dabei, ihm die Schuhe zuzubinden. Dazu hatte sie den Buben auf einen Tisch gestellt. "Das habe ich noch genau vor Augen." Die Eltern sollten 25 Monate im Gefängnis des Wiener Landesgerichts eingesperrt sein. Ob er sie sehr vermisst habe? "Nein", meint Halpern. Es sei dann ja alles Schlag auf Schlag gegangen, als Kind habe er vieles als Abenteuer empfunden.

Der Großvater war kurz vor dem Einmarsch der Nationalsozialisten wie so oft geschäftlich in die Schweiz gereist. Er beschloss, direkt von dort in die USA auszuwandern. Die zunächst in Wien gebliebene Großmutter organisierte derweilen, dass Paul Halpern und seine Schwester zu Beginn 1939 mit einem Kindertransport nach England ausreisen konnten.

Die Fahrt hat Halpern als aufregend in Erinnerung. Mit im Gepäck: sein Teddybär Peter. Diesen habe er dann allerdings zu seinem siebenten Geburtstag die Toilette hinuntergespült. "Ich war doch dann schon groß, ein Mann. Ich wollte nicht von den anderen gehänselt werden." Die anderen: das waren hunderte andere jüdische Kinder, die ebenfalls gerettet werden konnten. In Kent fanden sie eine vorübergehende neue Heimat. Die Internatsschule wurde im Sinn der Pädagogik von Maria Montessori geführt.

"Tante Anna" - die Deutsche Anna Essinger - hatte hier das Sagen. Auch hier seien ihm die Eltern nicht abgegangen, sagt Halpern heute. 1941 konnte der Großvater, der sich inzwischen in den USA etabliert hatte, die Kinder von England über Kanada nach New York holen. 1941 folgte auch das Wiedersehen mit der Mutter und dem Vater.

Dem vorausgegangen war ein Besuch eines Mitarbeiters des deutschen Konsulats in New York beim Großvater. Er habe das Gespräch mitangehört, erzählt Halpern. Der Mann habe den Großvater gefragt, ob er "zwei Juden kaufen" wolle. Auf Nachfrage habe er präzisiert: Es handle sich um die Tochter und den Schwiegersohn. Der Großvater willigte sofort ein. Geflossen sei "eine astronomische Summe" - auch wenn der Enkel bis heute nicht weiß, um wie viel Geld es genau gegangen ist. Er sagt aber, dass er an die 20 weitere Personen kenne, deren Rettung ähnlich abgelaufen war.

"Den Nazis ging es nicht nur um die Vernichtung der Juden. Ihnen ging es auch darum, zu verdienen." Seine Beziehung zu den Großeltern beschreibt Halpern als sehr gut, die zu seinem Vater als mäßig. "Wir waren keine Freunde." Erst kurz vor dessen Tod hätten sie sich angenähert. Die Mutter sei kurz nach der Heirat 1926 zum ersten Mal schwanger geworden - es wäre ein Bub geworden, endete aber in einer Fehlgeburt. Danach kam seine ältere Schwester zu Welt, schließlich er selbst.

"Wenn der Bub am Leben geblieben wäre, hätte es mich nicht gegeben", ist er überzeugt. Habe ihm das irgendjemand gesagt? "Nein. Aber ich weiß, dass es so ist." Halpern ging in New York zur Schule, studierte danach Journalismus. 1954 trat er der US Airforce bei und wurde schließlich Flugnavigator. Es sollte ein Lebensjob werden. Halpern war lange in Deutschland stationiert, diente in Vietnam.

Ob er gezögert habe, in den Krieg zu ziehen? "Nein", sagt er. "Ich bin ein Patriot." Hier sei sein Vater großes Vorbild. Viele Emigranten hätten sich in den USA dann über Amerikaner lustig gemacht. Das habe sein Vater nicht toleriert. Seinem Vater wurde übrigens nach dem Krieg das Familienunternehmen, die Fabrik Erka in der Gumpendorfer Straße restituiert und er baute den Standort wieder auf. "Dort wurden vor allem Lodenmäntel produziert."

Staatsbürgerschaft? Nein danke

Um die US-Staatsbürgerschaft nicht zu verlieren, achtete der Vater aber peinlichst genau darauf, nicht länger als sechs Monate in Wien zu sein - und lebte dann hier mit der Mutter in einer Pension in der Innenstadt. Nach 20 Jahren hatte er genug vom Pendeln zwischen Wien und New York und auch genug von den Menschen hier, die doch zum Teil ihre Gesinnung nicht geändert hätten. "Er hat gesagt: 20 Jahre sind genug", erinnert sich Halpern. Doch wenige Monate nach der endgültigen Rückkehr in die USA starb der Vater 1968.

Halpern, nach dem Tod seiner ersten Frau in zweiter Ehe verheiratet, ist Vater von zwei Söhnen und einer Tochter sowie Großvater von neun Enkerln - alles Buben. Böte man ihm heute die österreichische Staatsbürgerschaft an, würde er klar Nein sagen. Warum? "Ich liebe die USA. Hier kann jeder Traum wahrwerden."