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Die Zivilgesellschafterin

Von Solmaz Khorsand

Politik

Geballte Fäuste waren gestern. Wer die Massen aufrütteln will, muss auf andere Mittel setzen als Demonstrationszüge und Lichterketten. Die Künstlerin Natalie Ananda Assmann macht es vor.


Wien. Politischer Aktivismus kennt keine Gnade. Schon gar nicht, was die Uhrzeit angeht. Verschlafen trotten die ersten Männer und Frauen um sieben Uhr Früh, eingepackt in ihren Winterjacken, am Wiener Hauptbahnhof ein. Ihr Ziel: Norbert Hofer als Bundespräsidenten zu verhindern. Ihr Mittel: der "Alexander Song". Natalie Ananda Assmann stimmt die Sänger ein. Mit der Strophe: "Wer die Wahl hat, hat die Qual, doch gewiss nicht dieses Mal, denn was immer du auch bist, bist du doch kein Extremist und politisch ganz normal", singen sie und wärmen ihre Stimmbänder auf. "Ist es euch zu tief? Vielleicht ein bisschen höher?", fragt Assmann fröhlich in die Runde. Die 20 Anwesenden nicken. Langsam wachen sie auf.

Bereits vor der Bundespräsidenten-Stichwahl im Mai hat sich der Chor formiert, um den "Alexander Song" in Wien in bewährter Flashmob-Manier in den U-Bahnen zu singen. Basierend ausgerechnet auf einem Wahlkampflied der ÖVP aus dem Jahr 1966, hat eine Gruppe von Aktivisten, angeführt von der Gesangskappelle Hermann, den Text für den grünen Kandidaten Alexander Van der Bellen adaptiert. Seit September ist der "Chor2go" im Dauereinsatz und hat bereits Dependenzen in anderen Städten. "Wir müssen raus auf’s Land, nämlich dort, wo es wirklich gebraucht wird", erklärt Assmann.

Die Schauspielerin war von Anfang beim Chor dabei. Dabei geht es der 28-Jährigen gar nicht um den grünen Kandidaten. "Ich wähle Van der Bellen, weil die Alternative keine Option für mich ist", sagt sie.

Mobilisierungaußerhalb der Echokammer

Als parteipolitisches Maskottchen will sie sich nicht vereinnahmen lassen, auch wenn das gerne immer wieder probiert wird. Antifaschismus, Diversität und Feminismus, das sind die großen Dinge, mit denen sich Assmann identifiziert und wofür sie sich starkmacht. Sei das in Theaterstücken, Demonstrationen, Podiumsdiskussionen, der Organisation von Konvois für Flüchtlinge von Budapest bis nach Wien oder bei völkerverbindenden Tanzkreisen im öffentlichen Raum. Und das egal ob Wahlkampf ist oder nicht.

Assmann steht für einen neuen Typus von politischem Aktivismus. Einem, der sich nicht in den Tiefen ideologischer Grabenkämpfe verirrt, bedeutungsschwanger ermüdende Demonstrationszüge anführt und traurig Kerzen für Lichterketten verteilt. Es ist ein Aktivismus, der auch einmal Spaß machen darf. Wo nicht aggressiv die Fäuste geballt werden, sondern wo man sich schon einmal in Bikini und Burkini bei 16 Grad in einen Pool schmeißt, um auf das Selbstbestimmungsrecht jeder einzelnen Frau hinzuweisen.

Es sind gut inszenierte Kampagnen einer technikaffinen "Yes we can"-Generation, die sich für den Mainstream zu verkaufen weiß. Als oberflächlicher Aktionismus wird dieses Engagement von manchen belächelt. Zu platt, zu gefällig, zu kompromissbereit sei es. Andere erkennen darin hingegen sein Potenzial. Dass nur so breitenwirksam die Masse mobilisiert werden kann. Der moralische Zeigefinger ist passé. Es reicht nicht, länger aus der eigenen Echokammer in gendergerechter Sprache zu predigen. Wer was bewegen will, braucht eine breite Plattform von Mitstreitern, und da gilt es den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. Und das ist die Sache selbst, jenseits jeglicher Parteipolitik.

Eine Plattform gegen patriarchale Politik

Derzeit engagiert sich Natalie Ananda Assmann bei der Initiative "#frauengegenhofer." Online werden dabei Videos von Passantinnen am Viktor-Adler-Markt gezeigt, die frauenfeindliche Statements des blauen Präsidentschaftskandidaten und seiner Parteikollegen vorlesen und kommentieren.

Es ist ein breites Spektrum von Frauen, die sich im Alltag vielleicht nie Teil eines Kollektivs wähnen würden, aber plötzlich zu Gesinnungsgenossinnen werden, wenn sie bei denselben Sprüchen zu erschaudern beginnen. Dann, wenn es beispielsweise heißt: "Frauenhäuser sind an der nachhaltigen Zerstörung von Ehen und Partnerschaften maßgeblich beteiligt" (FPÖ Amstetten). Oder: "Frauen lieben es, von einem wild gewordenen Penis überfallen zu werden. Hierzu die Zustimmung einzuholen, wäre genau der Verlust dieses Reizes" (Wilfried Grießer, FPÖ-Gemeinderatskandidat).

Am Dienstag, soll wieder eine #frauengegenhofer Straßenaktion stattfinden. Um 13 Uhr will man sich am Christian-Broda-Platz beim Westbahnhof versammeln und verschiedene Frauen mit den einzelnen Statements konfrontieren. Auch Assmann wird dabei sein. Das Frauenbild des blauen Bundespräsidentschaftskandidaten irritiert sie. "Ich finde es schlimm, wie Hofer seine Töchter im Wahlkampf instrumentalisiert", sagt sie. Gut ist ihr noch die Szene in Erinnerung nach dem Wahlausgang im Mai, als Norbert Hofer vor grölenden Unterstützern im Prater Alpendorf seine erwachsene Tochter mit den Worten vorgestellt hat: "Sie ist übrigens noch Single." "Das ist einfach widerlich", sagt Assmann. Seine zwei Söhne hält er aus dem Wahlkampf heraus. Nur die zwei Töchter sind prominent vertreten, gibt Assmann zu bedenken.

Schon früh hat sich die Künstlerin gegen patriarchale Strukturen gewehrt. Unmittelbar nach ihrer Schauspielausbildung in Wien wurde sie angeheuert von diversen Theaterhäusern. Zu elitär und chauvinistisch war ihr jedoch der Theaterbetrieb. Heute arbeitet Assmann an ihren eigenen Projekten. Derzeit konzipiert sie ein mehrtägiges Sommerfestival im oberösterreichischen Schärding, "Karneval of Fear", in dem sie auf spielerische Art die Einheimischen mit ihren Ängsten konfrontieren möchte.

Assmann scheut die Konfrontation nicht. Aufgewachsen in Linz, als Tochter einer Kinderpsychologin und eines Museumdirektors, kam sie früh in Berührung mit Österreichs schwacher Zivilgesellschaft. Dann, wenn sie mit 14 Jahren als Einzige in der Linzer Straßenbahn aufgestanden ist, um etwas zu entgegnen, wenn Schwarze angepöbelt und beschimpft wurden. "Das Schlimmste in dem Moment war das Schweigen der anderen. Es gibt keine Rückendeckung von der Gesellschaft, wenn du aufstehst", sagt sie.

Heute hat sich das ein bisschen verändert. Mehr Menschen würden sich wehren, wenn da ein Flüchtling blöd angemacht wird oder dort eine muslimische Frau gar attackiert wird. Aber genauso so sehr würden sich die Leute auch immer mehr zurücknehmen, meint Assmann. Zu laut ist ihnen die Welt geworden. Jeder würde sich in seinem Kokon verstecken. "Das geht einfach nicht. Es ist definitiv der Punkt erreicht, wo sich niemand mehr zurückziehen kann und sich niemand mehr rausnehmen darf", sagt sie.

Solidarität in Zeiten,in denen es brennt

Das gibt sie auch der ORF-Journalistin an dem Vormittag am Hauptbahnhof zu verstehen, die sie versucht, von dem Vorplatz zu vertreiben. Derzeit ist dort das Frühstückfernsehen stationiert. Der Flashmob-Chor im Hintergrund bringe das ORF-Team an seine technischen Grenzen und würde die Aufzeichnung stören. Außerdem dürfte im ORF keine politische Initiative zu sehen seien, die offensichtlich Wahlkampfwerbung für einen Kandidaten machen. "Das ist absolut tabu", sagt die Journalistin und sucht bei Assmann und ihren Mitstreitern um Verständnis. Vergeblich.

Assmann lächelt sie nur fröhlich an, bevor sie zum Konter ansetzt: "Das ist keine Wahlempfehlung. Wir wollen bloß nicht in einem Hoferland leben. Und es geht hier um Solidarität in Zeiten, wo es richtig brennt", sagt sie. Dann lächelt sie noch einmal freundlich, dreht sich um und führt den Chor durch die Bahnhofshalle mit einem lauten "Und drei und vier: Wer die Wahl, hat die Wahl, doch gewiss nicht dieses Mal."

Mehr Infos zu diversen Aktionen finden Sie auf Facebook unter #chor2go und #frauengegenhofer.