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Sprachlos

Von Daniel Bischof

Politik

Da es der Justiz an Gerichtsdolmetschern mangelt, kommen vermehrt Laien zum Einsatz.


Wien. Zehn Angeklagte nehmen vor dem Schöffensenat Platz. Die überwiegend aus Afghanistan stammenden Jugendlichen sollen in Wien eine Gruppe Tschetschenen attackiert haben - teils sogar mit Messern und Eisenstangen. Ein langwieriges Beweisverfahren steht bevor: Die Angeklagten bekennen sich nicht schuldig, zahlreiche Vernehmungen sind vorzunehmen. Doch bis der Strafprozess in die Gänge kommt, dauert es. Kaum begonnen, muss er auch schon unterbrochen werden: Denn der vom Gericht bestellte Dolmetscher spricht nur Dari, eine der beiden afghanischen Amtssprachen. Paschtu kann er nicht.

Einige Angeklagte reklamieren: Sie verstehen nur Paschtu. Ein Dolmetscher muss schnellstens gefunden werden. Doch erst nach knapp eineinhalb Stunden erscheint er. Die Deutschkenntnisse des Laienübersetzers sind ausbaufähig. Auch mit den Formalien des Gerichtsprozesses ist er nicht vertraut: Seine Beeidigungsformel übersetzt er etwa ins Paschtunische. "Sie müssen ,Ich schwöre‘ auf Deutsch sagen", belehrt ihn der Richter. "Sprechen Sie Deutsch?", fragt er sicherheitshalber nach. "Ja", beruhigt der Laie. Später muss er entlassen werden: Ein Angeklagter gibt an, nur muttersprachliche Paschtu-Sprecher zu verstehen.

Vor gut zwei Wochen ereigneten sich diese Szenen bei einem Strafprozess in Wien. Die "Wiener Zeitung" berichtete. Solche rechtsstaatlich bedenklichen Momente könnten sich zukünftig öfters abspielen. Vermehrt werden bei Justiz und Polizei als auch im Asylwesen Laiendolmetscher eingesetzt. Etwaige Übersetzungsfehler können sich für die Betroffenen gravierend auswirken: Man denke nur an falsch übersetzte Aussagen während eines Strafprozesses oder eines Asylverfahrens.

Doch im Gegensatz zu Gerichtsdolmetschern müssen Laien keine Prüfung bestehen. Gerichtsdolmetscher unterliegen zudem einem Beruf- und Ehrenkodex und sind kontrollierbar: Bei berechtigten Beschwerden können sie gar aus der Gerichtsdolmetscherliste gestrichen werden. Das ist bei Laien nicht möglich.

Auch Christine Springer, Präsidentin des Gerichtsdolmetscherverbandes, kann "eklatante Beispiele" für die Fehler von Laien nennen. "Bei einer Verhandlung wurde der zu Befragende vom Richter aufgefordert, ,aufmerksam dem Gang der Verhandlung zu folgen‘. Nach der Übersetzung dieser Aufforderung verbeugte er sich und ging auf den Gang hinaus." Bei einem Fall in Graz habe wegen des Fehlers eines Laien gar der Prozess wiederholt werden müssen. Springer räumt aber ein, dass es bei den Laien auch "gute Dolmetscher" gebe.

Nur ein Dolmetscherfür Dari und Paschtu

Der Mangel an Gerichtsdolmetschern ist bei manchen Sprachen offensichtlich: So ist für Dari und Paschtu in Österreich in der Gerichtsdolmetscherliste nur eine einzige Person eingetragen. Auch bei den Arabisch-Gerichtsdolmetschern bestehen Engpässe, obwohl es in Österreich immerhin 25 von ihnen gibt. 16 davon sind in Wien ansässig.

Zum Vergleich: 46 Gerichtsdolmetscher für Bosnisch gibt es alleine im Sprengel des Wiener Landesgerichts für Zivilrecht.

Früher seien Dari und Paschtu kaum gefragt gewesen, erklärt Springer. Auch Arabisch sei bei Gericht weniger benötigt worden. Das hat sich nun geändert: Aufgrund der aktuellen Flüchtlings- und Migrationsbewegungen ist der Bedarf an Arabisch, Dari- und Paschtu-Dolmetschern stark gestiegen. Umfassendes statistisches Material - etwa zum Bedarf an Dolmetschern im Zivilrecht - ist nicht auffindbar. Britta Tichy-Martin, Sprecherin des Justizministeriums, verweist auf den Sicherheitsbericht 2015.

Darin stößt man punktuell auf Zahlen, die auf einen gesteigerten Bedarf an Arabisch, Dari- und Paschtu-Dolmetschern im Strafrecht schließen lassen. Die Anzahl der wegen Delikten gegen fremdes Vermögen verurteilten Algerier stieg von 179 (2014) auf 337 (2015). Bei den Verurteilungen afghanischer Staatsbürger wegen Delikten gegen Leib und Leben gab es einen Anstieg von 94 (2014) auf 159 (2015).

Dass es einen erhöhten Bedarf nach Arabisch-Dolmetschern im Strafrecht gibt, bestätigt auch Mohammed Nigm. Seit Jahrzehnten ist der 68-jährige Arabisch-Gerichtsdolmetscher für die Justiz tätig. Mehr als zwanzig Arbeitstermine hat er früher wöchentlich wahrgenommen. Aus gesundheitlichen Gründen sind es seit ein paar Monaten wesentlich weniger.

Äußerst höflich auftretend, aber bestimmt in der Wortwahl, kritisiert er die derzeitigen Zustände. "Es ist einfach viel zu viel", sagt er über die hohe Arbeitsbelastung. Es gebe zu wenige Gerichtsdolmetscher für Arabisch und zu viele Einsätze, beklagt er.

Zu schlecht bezahlt,zu schwere Prüfungen

Ein Problem bei den Arabisch-Gerichtsdolmetschern dürfte zudem der mangelnde Nachwuchs sein. Mit 57 Jahren ist Magda Assem die jüngste Arabisch-Gerichtsdolmetscherin im Sprengel des Wiener Landesgerichts für Zivilrechtssachen. Der Großteil ihrer Kollegen ist in den 1930ern und 40ern geboren. "Die Dolmetscher wünschen sich eine Entlastung, junge Leute kommen aber nur wenige nach", sagt Assem.

Für den fehlenden Nachwuchs an Gerichtsdolmetschern bei manchen Sprachen werden vor allem die schlechte Bezahlung und die schwierige Prüfung verantwortlich gemacht. Springer sieht die vor zwei Jahren von der Justiz vorgenommen Tarifkürzungen als einen Auslöser.

So sei etwa die mündliche Rückübersetzung von Schriftstücken, die in der Verhandlung oder Vernehmung angefertigt werden, mit 20 Euro gedeckelt worden. Früher sei man pro 1000 Zeichen bezahlt worden. Dieser Einschnitt beträfe insbesondere Protokolle, die im Rahmen der polizeilichen Einvernahme gefertigt werden würden: "Diese Protokolle haben ja oft 30 bis 40 Seiten. Manchmal auch mehr", sagt Springer. "Mehr Arbeit für weniger Geld", sagt Nigm über seine Entlohnung. Viele seiner Arbeitskollegen würden wegen der Bezahlung sogar erwägen, in Pension zu gehen. Springer rechnet vor, wie viel ein Dolmetscher bei einer Verhandlung verdient: "Für die erste halbe Stunde erhält man 24,50 Euro, für jede weitere halbe Stunde 12,40. Dazu kommen pro Stunde Zeitversäumnis 22,70 und die Reisekosten in Form von Kilometer-Geld oder Fahrtkostenersatz hinzu." Auch die Gerichtsdolmetscherprüfung würde wegen der hohen Durchfallquote viele Bewerber abschrecken, so Assem: "Man muss dafür lernen." In der Prüfung werden unter anderem Sprach- und rechtliche Kenntnisse abgefragt. Auch das Rechtswesen des Landes, in dem die zu dolmetschende Sprache Amtssprache ist, wird abgeprüft. Viele Prüflinge würden antreten, ohne sich genügend vorzubereiten, sagt Assem.

"Wir wollen das Berufsbild des Gerichtsdolmetschers durch Gebührenerhöhungen attraktiver machen. Aber auf den Nachwuchs haben wir keinen Einfluss", heißt es aus Justizkreisen. Derzeit gebe es "wirkliche Bemühungen" für eine Gebührenerhöhung. Dazu sei aber das Einvernehmen mehrerer Ressorts erforderlich. Im Finanzministerium will man dazu"keine inhaltliche Stellungnahme abgeben". Man warte seit Juli auf eine Rückmeldung des BMJ.

Ab 2017 soll ein Amtsdolmetscher für Arabisch bei der Justizbetreuungsagentur (JBA) angestellt werden, sagt Justizministeriumssprecherin Tichy-Martin. Die JBA stellt der Justiz Personal zur Verfügung - darunter auch Amtsdolmetscher, die fixe Arbeitszeiten haben und beeidete und gerichtlich zertifizierte Dolmetscher sind. Außerdem verweist Tichy-Martin auf den seit diesem Herbst verfügbaren Universitätslehrgang für Gerichtsdolmetscher, wo auch Arabisch unterrichtet wird.

Vermehrt auf Laiendolmetscher zu setzen, sei für die Justiz "kein Thema", erklärt sie: "Da haben wir unseren Standard." Nigm sieht es pessimistischer: "Den Gerichten wird in Zukunft nichts anderes überbleiben, als vermehrt auf Laien zurückzugreifen."