Wien. "Man wird nicht als Frau geboren, man wird es." Zu dieser Erkenntnis kam die Philosophin Simone de Beauvoir bereits vor knapp 70 Jahren. 70 Jahre sind eine lange Zeit, der Satz von de Beauvoir hat aber nach wie vor Gültigkeit. Neben großen Einkommensunterschieden zwischen den beiden Geschlechtern - Wienerinnen verdienen im Durchschnitt um ein Viertel weniger als Wiener - sind es auch immer wieder Zuschreibungen, Vorurteile und Rollenbilder, mit denen Frauen in die Rolle des Objekts gedrängt werden und der Mann als Subjekt auftritt.

Es ist die Frau, die atemberaubend aussieht, und es ist der Mann, der als intelligent, schlau und rational gilt. Die Buchkette Thalia setzt nun noch einen drauf. In einigen Wiener Filialen werden Frauen als frech bezeichnet.

In der Heiligenstädter Filiale des Konzerns geht alles seinen gewohnten Gang. Bücher werden durchgeblättert, Jahreskalender für 2017 ausgesucht und die ersten Weihnachtsgeschenke eingekauft. Um eine bessere Übersicht zu bekommen, wurden Schilder angebracht, auf denen verschiedene Rubriken mit weißen Buchstaben auf dunkelblauem Hintergrund abgebildet sind.

Kitschige
Liebesromane

Eine Bücherwand fällt dabei besonders auf. Sie ist mit drei Rubriken ausgeschildert. "Literatur A bis Z", "Historische Romane". Und dazwischen: "Freche Frauen". Die Buchtitel in der Kategorie sprechen für sich. "Sommer für immer", "Das Flüstern des Meeres", "Dem Abgrund so nah". Es scheint sich um kitschige, anspruchslose Liebesromane zu handeln. Die meisten Bücher, die unter "Freche Frauen" eingeordnet wurden, hat die britische Autorin Jojo Moyes geschrieben. In ihren Büchern geht es neben Liebe auch um Armut, Behinderung und Depression. Über den Schreibstil und den Inhalt von Moyes lässt sich streiten. Doch was ist daran frech? Ist es die Autorin, die frech ist, oder etwa ihre Leser, die sich die Liebesromane kaufen?

Thalia-Konzernsprecher Michael Obermeyr sieht daran nichts Verwerfliches, wenn es eine Bücherkategorie "Freche Frauen" gibt. "Es muss doch heutzutage möglich sein, dass man mit Augenzwinkern auf Literatur hinweist, wo über Frauen geschrieben wird, die einen schrägeren und nonkonformistischen Zugang zu gewissen Themen haben." Er habe auch mit Mitarbeiterinnen gesprochen. Sie seien derselben Meinung gewesen, sagt er.

Auf der selben
Stufe wie ein Kind

Und überhaupt solle man nicht päpstlicher als der Papst sein. "Die Bezeichnung frech ist überhaupt nicht abwertend." Zu Kindern würde man das bald einmal sagen, rechtfertigt er sich. Und bei Thalia eben auch zu Frauen. Warum es allerdings keine Rubrik "Freche Männer" gebe, könne er nicht sagen.

Nur einen Vorteil habe der Titel "Freche Frauen", sagt dazu Barbara Vinken, Literaturprofessorin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München: "Es alliteriert", lacht sie und schüttelt den Kopf.

"Der Titel ,Freche Frauen‘ ist grotesk. Er fügt sich nahtlos in das Schema, das es schon immer über die schreibende Frau gab. Wagt sich eine Frau an die Öffentlichkeit - wo sie nämlich dezidiert nicht hingehört -, wird sie, so die Drohung, die Friedrich Schiller am härtesten formuliert, zur öffentlichen Frau, zu einer Frau für alle."

Der Begriff frech sei sehr abwertend, denn die Frau werde auf dieselbe Stufe wie ein Kind gestellt, das sich danebenbenommen habe. "Das ist so eine altväterliche Geste des Zurechtweisens, wo man das Mädchen in die Schranken weist, weil es sich zu viel herausnimmt", erläutert die Professorin.

Schreibende Männer würde man hingegen nie als frech bezeichnen. "Das kann ja gar nicht sein", sagt Vinken. "Mit den ,Frechen Frauen’ wird markiert, dass Frauen, die schreiben, die ihnen gesteckten Grenzen überschreiten. Ziemlich blöd, dass man noch heute diese Grenzen zieht."

Die Verniedlichung durch die Zuschreibung "frech" suggeriere zudem eine Harmlosigkeit, die dem Mann nicht wirklich gefährlich werden kann.

Oder, um es in den Worten von Simone de Beauvoir zu sagen: "Damit wird die Frau auf die Funktion des Weibchens reduziert."